Samstag Nachmittag. Auf dem gesamten Gelände der Clearwater High war es deutlich ruhiger als die ganze Woche über. Viele Schüler waren zu ihren Eltern nach Hause gefahren oder auf den ein oder anderen Ausflug abgeholt worden. Auch Brandon, Holly und Henry waren unterwegs mit ihren Familien.
Einer der Hiergebliebenen schlich auf leisen Pfoten zwischen den Bäumen am Rande des Schulgeländes herum. Es war ein blaugrauer Kater mit hellen, grünen Augen.
Dorian war auf der Suche nach Samiya. Den ganzen Freitag Abend und die halbe Nacht, naja, beinahe, hatte er nachgedacht. Zumindest wenn er nicht geschlafen hatte. Und er war zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Freunde ein kleines bisschen Hilfe brauchten. Diplomatische Hilfe. Dafür war er hoffentlich genau der Richtige.
Eigentlich mischte sich der blaugraue Kater ungern in die Angelegenheiten anderer ein, aber hier hatte er das beunruhigende Gefühl, dass seine Freunde den Karren gerade mächtig an die Wand fuhren. Also musste er etwas unternehmen.
***
Samiya saß in einer Astgabel ihres großen Lieblingsbaumes und starrte ins Leere. Nun hatte sie ihre Ruhe aber es fühlte sich alles andere als gut an. In ihrem Inneren nagte ein ungutes Gefühl und das hatte mit ihren neuen Freunden zu tun. Und mit einem gewissen Pumajungen.
Samiya fühlte sich schuldig. Und das nicht erst seit heute, aber nun konnte sie das Gefühl nicht mal mehr ignorieren. Sie hatte in den ersten Tagen diese kleine Gruppe von Schülern so sehr als Einheit erlebt – Carag, Holly und Brandon, dann noch Dorian und Henry. Das waren richtig gute Freunde.
Und nun kam sie an und machte alles kaputt. Eigentlich wollte sie ja für sich bleiben, wollte sich von Carag und seinen Freunden fernhalten, deswegen hatte sie sich ja auch extra zu den Wölfen gesetzt – nur hatte es nicht funktioniert. Holly war so kontaktfreudig und neugierig, es hatte sich einfach so ergeben, und nun war da schon dieses feine, leise Band zwischen ihnen entstanden. Sie würde Holly schmerzlich vermissen, wenn sie nicht mehr mit ihr in einem Baum sitzen könnte. Und Henry hatte sie gleich so offen angenommen, es war einfach entspannt und nett mit ihm in so vielen Stunden zusammen zu sitzen.
Natürlich war ihr Carags finstere Miene die letzten Tage aufgefallen und er tat ihr mittlerweile richtig leid, nur was sollte sie machen? Allein ihn immer wieder als Puma zu sehen brachte sie schon an den Rand ihrer Beherrschung. Einmal war ihr sogar schon Fell im Nacken gewachsen, zum Glück waren ihre Haare lang genug, so hatte es niemand bemerkt. Und nicht nur das. Sie spürte es auch, wenn er in Menschengestalt war, nur war es dann nicht ganz so stark.
The call of the wild – Samiya hatte ihre Oma gehört, wie sie darüber mit irgend jemandem am Telefon gesprochen hatte. Vielleicht sogar über sie selbst. Sie hatte es damals nicht ganz verstanden, aber mittlerweile konnte sie sich zusammenreimen was hier vor sich ging... zumindest teilweise, es war ja offensichtlich...
Und deswegen konnte es hier eben nicht beides geben. Entweder sie gab ihren Vorsatz auf, dann könnte sie sich wieder verwandeln, oder sie blieb dabei – und hielt sich von Carag fern. Es brauchte keine Lupe um zu sehen, dass sie richtig in der Patsche saß.
Jetzt wurde es sogar schon für Carags Freunde kompliziert. Samiya war nicht blind, sie sah, wie schwierig die Situation für alle war.
