1 Alptraum und Neuzugang

737 33 20
                                    



...nicht gerade elegant versuchte ich diesem gräßlichen, gelb-schwarz-gestreiften Flugtier mit einer Fliegenklatsche nahe zu kommen – leider bisher erfolglos... ich verfolgte die Wespe in Zickzacklinien durch einen engen Kellerflur, das Brummen ein ständig nerviger Begleiter in meinen Ohren. Furchtbar! Wenn ich ihn nicht bald erwischte, blieben mir nicht mehr viele Gelegenheiten – da vorne war schon die Tür nach draußen und sie stand einen Spalt offen! Mit einem letzten Satz versuchte ich das Brummtier zu erwischen, landete mit meiner Fliegenklatsche in der Hand kurz vor der Tür und schlug zu. Mist! Die Wespe sauste durch den Spalt nach draußen. Verzweifelt riss ich die Tür auf und – prallte gegen ein felliges Monstrum! Oh nein – er hatte sich verwandelt, packte mich auch direkt mit seinen Pranken und drückte immer fester. Ich bekam kaum noch Luft, obwohl ich strampelte wie verrückt! Dieser Druck in meiner Lunge wurde unerträglich, Hilfe!!

Zack! Mit einem Schlag war Carag hellwach. Noch halb in Panik befreite er sich von der dicken Decke, die sich irgendwie um seinen Kopf gewickelt hatte. Endlich! Mit noch immer schnell pochendem Herzen atmete er ein paar Mal tief ein und aus. Wie wunderbar sich das anfühlte – einfach zu atmen! So langsam fühlte er sich wieder ruhiger und fuhr sich mit der Hand durch die Haare – igitt – sie waren klatschnass, so sehr hatte er geschwitzt. Kein Wunder, wie lange war er wohl schon in der Decke gefangen gewesen?

Dieser Dreckskerl Goodfellow! Wegen ihm plagte Carag sich hier mit Alpträumen – er war ja wohl alles andere als ein ‚good fellow' - wie kam er bloß zu diesem Namen?!

Draußen konnte man den Mond silber hell am dunklen Himmel sehen, ein paar raschelnde Geräusche waren auch in der Ferne zu hören, ansonsten war alles ruhig. Es ging schon Richtung Morgendämmerung, das spürte Carag sofort. Mit einem unguten Gefühl dachte er an seinen Traum – würden sie mit Goodfellow nochmal Ärger haben?

Neben ihm im Zimmer schnarchte Brandon ausnahmsweise mal sehr leise vor sich hin. Carag ließ sich wieder auf die Matratze sinken und schloss die Augen. Hoffentlich konnte er bald wieder einschlafen. Vielleicht waren ihm ja noch ein zwei Stündchen Schlaf vergönnt, bevor der nächste Schulwahnsinn wieder losging...

****

„Hey Carag, wach endlich auf!"

Hatte Brandon seinen Wecker falsch gestellt? Es konnte unmöglich schon Zeit zum Aufstehen sein...

„Lass mich schlafen, dein Wecker geht vor..." Müde brummte Carag vor sich hin.

„Du bist gut, ich versuch hier seit 10 Minuten dich zu wecken!" Brandon lachte kurz auf.

„Was? Seit 10 Minuten? Das heißt ja vom Frühstück ist gleich nichts mehr übrig!" Keine beruhigende Vorstellung für einen Pumajungen im Wachstum ...

„Eben. Also komm endlich in die Gänge!" Brandon stand schon auf und begab sich Richtung Zimmertüre.

Da blieb Carag wohl nichts anderes übrig als sein Bett aufzugeben, schließlich wollte er nicht hungrig zum Unterricht, oder noch schlimmer, mit ein paar übrig gebliebenen Gurkenstückchen Vorlieb nehmen...

****

Gerade saßen sie im Unterricht bei Mr. Bridger, als die Zimmertüre aufging und Miss Clearwater eintrat. Nanu? Gab es Neuigkeiten oder sonst irgendwas Wichtiges? Sie kam sonst nur äußerst selten mitten in die Stunde anderer Lehrer.

Miss Clearwater blickte sich um und nickte auffordernd in Richtung Flur. War da noch jemand? Das wurde ja immer seltsamer...

Kurz darauf betrat ein Mädchen den Raum. Sie sah nicht gerade froh aus, hier zu sein, im Gegenteil, sie wirkte richtig ärgerlich. In der Klasse begann sofort aufgeregtes Geflüster.

„Ich bitte um Ruhe", Miss Clearwater setzte dem sofort ein Ende, nur Holly eine Reihe weiter vorne zappelte aufgeregt mit den Beinen unter dem Tisch herum.

„Ich darf euch Samiya vorstellen, sie geht ab heute auf unsere wunderbare Schule. Ich bin mir sicher, ihr alle werdet ihr den Anfang hier so leicht wie möglich machen." Dabei warf Miss Clearwater einen besonderen Blick in Richtung Jeffrey und seiner Bande. Völlig zurecht, wie Carag fand. Er bemerkte auch, wie sich etwas Neugier in Samiyas Blick schlich, als sie den Augen der Schulleiterin in Richtung der Wolfswandler folgte. Ob sie ahnte was hier auf sie zukam?

„Hier neben Henry ist noch ein Platz frei. Willkommen Samiya." James Bridger deutete lächelnd auf den freien Stuhl neben Henry, auf dem Samiya kurz darauf mit grimmiger Miene Platz nahm. Henry warf ihr einen skeptischen Blick zu und versuchte sich an einem „Hi, ich bin Henry". Falls er eine Antwort erwartet hatte, wurde er allerdings enttäuscht. Samiya verschränkte die Arme und starrte vor sich hin.

Henry drehte sich um und warf Carag einen fragenden Blick zu. Der zuckte nur mit den Schultern und schaute zu Miss Clearwater, doch die war schon wieder verschwunden. Was war denn hier los? Dieses Mädchen war der erste Neuankömmling an der Clearwater High, der sich nicht freute oder zumindest aufgeregt war hier zu sein. Zumindest was Carag bisher mitbekommen hatte. Neben Henry saß sie nun schräg rechts vor ihm - ohne sich großartig verrenken zu müssen, konnte Carag sie unauffällig beobachten. Leider war alles, was er im Moment von ihr sehen konnte, ihr sehr hellblonder, dichter und etwas verstrubbelter Haarschopf. Etwas über die Schultern reichten ihre Haare, aber im Gegensatz zu Lous glatten, geraden langen Haaren, waren Samiyas Haare alle unterschiedlich lang. Insgesamt sah das doch ziemlich wild aus...

„Möchtest du dich kurz vorstellen oder etwas über dich erzählen?" Mr. Bridger schaute unseren Neuzugang freundlich an. Aber auch er wurde enttäuscht. Samiya drehte demonstrativ den Kopf zur Seite und starrte die Wand an. Uiuiui... das konnte ja heiter werden. Die ganze Stunde sagte sie kein Wort, saß mit verschränkten Armen an ihrem Stuhl angelehnt und rührte sich nicht.

Aber was viel seltsamer war, Carag konnte überhaupt nichts wahrnehmen. Keine Witterung, kein Gefühl – nichts. Keine Spur von dem Tier in das sie sich verwandeln konnte...

***


Call of the wildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt