ACHT

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Ich wusste nicht, was von mir erwartet wurde.

Tag für Tag erhielt ich neue Aufgaben: Die Böden schrubben, die Kissen ausklopfen, Wäsche waschen, Zutaten schneiden, Holz hacken, und so weiter. Aufgaben, die ich an und für sich bereits vom Putzplan der Novizinnen kannte - aber Aufgaben, die dennoch vollkommen anders und neu für mich waren.

In der Stadt gab es kein fließendes Wasser. Stattdessen wurde es in Fässern und Kanistern gelagert, wodurch die ganzen Haushaltsaufgaben um einiges schwieriger wurden - denn Wasser war Mangelware. Benutzte ich zu viel, wurde meine Tagesration geringer. Benutzte ich zu wenig, erfüllte ich die Aufgaben nicht gut genug - und bekam zur Strafe noch mehr Arbeit aufgebrummt.

Das hatte nichts mehr mit den Aufzeichnungen gemein, die ich im Kloster studiert hatte. Es gab keine kleinen Prüfungen, die mit der Gelehrsamkeit, dem Fleiß oder der Hingabe der heiligen Lehren zu tun hatten - es gab nur Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Ich teilte mir eine einzige Kammer mit einer anderen Frau, von der ich nicht einmal den Namen kannte. Die täglichen Arbeiten forderten ihren Tribut, für Fragen oder Gespräche blieb nie Zeit.

Von morgens bis abends waren wir alle auf den Beinen, und erst weit nach Anbruch der Dunkelheit kehrten wir in unsere Kämmerlein zurück, zu nicht viel mehr als ein paar aufeinandergestapelten Laken die den harten Boden kaum polsterten, um ein paar wenige Stunden zu schlafen, ehe es wieder von vorne los ging.

Trotz meiner Erschöpfung betete ich wann immer ich auch nur eine einzige Minute frei hatte, und in Gedanken sprach ich während der Arbeit oft mit der Glaubensmutter oder der Göttin Societas. Ich erzählte ihnen stumm von meinen Träumen, von meinen Erfahrungen, von meinen Erlebnissen - selbst wenn sie noch so unbedeutend waren. Es half mir mit der Einsamkeit zurecht zu kommen, die sich langsam aber sicher in mein Herz schlich.

Auch der Silberring an meinem Zeigefinger half - irgendwie. Er erinnerte mich daran, dass ich nicht alleine war, auch wenn mein ursprünglich weißes Arbeitsgewand mittlerweile eher einen gräulichen Farbton angenommen hatte und eindeutige Gebrauchsspuren aufwies.

Es war das einzige Kleidungsstück, das ich neben meiner Reisekleidung besaß, daher musste ich es regelmäßig sauber machen - nicht nur aus hygienischen und optischen Gründen, sondern auch aus Gründen der Bequemlichkeit. Selbst wenn ich einen ganzen Tag nicht einen einzigen Schritt in Richtung Tür machte, fand ich dennoch jeden Tag neue Sandkörner darin, die sich irgendwie eingenistet hatten.

Die Schriftrolle, die für die Hohepriesterin von Scintilla bestimmt war, hatte mir die Chefin des Gasthauses im Laufe der ersten Tage abgenommen und sie, wie ich zumindest hoffte, weitergeleitet.

Ich versuchte im Kopf zu behalten wie viele Tage vergingen und wie lange es noch dauern sollte, bis die Ceremonia Ascendia endlich dem Ende entgegen ging, aber die Aufgaben waren so eintönig, dass die Tage schnell anfingen, ineinander zu verschwimmen.

Natürlich hatte ich auch darüber nachgedacht, einfach zu gehen. Mich einfach zu weigern, oder mich für eine Nacht in die Stadt zu schleichen und eine andere Novizin zu suchen, mit der ich mich darüber unterhalten könnte, was das Ganze sollte.

Oder die Priesterin, die uns hierher gebracht und uns eingeteilt hatte - ich überlegte hin und wieder, ob ich ihr nicht einen Besuch abstatten sollte und sie fragen sollte wie lange ich noch so weitermachen sollte. Ihr allgemein ein paar Fragen zu stellen, denn ich wusste einfach gar nichts.

Ich fühlte mich unendlich alleine, und auch wenn ich genauso hart schuftete wie alle anderen Arbeiterinnen im Gasthof, trennte mich dennoch permanent irgendetwas von ihnen. Zwischen den anderen und mir klaffte einfach eine unüberbrückbare Kluft.

Das einzige, was mich davon abhielt meine Überlegungen in die Tat umzusetzen, war das fremde Mädchen, dem ich am ersten Tag mehr oder weniger in die Arme gerannt war. Eines Tages als wir nebeneinander hatten arbeiten müssen, hatte sie mir den diskreten Tipp gegeben, mich ab Anbruch der Dunkelheit nicht mehr draußen aufzuhalten.

Auch wenn ich nicht ganz wusste, was ich zu befürchten hätte wenn ich es doch tun würde, nahm ich sehr wohl den Ernst ihrer Worte wahr. Vielleicht hatte es an ihrer verkrampfen Haltung und dem harten Glanz in ihren Augen gelegen. Vielleicht auch daran, dass sie immerzu unfreundlich und feurig war und mich nach Kräften mied - in dieser einen Angelegenheit jedoch freiwillig mit mir geredet hatte.

Aber auch so war der Gedanke, im Dunkeln allein durch die unbekannten Straßen zu wandern, eher abschreckend. Bei meinem Glück würde ich mich nur verlaufen und nie wieder zurück finden.

Also hielt ich durch - Tag für Tag schuftete ich ohne zu murren und ohne einen einzigen Fluchtversuch.

Auch wenn ich auf keine meiner Fragen eine Antwort erhielt.

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