7 Eine Frage der Geduld...

346 22 42
                                    



„Wow, was war denn das eben?" Henry starrte mit aufgerissen Augen zum Tisch der Wölfe.

„Tja, das war Jeffrey, der seine Kompetenzen überschreitet." Dorian hatte wir immer einen trockenen Kommentar parat. Prompt traf ihn Jeffreys eisiger Blick, der natürlich auch als Mensch sehr gute Ohren hatte.

„Das musste ja früher oder später mal so kommen, wie damals, als du neu hier warst und dich am Buffet beinahe verwandelt hast wegen Jeffrey." Brandon hatte bereits wieder angefangen zu essen und deutete mit seiner Gabel zum Buffet.

„Ohhhh, schade, dass sie sich nicht verwandelt hat! Ich hab soooo drauf gewartet!" Holly machte eine große Handbewegung und stieß dabei ihr Glas um, das Wasser ergoss sich direkt über Carags Ärmel und bildete einen kleinen See auf seinem Teller.

„Ahhrg – Holly, jetzt beruhig dich doch mal! Also echt. Ihhh, ist das nass..." Carag versuchte seinen triefenden Ärmel mit der anderen Hand über dem Teller auszuwringen, was nur mäßig gut funktionierte. Entnervt gab er auf und ließ sich nach hinten gegen die Lehne fallen.

„Mal ehrlich Holly, ich glaube du solltest dich etwas zurückhalten, wenn wir Samiya ständig so bedrängen wegen ihrer zweiten Gestalt, redet sie kein Wort mehr mit uns." Dorian faltete seine Serviette und legte sie ordentlich auf seinen leeren Teller. Er war wahrscheinlich der Einzige an der ganzen Schule, der so ein Ding überhaupt richtig benutzte.

„Pfffff..." machte Holly da nur. Dann warf sie einen Blick zu  dem nassen Pumajungen und zog etwas zerknirscht die Augenbrauen zusammen. "Uh - sorry Carag..." 

„Was glaubst du denn, warum sie sich heute zu den Wölfen gesetzt hat?" Dorian schaute Holly triumphierend an.

„Ach, das kann doch tausend Gründe haben... na gut von mir aus, bin ich eben ein bisschen still ab jetzt." Brandon schnaubte durch die Nase aus als er Holly so hörte. „Das möchte ich erleben."

„Glaubt ihr, sie ist auch ein Wolf?" Henry schaute skeptisch in die Runde – Verstärkung für das Rudel wäre nicht unbedingt nach seinem Geschmack. Dorian fing seinen Blick auf.

„Könnte schon sein, wer setzt sich sonst freiwillig da rüber?"

„Die Raben zum Beispiel." Ich warf einen Blick zu Wing und Shadow, die immer schon gern bei den Wölfen saßen, wenn sie nicht bei uns waren...

„Die sind ja auch verrückt," meinte da Brandon und schüttelte den Kopf.

„Also ehrlich, ich hab keine Ahnung, was für ein Spiel sie da spielt, Wolf oder nicht, ich hab auf jeden Fall keine Geduld für sowas!" Holly schaute etwas betrübt ihr leeres Glas an und schnappte sich dann zu Carags Entsetzen sein eigenes.

„Vielleicht DIE Gelegenheit für dich, Geduld zu üben – na wie wär's, Hektikholly?" Brandon konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Das glaubst auch nur du. Geduld kann ich üben wenn ich unter der Erde bin. Außerdem ist jetzt Action gefragt." Holly war schon aufgesprungen und hüpfte quer durch die Cafeteria in Richtung Ausgang. Was hatte sie denn vor? Doch nicht etwa Samiya Gesellschaft zu leisten? Ohoh... Carag bezweifelte, dass das eine so gute Idee war...

***

Holly musste nicht lange suchen. Sie hatte ein wunderbares Talent dafür, ihre Umgebung in kürzester Zeit auszukundschaften und so entdeckte sie Samiya schnell auf dem untersten dicken Ast einer großen Kiefer, die etwas entfernt vom Übungsplatz wuchs. Sie saß mit dem Rücken an den Stamm gelehnt und schaute in ein Buch. Erste Erkenntnis: Samiya konnte gut klettern. Wie wäre sie sonst auf den Baum gekommen?

Holly bemühte sich extra, langsam auf den Baum zuzuschlendern, was wirklich anstrengend war, klopfte dann an den Stamm und fragte: „Stört es dich wenn ich auch raufkomme? Ich liiiebe Bäume!" Schon hatte Holly sich verwandelt und hing am Baumstamm. Abwartend blickte sie nach oben.

„Interessierts dich denn ob es mich stört?" Samiya schaute lange genug von ihrem Buch auf, um das Rothörnchen unter ihr genauer zu mustern.

Was? Hmm... gute Frage! Also ich komm jetzt rauf, ja?" Holly kletterte einmal um den Stamm herum und landete dann mit einem flinken Satz auf dem Ast über Samiya. Dort angelte sie sich einen Kiefernzapfen und begann genüsslich daran herum zu knabbern.

Samiya beobachtete das buschige Tierchen, in ihrem Blick konnte man die Verwunderung deutlich sehen. Immerhin redete Holly diesmal nicht ununterbrochen. Und obwohl Samiya die Stimme des Rothörnchens in ihrem Kopf hörte und Holly auf den Ästen hin und her hopste, spürte sie keinerlei Bedürfnis, sich ebenfalls zu verwandeln. So langsam fiel die Anspannung von ihr ab und sie konzentrierte sich wieder auf ihr Buch. Vielleicht war ein bisschen Gesellschaft ja gar nicht so schlecht... neue Freunde, hatte ihre Oma doch gesagt, na also, da konnte die alte Dame mit der Entwicklung ja höchst zufrieden sein...

Was liest du denn da?" Oh dieses Hörnchen konnte wohl doch nicht lange still sein.

Samiya hob ihr dickes Buch hoch, so dass Holly den Titel sehen konnte.

Die unendliche Geschichte. Klingt ziemlich lang. Ist es spannend?" Holly ließ sich einmal auf ihrem Ast nach hinten fallen und hielt sich schnell mit dem Schwanz wieder fest.

Samiya schaute etwas genervt nach oben, so konnte doch keiner in Ruhe lesen!

Willst du mich jetzt ausfragen?"

Wenn ich darf?" Holly schaute verschmitzt nach unten. Samiya stieß langsam die Luft aus.

Okay okay, ich muss Geduld lernen... wir können uns auch einfach diesen Baum ein bisschen teilen. Ich kann ganz nach oben, ein bisschen hierhin und dorthin..."Holly balancierte schon auf einem der höheren Äste hin und her. Ihr buschiger Schwanz zuckte dabei auf und ab.

Von mir aus. Solange du nicht anfängst mit Zapfen auf mein Buch zu zielen." Samiya hatte gerade eine Seite umgeblättert und war schon wieder halb in der Geschichte gefangen.

Würde mir nie einfallen!" Holly war durchaus zufrieden mit diesem Ergebnis. Sie hatte mit Samiya geredet und das neue Mädchen saß immer noch da. Das war ja wohl ein Erfolg. Bisher war sie immer nur aufgestanden und hatte das Weite gesucht...

Call of the wildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt