Ins Gewissen geredet...

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„Na, jetzt wo sie wieder da ist, wo ist da das glückliche Paar? Ich hätte eigentlich gedacht, darüber etwas in der Presse zu lesen.", begrüßte mich jemand in meinem Büro, den ich so nicht erwartet hatte. Rafael, lässig angezogen ohne Bikermontur, saß auf meinem Stuhl und grinste mich hämisch an, als ich mein Büro betrat.
Kaiba-Land war seit drei Wochen fertig und Lisa half aus, wo sie nur konnte. Wie sie es versprochen hatte. Außerdem rührte sie mit ihrer ehemaligen Musiktruppe aus der Akademie kräftig die Werbetrommel und hatte versprochen, am offiziellen Eröffnungsabend aufzutreten. Das lockte noch mehr zukünftige Investoren an. Ihr Ruf als Juwel der Kaiba-Academy war immer noch all gegen wertig. Doch sie vermied es, mit mir über privates zu reden.

Jeden Versuch meinerseits blockte sie ab. Mokuba erzählte mir ebenfalls nichts über sie, was im geringsten Privat wäre. Wenn ich versuchte, mit ihm darüber zu reden, blockte er dann ab und wechselte das Thema. Allerdings wusste ich aus Gesprächen, die ich halb mitbekommen hatte, dass Mokuba viel über ihre Vergangenheit erfuhr. So erfuhr ich, dass ihre Fußverletzung von einem Unfall aus ihrer Kindheit herrührte und sie deswegen immer noch damit zu tun hatte. Sie meinte zu Mokuba, dass nicht verheilte Verletzungen vor der Götterweihe dazu neigten, dauerhaft zu bleiben. Da am Tage der Götterweihe der Ist-Zustand sozusagen eingefroren wurde. Deswegen sah sie immer noch aus wie siebzehn. Das war das Alter, an dem sie ihre volle Macht bekam. Wenn ich so darüber nachdachte, dann war das ein sehr junges Alter für eine solche Verantwortung. Anderseits war ich nicht viel Älter gewesen, als ich meine Firma übernahm. Wir hatten also in dieser Hinsicht etwas gemeinsam. 

„Was willst du hier? Und wie bist du an meiner Security vorbei gekommen?", herrschte ich ihn an und kam so wieder im Hier und Jetzt an. „Solche banalen Fragen hätte ich nicht von dir erwartet. Du bildest dir doch sonst immer etwas auf deine Intelligenz ein. Aber nein, Lisa hat mich nicht eingeschleust hier, falls du das vermutest. Sie weiß gar nicht, dass ich da bin.", erklärte Rafael. „Du bist also wegen ihr hier?", fragte ich mit hochgezogener Augenbraue nach. „Bingo. Aber nicht nur ich alleine. Andere haben dazu auch noch was zu sagen.", erklärte er und aus dem Büronebenraum traten die anderen beiden. Alister, ebenfalls sehr zivil angezogen und noch ein weiterer junger Mann mit braunen Haaren. Ich vermutete stark, dass es sich um jenen Valon handelte. Ihn hatte ich nur in der Vergangenheit gesehen. Und er sah dem damaligen zum Verwechseln ähnlich.

„Und was soll dieser Auflauf in meinem Büro?", hakte ich nach und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir können nicht weiter zusehen, wie du ihr noch mehr weh tust. Sie hat in dieser Hinsicht schon genug gelitten. Und deswegen haben wir drei beschlossen, dir unsere Meinung zu geigen!", kommentiere Valon grimmig und lies sich auf meiner Bürocouch nieder. „Trennungen sind nun mal schwer! Und jetzt verschwinde von meinem Stuhl. Und dann raus hier!", rief ich und lief auf meinen Schreibtisch zu. Doch Rafael stand schneller auf als ich vermutete und packte mich am Kragen. Er hob mich hoch und stemmte mich gegen die Fensterwand hinter dem Schreibtisch.

„Ich geb dir gleich Trennungen, du arroganter Fatzke. Lisa hilft dir nicht aus reiner Herzensgüte sondern weil sie auf etwas gehofft hatte. Aber du arroganter Schnösel bist mal wieder zu sehr mit dir selbst beschäftigt, als dass du es sehen könntest. Ich hab dir nicht umsonst verraten, wo Lisa wohnt! Ich wollte ihr damit einen Gefallen tun und nicht dir. Und du? Du nimmst nichts an und pflegst lieber dein verletztes Ego, anstatt mal auf jemanden zu zu gehen! Weit kann es da ja nicht mit deinen Gefühlen für sie sein.", keifte er. „Rafa, es reicht. Wenn Lisa erfährt, dass wir uns in ihr Leben einmischen, dann wird sie sich nur wieder zurück ziehen und keinen mehr an sich ranlassen. Willst du das wieder?", versuchte Alister die Situation zu entschärfen.

„Er hat Recht, Rafael. Du weißt, wie sie drauf war, als sie wieder nach Hause kam. Dich hat sie zwei Wochen komplett ignoriert und mit Alister auch nur das Nötigste gesprochen. Willst du jetzt endgültig auf der Abschussliste stehen, weil du ihm wehgetan hast? Auch wenn er es verdient hätte.", gab Valon dazu. Rafael lies mich runter und seufzte: „Ihr habt ja recht. Aber dennoch. Dieser Mistkerl hier sieht nicht was er im Begriff ist zu verlieren!", rief er. „Eifersüchtig?", hakte ich belustigt nach. Doch es war Alister, der für Rafael in die Presche sprang. „Es geht hier nicht allein um Eifersucht. Als wir wieder unsere Seelen hatten, kamen wir noch einmal in unser altes Zuhause und jeder von uns bekam einen Brief von Lisa. Einen Abschiedsbrief.", erklärte er traurig. Ich sah in die Gesichter der anderen beiden und erkannte, dass es die Wahrheit war.
„Und wieso erzählt ihr mir das? Wenn Lisa Tabularasa macht, dann betrifft das nicht mich.", meinte ich. „Lisa gibt sich immer noch die Schuld für unser angeblich verpfuschtes Leben. Dabei war sie unser aller Licht. Nur wegen ihr wurden wir zu einer Familie.", erklärte Valon. Von Rafael wusste ich was er damit meinte, immerhin hatte ich seinen Treueschwur selbst miterlebt und Alister hatte mir ebenfalls einen Teil seiner Geschichte gezeigt. Doch was verband Valon mit Lisa?
„Ich hab Lisa als Jugendlicher bestohlen. Doch anstatt mich im ersten Moment anzuzeigen lächelte sie nur, gab mir das Geld und meinte, ich sollte doch mal was anderes versuchen. Ich hab Dartz nie abgenommen, dass Lisa mich in die Jugendstrafanstalt gebracht hatte. Als Dartz mich dann auf die Insel nahm und ich meine Aggressionen immer noch nicht im Griff hatte, traf ich erneut auf sie. Sie half mir mit Schwerttraining und Meditation mein inneres Gleichgewicht zu finden. Aber nicht nur das, wir verstanden uns besser als mit sonst jemanden. Sie wurde zu der Schwester, die ich niemals hatte. Und jetzt? Jetzt ging sie einfach weg und will mit uns allen nichts mehr zu tun haben. Ihrer Meinung nach habe sie genug in unserem Leben angerichtet und verdiene es nicht, weiter Teil dessen zu sein.", erklärte Valon.

„Ich versteh immer noch nicht, was das mit mir zu tun haben sollte?", fragte ich verwirrt. Ich wusste doch, wie wichtig ihr die Männer vor mir waren. Wieso zum Henker bestrafte sie sich selber?
„Kaiba, verstehst du es nicht? Wir waren ihre Familie... Und zu dir geht sie? Ohne einen Brief? Dafür gibt es nur einen Grund, und es nicht nur der um sich zu entschuldigen. Nein! Sondern der um in deiner Nähe zu sein, versteh das endlich!", rief Rafael und pflanzte sich nun neben Valon.

„Es ist die Wahrheit. Und falls du es uns nicht glaubst, glaubst du vielleicht ihm.", meinte Alister und setzte sich nun ebenfalls. Doch ich traute meinen Augen nicht, wer da vor mir auftauchte. Dartz, doch mit einem sichtbaren Veilchen im Gesicht. „Bevor du fragst, dieses Veilchen habe ich allen dreien zu verdanken und ich habe es verdient.", meinte er und lies sich mir gegenüber nieder.

