NEUN

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Etwas Kaltes, Nasses klatschte auf mich hinab und riss mich urplötzlich aus dem Schlaf. Keuchend riss ich die Augen auf und blinzelte verwirrt.

"Aufwachen, Sonnenschein!" Über mir stand das fremde Mädchen - Mina, hatte ich zufällig einmal aufgeschnappt -, das mich an meinem ersten Tag hier hin gebracht hatte. Grinsend stellte sie das Holzfass neben meinem Berg an Laken ab und stemmte die Hände in die Hüften.

Ihr langes, dunkles Haar trug sie auch heute zu einem Knoten hochgesteckt, auch wenn die Lockenpracht ihren eigenen Willen zu haben schien - mehrere Strähnen hingen bereits jetzt hinab. Das Sonnenlicht brachte den dunklen Farbton zum glitzern und ihre Augen, sonst immer so kalt und abwesend, strahlten diesmal regelrecht.

Verdutzt stockte ich.

Das Sonnenlicht.

Erschrocken schreckte ich hoch und blickte mich um - von der anderen fremden Frau, mit der ich mir die Kammer teilte, nirgends eine Spur. Kein Wunder - die Arbeit hatte längst begonnen, und ich hatte verschlafen! Wenn ich mich beeilte und mich schnell und heimlich an meinen Platz schlich dann merkte die Chefin vielleicht nichts und dann bräuchte auch die Hohepriesterin nichts davon zu erfahren, und dann könnte ich die Ceremonia Ascendia auch weiterhin in Ruhe--

"Jetzt beruhig dich erst einmal und werd richtig wach", riss mich Mina aus meinen Gedanken. Sie hatte sich neben mich gekniet und eine Hand auf meine Schulter gelegt - und ihr Gesicht zeigte tatsächlich so etwas wie Sorge. Noch mehr von ihrem ungewöhnlichen Verhalten heute - normalerweise mied sie mich so gut sie konnte. Aus irgendeinem mir unerfindlichen Grund schien sie alle Anhänger der Disciplina Sancta regelrecht zu hassen.

"Die Arbeit - zu spät - Ärger", stotterte ich zitternd, obwohl es hier immer so heiß war. Ich war klitschnass, hatte Panik und fühlte mich noch hilfloser als ohnehin schon. "Und... Wasser?", fügte ich schockiert hinzu.

Wasser.

Das wichtigste Gut hier.

Das Gut, mit dem ich immer so sparsam hatte umgehen müssen.

Das Gut, auf das ich immer so gut hatte achten müssen.

Das Gut, für dessen Verschwendung einige Menschen hier bereits ausgepeitscht worden waren.

Und sie - sie hatte es verschwendet, um mich damit aufzuwecken. Wozu? Wieso der Schreck? Nur um mich zu ärgern und mir einen Streich zu spielen? Das war die Konsequenzen doch gar nicht wert!

Langsam blickte ich mit offenem Mund von meinem nassen Körper hoch in Minas Gesicht.

Sie grinste breit und schelmisch, während sie beobachtete, wie sich die Erkenntnis in meiner Mimik ausdrückte - und ich würde sie dafür umbringen.

Ich ballte die Hände zu Fäusten und sprang auf die Füße. Noch war es nicht zu spät - noch hatte die Chefin nichts mitbekommen... Vielleicht konnte ich--

"Hey", meinte Mina und hielt mich an einer Hand fest. Ihre Stimme klang nun eher ernst. "Hast du wirklich keine Ahnung, was für ein Tag heute ist?"

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, kein Wort mehr mit ihr zu wechseln, doch ich gab ihr eine letzte Chance. Ich blieb stehen und atmete geräuschvoll aus, während ich versuchte nachzurechnen. Aber es hatte keinen Sinn - die Tage verschwammen zu einem einzigen, undeutlichen Brei in meinem Kopf und alles, was blieb, war die nagende Ungewissheit.

"Nein", erwiderte ich gepresst. Langsam drehte ich mich um und starrte sie finster nieder. "Aber ich schlage vor, dass du mir das schnell erklärst, wenn dir deine Arbeit wichtig ist." Es war ein Bluff - ich würde Mina niemals verpfeifen, denn ich war mir unsicher ob man nicht einfach mich stattdessen zum Sündenbock machen würde, immerhin arbeitete Mina hier nun bereits sehr viel länger als ich und ich war nur die fremde Novizin, die niemand mochte -, aber es war alles, was ich gegen sie in der Hand hatte.

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