❞𝐉𝐔𝐍𝐄
Dass Riley bisher noch von keinem Menschen angesprochen wurde, ist wirklich verwunderlich. Ob ihre Fans sich einfach nur nicht trauen, nach einem Autogramm zu fragen? Oder sind die Leute so von ihrer Präsenz eingenommen, dass es ihnen die Sprache verschlägt?
Mir jedenfalls fällt es unheimlich schwer, Riley nicht pausenlos anzuschauen. Wie sie mir hier so gegenüber sitzt, sieht sie gleichzeitig extrem unsicher und dennoch eindrucksvoll aus. Während ich wenigstens versuche Distanz zu wahren, fixieren mich ihre dunkelbraunen Augen unablässig und verursachen ein komisches Gefühl in meiner Magengrube.
Meine Frage war eigentlich nur ein Ablenkungsmanöver. Ihre Fans und das Leben, welches sie führt, interessieren mich überhaupt nicht. Für mich ist sie immer noch die gleiche Person wie früher. Für mich ist Riley immer noch diejenige, mit der ich nie wieder sprechen wollte. Und doch tue ich es, jetzt gerade. Und wenn ich ehrlich bin, dann habe ich riesige Angst vor dem, was sie mir sagen möchte.
»June«, beginnt Riley und räuspert sich kurz, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich blicke zu ihr und versuche krampfhaft, mir die Nervosität nicht anmerken zu lassen. Als ich nichts von mir gebe, fährt sie fort: »Du sollst wissen, wie schrecklich Leid es mir tut, dass ich damals gehen musste.«
Ihre Stimme ist ein bisschen belegt, sogar leicht zittrig, und ihre Augen flackern schnell hin und her. Sie sieht mich an, als hoffte sie, dass dieser jämmerliche Abklatsch einer Entschuldigung genügen könnte. Wie sie auf dieses schmale Brett kommt, ist mir jedoch unerklärlich. Da muss sie sich schon etwas mehr ins Zeug legen, um die Dinge wieder gerade zu biegen.
»Du musstest gehen?«, wiederhole ich mit schriller Betonung und kneife die Augen zusammen. Rileys Schultern klappen entmutigt nach vorn, dann nickt sie, schweigt aber für eine Weile.
»Hör mal, das ist alles etwas viel, um es auf die Schnelle zu erzählen und ich glaube auch nicht, dass es mir leichtfallen wird, darüber zu sprechen. Aber ich habe es immer bereut, nicht mit dir darüber gesprochen zu haben«, erklärt sie schließlich und klingt dabei unfassbar traurig.
Doch trotz des aufrichtigen Bedauerns, dass sie äußert, macht mich jedes Wort nur noch wütender. »Du hattest keine Möglichkeit, dich zu verabschieden?«, frage ich ziemlich laut. Argwöhnisch drehen sich unsere Tischnachbarn zu uns um.
Ich nicke ihnen mit einem fahlen Lächeln entschuldigend zu und warte, bis sie sich wieder wegdreht haben, bevor ich erneut spreche: »Riley, wir leben nicht im Mittelalter. Du hattest meine Nummer. Die hat sich nicht geändert, was du sicherlich von Corey wusstest. Du hättest schreiben oder anrufen oder meinetwegen sogar eine E-Mail schicken können.«
Mit jedem meiner Worte wird ihre Miene leidvoller. Ich weiß, dass meine Wut ihr gerade stark zusetzt, kann aber nicht aus meiner Haut. Böse funkle ich sie an. Wie kann sie es nur wagen, mir weismachen zu wollen, dass sie nie die Gelegenheit gehabt hätte, mir ihren Abgang zu erklären?
Die Bedienung, Margaret, unterbricht mich, als sie fröhlich summend an unseren Tisch tritt und zwei große Tassen mit dampfend heißem Wasser und jeweils einem großen Stängel Pfefferminzblätter vor uns abstellt.
»Bitteschön, die Damen«, flötet sie und verschwindet sofort wieder. Gut, dass die alte Dame mich unterbrochen hat, sonst hätte ich vermutlich noch mehr schlimme Dinge gesagt.
⋯―⋯
❝𝐑𝐈𝐋𝐄𝐘
Ich bin einfach nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Aus June spricht der blanke Zorn und ich kann es ihr nicht einmal verübeln. Sie hat keine Ahnung, warum ich gehen musste und vollkommen recht damit, dass ich mich trotzdem hätte melden können, wenigstens danach.
Nur zu gerne würde ich ihr jetzt und hier wirklich alles erzählen. Wie meine Welt in Trümmer gerissen wurde, erst ein Mal, dann direkt ein weiteres Mal. Wenn ich könnte, würde ich mit dem Finger schnippen, damit sie augenblicklich begreift, dass ich zu nichts mehr in der Lage war.
