Ich befand mich in der kleinen, dunklen Vorratskammer der Küche. Auf der anderen Seite einer einfachen Holztür hörte ich lautes Klappern und fließendes Wasser - die diensthabenden Novizen spülten offenbar das Geschirr ab, das beim Abendessen benutzt worden war.
Zum Leben im Kloster gehörte auch ein wöchentlich wechselnder Putz- und Haushaltsplan. Jeder Novize musste parallel zu seiner Ausbildung auch hin und wieder einfache Arbeiten erledigen wie die Böden schrubben, das Geschirr spülen, Mahlzeiten zubereiten, Betten machen, Wäsche waschen, Staub wischen, die Bücher der Bibliothek ordnen oder Sonstiges.
Auch die Vorräte überprüfen und einmal im Monat zur Stadt aufbrechen um einkaufen zu fahren zählen zu diesem Haushaltsplan - wobei Letzteres eher als Ehre betrachtet wurde, da wir das Kloster nie verlassen durften bis wir unsere Ausbildung nicht abgeschlossen hatten. Das Einkaufen fahren war da eine willkommene Ausnahme - und eine Ehre, die mir bisher noch nie zuteil geworden war, obwohl ich bereits länger eine Novizin war als alle anderen.
Die Priesterschaft befand sich deswegen schon seit Längerem in Aufruhr, und in diesem einen Punkt musste ich ihnen zustimmen: Ich verstand die Beweggründe der Glaubensmutter nicht, warum sie mich nicht endlich einmal in die Stadt fahren ließ, damit ich alle Voraussetzungen erfüllte um offiziell als Priesterin anerkannt zu werden.
Mucksmäuschenstill schlich ich von Regal zu Regal in der kleinen Kammer und stellte mir mein eigenes kleines Abendessen zusammen. Zwar war es keine warme Mahlzeit wie die, die es offiziell gegeben hatte, aber es war besser als nichts. Ein halber Laib Brot, den ich mit einigen Gewürzen kombinierte, eine Tomate, ein Apfel und eine Wasserflasche - das war meine Ausbeute.
Ich schlich zur Geheimtür zurück und unterdrückte einen Schmerzensschrei, als ich mir den Zeh an einem Regal stieß. Trotzdem entwich mir ein leiser Laut und ich hielt mit zusammengekniffenen Augen inne, während der Schmerz sich wellenartig in meinem Fuß ausbreitete. Ich konnte nur hoffen, dass niemand der anderen Novizen das Geräusch gehört hatte, aber dem unbehelligt weiteren Klappern entnahm ich, dass ich mich auf der sicheren Seite befand.
Als der Schmerz einem dumpfen Ziehen gewichen war setzte ich mich wieder in Bewegung, diesmal stark darauf bedacht, wohin ich meine Füße stellte. Erst nachdem ich mich wieder in dem staubigen Geheimgang befand und die Tür hinter mir geschlossen hatte, wagte ich es aufzuatmen.
Ich ging im Dunkeln weiter durch das verborgene Tunnelsystem bis ich an eine Abzweigung gelangte, wo ich mich nach rechts wand und in eine andere kleine Kammer gelangte - nur, dass diese hier sich tatsächlich im Netz der Verstecke befand und ich nicht fürchten musste, entdeckt zu werden.
Um genau zu sein hatte ich es auf eine Nische in der Kammer abgesehen - leise ächzend zwängte ich mich hinein und ließ mich an der Wand entlang zu Boden gleiten. Durch ein Gitter aus winzigen Löchern in der Wand konnte ich in sitzender Position die Worte aus dem Raum dahinter belauschen - dem Gemeinschaftssaal.
Nach dem Abendessen begaben sich alle, die nicht alt und gebrechlich waren, in den Gemeinschaftssaal um miteinander zu plaudern, der Glaubensmutter Fragen zu stellen, und den Sagen und Mythen zu lauschen, die sie wie eine Art Gutenachtgeschichte vortrug.
Offenbar hatte ich die ersten beiden Veranstaltungen durch meine Verspätung bereits verpasst, denn ich hörte die melodische Stimme der Glaubensmutter, wie sie eine weitere altbekannte Sage erzählte. Ich hatte die Geschichte bereits unzählige Male gehört, und doch zog sie mich jedes Mal von Neuem in ihren Bann. Ich lauschte während ich mein karges Mahl verspeiste und ließ mich von den lebhaften Worten davontragen:
Einst, so heißt es, war ein junger Mann, dessen Name längst vergessen worden ist, unsterblich in eine wunderschöne Frau verliebt. Ihre Familien standen seit Jahrtausenden und Generationen im Streit, doch die tatsächlichen Ursachen haben beide Familien längst vergessen, so lange dauerte der Hass zwischen den beiden Familien bereits an.
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VIRGO
Fantasi~NaNoWriMo 2022~ Mein offiziell allererster und vollkommen öffentlicher Versuch, das Event des NaNoWriMo zu bestehen. Für mehr Infos einfach einen Blick in das Vorwort-Kapitel werfen. Amaelya ist ein Mädchen ohne jede Kindheit. Ihre Erinnerung begin...