Was wir wissen, ist ein Tropfen. Was wir nicht wissen, ist ein Ozean. Rufe ich mir das Zitat von Isaac Newton ins Gedächtnis. Anstatt mich besser zu fühlen, werde ich von einer Woge der Traurigkeit heimgesucht und ich schließe gequält die Augen. Zu wissen, dass ich im Moment nichts über den Mann, den ich über alles liebe, weiß, wirft mich vollkommen aus dem Gleichgewicht und das einzige, das zurückbleibt, ist der bittere Nachgeschmack von Hilflosigkeit.
Dass Preston gerade eine schwierige Phase durchmacht, ist mir bewusst. Es ist zu verstehen, dass der Tod von seinem Vater seine Welt erschüttert hat. Die beiden waren nicht nur eine Familie gewesen, sondern auch die aller besten Freunde. Und nun ist Preston gezwungen, ohne seinen Freund weiterzuleben, etwas das sich als sehr schwer erweist. Mein eins herrischer, kontrollsüchtiger und fröhlicher Freund, befindet sich in einer emotionalen Starre. Eine Starre, die jegliches Licht aus seinen Augen erlöscht hat und ihn wie eine leblose Hülle wirken lässt. Dass er mich nicht von sich stößt, überrascht mich zugegebenermaßen, da er fast alle Menschen, die nur das Beste für ihn wollen, von sich wegschiebt. Sollte ich mich über die Tatsache, dass er mich bei sich haben möchte, freuen? Womöglich, doch das ist nicht der Fall. Wie denn auch? Wie kann ich mich darüber freuen, wenn er nur körperlich anwesend ist? Manchmal fühlt es sich so an, als wäre unsere Beziehung mit seinem Vater beerdigt worden und wir sind nur noch aus Gewohnheiten zusammen.
,,Hör auf'', flüstere ich mir selbst zu und starre die Tür an, die mich von Preston trennt. Seit mehreren Minuten stehe ich vor der Haustür von meinem Freund und rede mir Mut zu. Wie immer rufe ich mir ins Gedächtnis, dass seinem monotonen Auftreten nichts mit mir zu tun hat. Er ist traurig und verletzt, was sehr verständlich ist. Seufzend schiebe ich den Schlüssel in meiner Hand in das Schloss und drehe ihn. Nachdem ich die Tür geöffnet habe, betrete ich sein Haus und lass die Tür wieder ins Schloss fallen.
,,Daddy?'', rufe ich nach ihm und gehe in das Wohnzimmer, welches ich leer auffinde. Verwirrt begebe ich mich Richtung Schlafzimmer und frage mich, ob er überhaupt zu Hause ist. Warum sollte er mich hierher bestellen, wenn er nicht anwesend ist? Immer noch irritiert, öffne ich die Tür von seinem Schlafzimmer. Sofort halte ich in meiner Bewegung inne und habe das Gefühl zu fallen. Gott, es fühlt sich an, als würde ich so hart auf den Boden aufprallen, dass das Atmen mir schwerfällt. Reflexartig beginne ich zu keuchen, während ich auf Preston starre, der über einer nackten Frau liegt und mich fast schon teilnahmslos ansieht.
,,Es ist nicht das, wonach es aussieht'', kommt es kalt aus seinem Mund und er erhebt sich. Schnell greift er nach seiner Boxershorts und zieht sie sich an. Es ist nicht das, wonach es aussieht. Diesen Satz aus seinem Mund zuhören, ist das Schmerzvollste, was ich jemals zu hören bekommen habe. Mit feuchten Augen sehe ich zu der Frau in seinem Bett, die versucht, ihren nackten Körper zu bedecken und ich schließe die Augen. Es ist genau das, wonach es aussieht.
,,Du hättest mich bitten können, dich zu verlassen'', flüstere ich weinend. Dass diese Aktion einen Zweck hat, ist mir bewusst.
,,Es tut mir leid'', erwidert er kalt. Die unechte Entschuldigung bringt mich dazu, einen Schritt nach hinten zu setzen und wild mit dem Kopf zu schütteln. Dass es ihm leidtut, mich zu verletzen, das glaube ich ihm. Doch ihn mit dieser Frau zu erwischen, tut ihm nicht leid. Nicht einmal ein bisschen. Er wollte von mir erwischt werden, er wollte, dass ich das sehe. Aber warum? Damit ich ihn verlasse? Ist das, was er möchte? Ein Blick in seine Augen bestätigt mir meine Annahme. Weinend gehe ich auf ihn zu und bleibe dicht vor ihm stehen.
,,Du bist frei'', hauche ich. Er schließt die Augen und atmet fast schon erleichtert aus. Mein Herz bricht bei dieser Reaktion in zwei Teile. Will er mich wirklich so sehr aus seinem Leben haben?
,,Verlasse mein Haus'', sagt er, ohne mich anzusehen. Weinend öffne ich meinen Mund, um etwas zu sagen, entscheide mich jedoch dafür, seiner Bitte nachzukommen. Nicht für ihn, sondern für mich. Um dieser Situation zu entkommen, um ihm zu entkommen, bevor er den Mund aufmacht und mir noch mehr wehtut.