ZEHN

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"Wir werden dich so schön herrichten, dass die werten Herren gar nicht anders können werden, als sich um dich zu reißen!", flötete Mina neben mir. Sie hatte sich bei mir untergehakt und führte mich schnellen Schrittes durch die Straßen von Scintilla.

Selbst meine letzten Zweifel ob Mina sich nicht doch möglicherweise im Tag geirrt haben könnte verflogen, als ich das rege Treiben in den Straßen sah. War mein erster Eindruck der Stadt ein Schock gewesen, so war nun das komplette Gegenteil ebenfalls einer.

Die Straßen waren sauber und gewaschen, der übliche Gestank war dem Duft von Blumen, Gewürzen und Parfum gewichen, einst trostlose, abgemagerte Gestalten waren nun erfüllt von Lebensfreude und Tatendrang, und selbst die übelsten Gesellen wirkten heute freundlich und wohlgesinnt.

Ebenso wie die Dame an meiner Seite, die mich sonst auf den Tod nicht hatte ausstehen können und mich gemieden hatte so gut es eben ging wenn man unter demselben, kleinen Dach wohnte. Nun schien sie wie besessen von dem Gedanken, mich für den Dies Festum herauszuputzen.

"Das muss nun auch wieder nicht sein", schnitt ich eine Grimasse, "Was will ich denn mit so vielen? Das führt doch zu nichts."

Mina lachte. Sie lachte. Das war das erste Mal, dass ich sie lachen hörte. "Du hast noch viel zu lernen, Sonnenschein", tätschelte sie grinsend meine Schulter.

"Wieso nennst du mich eigentlich so? Mein Name ist Amaelya", wandte ich kopfschüttelnd ein.

Sie schnaubte. "Amaelya - das klingt zu ernst und mysteriös für so eine edle Dame wie dich. Sonnenschein passt da schon eher - naiv, leichtsinnig, unerfahren und etwas dümmlich", neckte sie mich grinsend.

"Ich dachte, die Gemeinheiten hätten wir hinter uns gelassen?"

"Nur heute, Sonnenschein", zwinkerte sie, "Nur heute. Gewöhn dich ja nicht dran - meine Laune ist nicht jeden Tag so heiter."

Ich wollte gerade zu einer spöttischen Erwiderung ansetzen, als sie urplötzlich die Richtung änderte und mich in ein kleines Haus hinein zog, das ich gar nicht als solches erkannt hatte. Es war behängt mit so vielen bunten, knalligen Stoffen, dass ich nicht einmal den Eingang gefunden hätte - oder überhaupt vermutet hätte, dass es einen gab.

Kaum hatten wir das Innere betreten, ließ Mina meinen Arm los um einer anderen Frau um den Hals zu fallen. Die beiden begrüßten sich freudestrahlend und sprachen so schnell, dass ich kaum hinterher kam, also nutzte ich die Zeit um mich umzusehen.

Es war kühl im Inneren und die Luft war, entgegen meiner Erwartung, gar nicht muffig. Nein, es roch nach Rosen, begleitet von einem steten, frischen Windhauch, woher auch immer er kommen mochte. Das Innere war genauso bunt und knallig behängt wie das Äußere, nur dass sich die Stoffe hier nicht in Teppichen und Laken, sondern in Kleidern unterschiedlichen Schnittes und unterschiedlicher Art äußerten.

Mina angelte nach meinem Arm und zog mich wieder an ihre Seite. "Das ist eine alte Bekannte von mir - sie ist die beste Schneiderin in der ganzen Stadt", prahlte sie stolz. "Bei ihr finden wir sicher etwas, das dich umwerfend aussehen lässt."

Nervös runzelte ich die Stirn. So etwas war noch vollkommenes Neuland für mich. Zuhause gab es nur die Novizinnenkluft für mich - jeden Tag derselbe Schnitt in denselben Farben. "Ich weiß ja nicht... Was ist wegen der Bezahlung? Ich habe kein Geld", wandte ich zögerlich ein.

Mina schnaubte. "Mach dir darüber keine Gedanken, ich habe schon eine Idee", zwinkerte sie und schob mich vorwärts - hinter der anderen Frau her, die inzwischen irgendwohin verschwunden war.

Ihre Worte ließen mich zwar nicht sonderlich zuversichtlich sein, aber vielleicht hatte sie recht. Vielleicht sollte ich mich etwas entspannen und den Moment genießen - immerhin hätte ich in Zukunft keinerlei Gelegenheit mehr dazu, solche Dinge auszuprobieren.

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