»Warum, Riley? Warum?«, schluchzt June plötzlich und reißt mich aus meinen Gedanken. Ihre Augen sind gefährlich wässrig. Reflexartig strecke ich die Hand über den Tisch, weil ich ihre ergreifen möchte.
»Fass mich nicht an«, faucht sie und ich stoppe sofort, noch in der Bewegung.
»Es lag nicht an dir«, starte ich den erbärmlichsten Versuch überhaupt, mich zu erklären. Allerdings hätte ich wissen müssen, dass diese Worte eher wie Brandbeschleuniger wirken, statt die Situation zu beruhigen.
»Es lag nicht an mir?«, wiederholt sie jedes meiner Worte ganz langsam, wobei ihre Lippen zu beben beginnen. Verkackt!
»Nein. Ach, verdammt, June ... so meine ich das nicht«, stammle ich hilflos und fahre mir nervös durch die Haare. Sie zieht scharf Luft ein.
»Nein, schon okay. Ich versteh schon, wie du das meinst, Riley.« Ihre Miene wird steinhart.
Wieder richtet sie den Blick nach draußen auf die Straße. Eine einzelne Träne bahnt sich den Weg aus ihrem linken Auge und kullert über die hübsch geschwungene Wange.
Mein Magen und mein Herz verkrampfen sich zeitgleich. Keine Ahnung, wie ich es schaffe, nicht um den Tisch zu gehen und sie in die Arme zu ziehen, sondern auf meinem Stuhl sitzen zu bleiben. Unweigerlich halte ich die Luft an.
Als June mich wieder ansieht, fließen ihr die Tränen. »Es tut mir so Leid, dass ich es damals nicht kapiert habe, Riley«, jammert sie mit zittriger Stimme. Was?
Warum entschudligt sie sich denn jetzt bei mir? Perplex starre ich June an und will sie gerade unterbrechen, als sie fortfährt: »Man kann so etwas nicht erzwingen. Dir ging es eben nie wie mir. Irgendwann habe ich es selbst verstanden. Aber statt über Nacht zu verschwinden, hättest du es mir einfach sagen können.«
Dann legt sich ein dunkler Schleier über ihr Gesicht. Ich kann überhaupt nicht begreifen, was sie da gerade gesagt hat. In meinem Kopf dreht sich alles und mein Herz fühlt sich an, als würde es jeden Moment aufhören zu schlagen.
Schlagartig wird mir klar, dass June seit verdammten zehn Jahren von völlig falschen Tatsachen ausgeht. Kein Wunder, dass sie mich mit so viel Verachtung straft.
»Ich hätte einfach nicht für möglich gehalten, dass du so feige bist, Riley«, erklärt sie zutiefst enttäuscht, erhebt sich vom Stuhl und macht sich daran, das Café zu verlassen.
»Was?«, hauche ich. Es fühlt sich an, als hätte gerade der Blitz in mir eingeschlagen. Ich realisiere, was gerade geschieht, bin aber nicht in der Lage, auch nur eine Faser meines Körpers zu bewegen.
Erst die kleine Klingel über der Tür des Cafés bricht meine Trance, als sie bei Junes Verlassen durch den Laden tönt.
»Oh fuck«, nuschle ich, springe hektisch auf und krame in meiner Hosentasche nach Geld, um die komplett unberührten Tees zu bezahlen. ›Zu langsam! Schneller!‹, denke ich panisch und verliere beinahe die Nerven.
Ich weiß überhaupt nicht, wie viel die Tees kosten und Margaret hat uns keine Karte am Tisch gelassen, nachdem June die Bestellung durchgegeben hat.
Mit einem »Scheiß drauf« pfeffere ich einen Zwanziger auf den Tisch, weil das der erstbeste Schein ist, den ich zu greifen bekomme. Dass die alte Dame damit mindestens einen Zehner Trinkgeld kassiert, interessiert mich herzlich wenig.
Eilig haste ich durch das Café zum Ausgang, doch als ich hinaustrete und mich umsehe, ist von June weit und breit nichts mehr zu sehen. »Verdammt, Riley. Du bist so dämlich!«, schimpfe ich mich laut und ein Passant starrt mich entgeistert an.
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Date me again, please | ✓
Ficción GeneralJune Wilsons Leben steht auf soliden Säulen. Sie hat einen tollen Job, einen wunderbaren Freundeskreis und einen liebevollen Freund, mit dem sie ihre Zukunft plant. Riley Miller hat den großen Durchbruch im Musik Business geschafft und führt seither...