Mit dem maskierten Fremden zu tanzen, war, als würde man inmitten einer lodernen Flamme tanzen - nur ohne die Schmerzen. Er selbst war eine lebendige Flamme, eine rauchende Glut.
Und genauso tanzte er auch.
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich meine Füße positionieren sollte. Ich hatte das Tanzen nie gelernt - so etwas hatte ich stets gemieden. Umso überraschter war ich davon, wie gut der Maskierte es konnte.
Eine Hand an meiner Schulter, eine Hand an meiner Hüfte, so leitete er mich. Ein kurzes Drücken an meinem Arm war unser stilles Warnzeichen geworden, bevor er eine hektischere Bewegung machte, die von den grundlegenden Schritten abwich.
Ein Schritt vor, einer zurück, vor und zurück wippend, immer wieder - dabei drehten wir uns im Takt der Musik im Kreis, traten ein wenig von einander zurück, streckten die Arme, dann zog er mich mit einer schwungvollen Drehung wieder zu sich--
Es ging so schnell, dass ich kaum hinterherkam. Er gab ein so hastiges Tempo vor, dass ich gar nicht erst die Gelegenheit hatte, in Panik zu geraten - und jeder kleine Fehler, jeder falsch platzierter Fuß ging plötzlich im regen Treiben unter, ohne dass es jemandem auffallen könnte. Ohne, dass ich mich in aller Öffentlichkeit sichtlich blamieren könnte.
Die ganze Zeit über grinste er mich übermütig an. Seine rotbraunen Augen loderten hinter der dunklen Maske, und wir standen so nah beieinander, dass ich jeden noch so kleinen Wirbel, jeden kleinen Schmuckstein in dem geschwungenen Meisterwerk erkennen konnte. Reden war nicht möglich - nicht nur wegen der Geschwindigkeit, sondern auch weil man schlicht und ergreifend keinen klaren Gedanken fassen konnte, wenn man so tanzte.
Die Musik ergriff regelrecht Besitz von einem, trieb einen an, jubelte, drängte, forderte noch mehr - und wir ließen uns darauf ein, erhöhten das Tempo, bis die Welt um uns herum zu einem undeutlichen Farbenbrei verschwamm und es nur noch uns gab - uns und unseren eigenen Tanz.
Wo er einen Schritt zurücktrat, machte ich einen voran, wo ich zurückwich, preschte er vor. Es war wie ein Kampf - wie eine rege Diskussion, wie eine schillernde Herausforderung.
Die Trommeln wurden zu unserer Ordnung, die wilde Melodie zu unserer Welt, die forschen Bewegungen zu unseren Worten.
Meine Hand lag längst nicht mehr nur an seiner Schulter, wie zu Beginn des Tanzes - nein, sie wanderte von dort zu seiner Brust, zu seinem Arm, zu seiner Hand, je nachdem wie wir unsere Körper bewegten, je nachdem wie viel Abstand wir zwischen uns brachten, je nachdem wie wir einander herumwirbelten.
Auch seine Hände wanderten über meinen Körper. Von meinen Schulterblättern zu meinem unteren Rücken, von dort zu meinem Hintern, von meiner Schulter zu meiner Hüfte, und wieder zurück. Ich genoss jede Berührung, denn sie geschahen so beiläufig und federnd im Takt der Musik und unseres Tanzes, sodass es sich nicht drängend, fordernd oder eklig anfühlte.
Er bestimmte nicht einfach über meinen Kopf hinweg, sondern erwiderte jede meiner Berührungen mit seiner eigenen, er nahm mich nicht gewaltsam in Besitz, sondern lockte mich, forderte mich heraus, neckte mich, und jedes Mal antwortete ich mit einer eigenen Salve.
Ich wurde locker, weich, ich schaltete meinen Kopf ab und gab mich dem Moment voll und ganz hin, und ich konnte nicht aufhören zu grinsen und zu lachen und zu tanzen. Ich fühlte mich berauscht und wünschte, der Moment würde nie enden.
Aber auch das beste Lied musste ein Ende haben - und so brachte er mich zum Abschluss in eine Pose, in der ich mich zurücklehnte und nur sein warmer Arm mich davor bewahrte, mir den Kopf auf dem Boden aufzuschlagen.
Für den Bruchteil einer Sekunde lichtete sich der Nebel in meinem Kopf, ich hörte Applaus und lautes Johlen und nahm vage wahr, dass man uns beobachtete, dass man uns wie gebannt anglotzte, aber da begann schon der nächste Song und ich richtete mich wieder auf.

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VIRGO
Fantasy~NaNoWriMo 2022~ Mein offiziell allererster und vollkommen öffentlicher Versuch, das Event des NaNoWriMo zu bestehen. Für mehr Infos einfach einen Blick in das Vorwort-Kapitel werfen. Amaelya ist ein Mädchen ohne jede Kindheit. Ihre Erinnerung begin...