Auch für sie selbst war es nur noch schwer auszuhalten. Sie wollte auf keinen Fall noch länger jemanden hier verletzen. Aber gab es überhaupt noch einen Ausweg? Egal was sie tat, irgendwer würde immer enttäuscht werden...
Da hörte sie ein leises Rascheln unter dem Baum auf dem sie saß. Als sie nach unten schaute, sah sie einen blaugrauen Kater mit ein paar trockenen Ästchen spielen. Dorian hatte wohl gewollt, dass sie ihn bemerkte.
‚Hey Samiya... ich komm rauf, okay?' Dorian setzte schon zum Sprung an und war eins-zwei-drei schon am Stamm entlang nach oben geflitzt. Samiya versuchte erst gar nicht, ihn aufzuhalten, Dorian machte eh was er wollte. Elegant ließ er sich auf einem Ast schräg vor ihr nieder, eine seiner Vorderpfoten baumelte in der Luft.
Dorian musterte das Mädchen vor sich genauer. Ihre Haare sahen noch wilder aus als sonst, ein paar hellblonde Strähnen hingen ihr ins Gesicht, ihre Augen wirkten traurig. Genau wie Carags die letzten Tage.
‚Dir geht's grade nicht so gut, oder?' Dorian schaute kurz auf die Erde unter ihm, dann wieder zu Samiya.
‚Und du bist nicht der Typ für Smalltalk,' es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Samiya runzelte die Stirn.
‚War ich noch nie.' Dorian versuchte etwas aus Samiyas Gedanken zu lesen, wenn sie ihm schon keine richtige Antwort gab, aber da war nichts. Sie hatte ihr Innerstes gut abgeschirmt.
‚Du solltest das nicht machen... ich hab's gemerkt, weißt du?' Samiya sah ihn kurz direkt an und lehnte dann den Kopf nach hinten an den Stamm.
‚Oh. Entschuldige.' Dorian war seit langem kurz überrascht. Es gab sonst nicht viel, was ihn überraschen konnte. ‚Ich bin immer so gern still und leise neugierig...' sein Schwanz schlug einmal kurz hin und her.
‚Ja das denk ich mir,' Samiya schenkte ihm ein kurzes, kaum sichtbares Lächeln.
‚Weißt du, dass es Carag grade gar nicht gut geht?' Dorian redete nicht gerne um den heißen Brei herum. Er hatte schließlich eine Mission.
Samiya sagte erst mal nichts. Sie seufzte und schloss dann die Augen. Eine ganze Weile war es still zwischen den beiden.
‚Er und Holly haben vorhin schon fast gestritten. Das haben sie zuvor noch nie.' Der grau-blaue Kater setzte sich auf und fragte sich, ob er heute von Samiya nochmal eine Antwort bekommen würde. Da öffnete sie schon die Augen und sah ihn eine ganze Weile nachdenklich an.
‚Danke, dass du so ehrlich zu mir warst,' Samiya stand langsam auf, ließ sich am Ast herunter gleiten und sprang auf die Erde. War es möglich, dass sie jetzt noch trauriger aussah als Carag?
Dorian schaute ihr verwundert nach.
‚Ich fürchte nur, ich weiß keine gute Lösung für das Problem... Mach's gut, Dorian.' Samiya war schon einige Schritte entfernt, als der Kater auf dem Baum noch ihre Stimme in seinem Kopf hörte.
Mach's gut? Was sollte das heißen? Nicht bis später oder bis morgen? Ein leiser Zweifel schlich sich in Dorians Kopf.
War es wirklich eine gute Idee gewesen, mit Samiya über Carag zu sprechen?
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Call of the wild
FanfikceSamiya - neu an der CH - lehnt jede Verwandlung ab und sorgt auch sonst für einges an Aufregung. Leider fühlt sich Carag von Geheimnissen magisch angezogen und nicht nur davon... Aber auch Jeffrey hat ein Wörtchen mitzureden... Carag und seine Fr...