„Jetzt ist ja das Chaos-Quartett komplett.", grummelte ich. „Nicht ganz, wir waren immer ein Quintett. Aber wie die Jungs schon sagten: Lisa hat sich von der Welt zurückgezogen. Und daran bin ich nicht ganz unschuldig. Ich hab Lisa damals auf dich angesetzt. Sie wusste jedoch nicht, wer du genau warst. Sie wusste nur, dass sie mit dem Sohn von Gozaburo ausgehen sollte. Allein schon diese Idee fand sie nervig, aber sie war mir noch einen Gefallen schuldig, also ging sie an deine Schule. Wie du weißt, nahm sie ihre Versprechen immer ernst. Ist so ne Götterkiste irgendwie... Also jedenfalls: Ich wusste ganz genau damals, wer du warst. Und wem du ähnlich siehst. Du bist ihrer ersten großen Liebe wie aus dem Gesicht geschnitten. Und genau darauf baute ich. In dem ich sie wegschickte, hatte ich etwas gegen Rafael in der Hand und am Ende auch gegen sie. Wer hätte gedacht, dass du so gut dahinein passt.", erklärte Dartz.

Das erklärte, nach so vielen Jahren, ihr kurzes Zusammenzucken, als ich die Aula damals betrat. Sie hatte tatsächlich einen Geist gesehen. „Und wie soll mir das jetzt weiter helfen? Sie liebt mich nicht um meiner Selbstwillen, sondern weil ich nur wie jemand aussehe, den sie liebte. Am Ende bin ich nur seine Wiedergeburt.", konterte ich. „Ach das ist Quatsch. Chrispen war wesentlich netter als du.", warf Valon ein. Ich ignorierte den Einwurf und sah zu Dartz. Denn dieser hatte schallend losgelacht. „Was ist daran so witzig?", fragte ich gereizt.
„Weil das vollkommen unmöglich ist.", sagte er. Dann atmete er tief durch und erklärte: „Als Chrispen sein Leben für Lisa gab in dem er sie vor einem Schwertstreich eines Orichalcoskriegers rettete, brach ihr Herz und ihre Kräfte explodierten. Jede Seele im Umkreis von zehn Kilometern, die nicht mehr ganz an den Körper gebunden war, wurde unwiderruflich zerstört. Darunter auch die von Chrispen. Und das hat sich Lisa in den ganzen zehntausend Jahren nie verziehen. Du siehst nur aus wie er, das stimmt. Aber sie hat sich in dein Herz verliebt. Wobei ich immer noch daran Zweifel, dass du eines hast.", erklärte Dartz und stand auf. „Denk darüber nach, was du erfahren hast. Und noch eines: Die drei hinter mir würden keinen Moment zögern, dir ebenfalls ein Veilchen zuzufügen, wenn du nicht bald Lisa von ihrem Leid erlöst. Entweder du entsagst dich ganz von ihr oder du stehst zu deinen Gefühlen.". Und mit diesem Satz verschwanden alle vier aus meinem Büro und liessen mich mit meinen Gedanken allein.

Allerdings liessen die drei mich nicht in Ruhe. Valon war der Erste, der mich erneut aufsuchte. Er saß einen Tag später in meinem Büro und begrüßte mich. „Na, Kaiba, endlich eine Lösung gefunden?", fragte er grinsend. „Parasiten loszuwerden? Anscheinend nicht, sonst wärst du nicht hier.", murrte ich. „Ach komm, gibst du jedem Parasiten das, was er will, dann verschwindet er von ganz alleine. Wusstest du eigentlich das Whevel Underwood auf Lisa stand?", fragte er und lies sich dann mir gegenüber nieder. „Ich hab so etwas geahnt. Aber warum gehst du mir wieder auf den Keks? Ich muss noch meinen Themenpark weiter führen.", sagte ich. „Ich will dir etwas zeigen.", sagte er. Ich verdrehte die Augen und nickte. „Mach. Damit ich endlich meine Ruhe habe.".

Valon hab seine Hand zum Handschlag und ich schlug ein. Dann sah ich eine Erinnerung.

Das Herz des Seto Kaibas Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt