48 Dejà - vu...

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Carag war es etwas unangenehm, jetzt hier so im Mittelpunkt zu stehen. Schließlich hatte er sich an diesem Nachmittag alles andere als wie ein Held aufgeführt. Der wahre Held war eigentlich jemand anderes...

„Zum Glück hat Samiya mir geholfen..." Carag wandte seinen Blick zu dem Mädchen, das ihn sozusagen gerettet hatte, und erschrak. „Samiya – was – ist alles okay?!" Alarmiert starrte er in ihr sehr sehr blassen Gesicht. Ihre Augen schienen schon durch ihn hindurch zu blicken.

Auf einmal hatte er das seltsame Gefühl, das hier schon mal erlebt zu haben. Genau wie damals – im Verwandlungsunterricht! Nein, bitte nicht schon wieder! Doch diesmal war er zum Glück nicht in Pumagestalt.

Mit einem schnellen Schritt war er direkt bei ihr, keine Sekunde zu spät! Als Samiya plötzlich in sich zusammensackte, konnte Carag sie gerade rechtzeitig halten. Er ließ sich selbst auf die Knie sinken, die reglose Samiya in seinen Armen.

„Was ist denn passiert? Ihr beide zusammen endet irgendwie immer gleich..." Auf einmal war Jeffrey neben ihnen und nahm Samiyas Hand in seine.

„Eiskalt!" Jeffrey warf dem Pumajungen einen ärgerlichen Blick zu. Da kniete auch schon Miss Clearwater neben ihnen und fühlte Samiyas Puls. Wo kam sie denn auf einmal her? Eben war sie doch noch als Adler über den See geflogen?

„Holly, schnell hol eine Decke da drüben aus meinem Rucksack!" Die Schulleiterin sah Holly nur kurz eindringlich an, da sauste diese auch wie ein Blitz davon. Kurz darauf war Samiya schon in die Decke eingewickelt.

„Was habt ihr nur gemacht da oben? Carag, du musst mir alles genau erzählen! Ihr anderen packt alles zusammen und geht mit Mr. Bridger und Mr. Brighteye schon zurück.

„Aber was ist denn mit ihr? Muss sie jetzt wieder solange im Bett liegen?" Holly war ganz aufgelöst. Warum passierte Samiya das nun schon wieder?

„Nein, ich denke nicht. Ihr Puls ist stabil, sie wird gleich wieder zu sich kommen. Wie's aussieht hat sie sich übernommen. Und dann so lange im kalten Wasser... das war einfach zu viel." Miss Clearwater sah die Schüler beruhigend an.

„Aber sie hat gesagt, sie war schon in viel kälterem Wasser! Und gesprungen ist sie schon tausend Mal!" Carag schüttelte frustriert den Kopf. Er fühlte sich total schuldig an Samiyas Zustand. Hätte er sich nicht so angestellt...

„Ja eben das ist ja das Rätsel, das ich zu ergründen versuche. Deshalb musst du mir genau erzählen was da oben passiert ist. Und ihr anderen – auf geht's!" Lissa Clearwater machte eine auffordernde Handbewegung in Richtung der schon aufbrechenden, restlichen Klasse. Brandon und Holly schenkten Carag noch einen mitfühlenden Blick, dann holten sie ihre Rucksäcke. Jeffrey allerdings blieb einfach sitzen.

„Jeffrey?" Der Wolfswandler sah sich dem fragenden Blick der Schulleiterin gegenüber.

„Ich geh nicht. Falls wir Samiya zurücktragen müssen, können wir uns abwechseln. Ist ganz schön weit..." Jeffreys Stimme klang entschieden. Die weißhaarige Schulleiterin sah ihn einen Moment nachdenklich an, dann nickte sie leicht.

„Also, was ist da oben passiert?"

„Ich konnte mich auf einmal nicht mehr rühren am Felsen. Sobald ich nach unten geschaut habe, war da sofort dieses Gefühl zu ersticken. Da hab ich die Augen zugelassen, aber in meinem Kopf war die ganze Zeit dieses Rauschen. Ich hab nicht gehört, wie die anderen mich gerufen haben. Nur am Anfang noch Frankie... Und mir war richtig schlecht." Carag holte einmal tief Luft. Er wagte nicht, hoch zu schauen, für den Fall, dass Jeffrey sein überhebliches Grinsen aufgesetzt hatte. Darauf konnte er gut verzichten. Lieber sah er Samiya in seinem Arm an, sie sah jetzt richtig friedlich aus. Aber immer noch sehr blass. Was hatte er nur wieder angerichtet?!

Er konnte ja nicht wissen, dass Jeffrey ähnliche Schuldgefühle plagten. Schließlich hatte er Carag zu dieser Aktion angestachelt, obwohl er genau wusste, dass der Pumawandler ein Problem mit Wasser hatte. Wenn er geahnt hätte, dass am Ende Samiya die Leidtragende sein würde...

„Naja, und dann war auf einmal Samiya da. Sie hat ihre Hand auf mein Handgelenk gelegt und mich gefragt ob ich einverstanden bin, wenn sie mir zeigt, dass alles ganz leicht geht. Dass ich keine Angst haben muss. Zuerst hab ich gedacht sie will springen und mir so zeigen, dass es ganz leicht geht, das hätte ich trotzdem nie geschafft - aber sie meinte, sie lässt mich nicht los, ich soll ihr vertrauen, sie zeigt es mir. Ich war einverstanden. Dann hat sie ihren Daumen hierhin gelegt", Carag zeigte auf die Stelle an seinem Handgelenk „und auf einmal war da dieses Gefühl. Es war warm und wie ein kleiner Fluss.

Und da hab ich mich plötzlich ganz leicht und sicher gefühlt. Ich hab Bilder gesehen als wäre ich unter Wasser – schwerelos. Und schwebend zwischen Himmel und Wasser. Ich konnte wieder atmen und die Übelkeit war weg. Kurz danach sind wir zusammen gesprungen." Carag blickte jetzt doch auf und sah zwei sehr erstaunte Gesichter vor sich.

„Und hat sie etwas gesagt als ihr unten wart? Hast du sie gefragt was das war?" Miss Clearwater sah jetzt sehr nachdenklich aus.

„Nein. Ich glaub sie war erleichtert, dass ich endlich unten war. Und dann kam schon Frankie..." Carag erinnerte sich noch an den Moment, als sie unter Wasser waren und Samiya ihn am Arm gezogen hatte. Das war bestimmt auch sehr anstrengend gewesen...

„Hm. Ich denke ich weiß, was sie getan hat. Sie hat ihre eigene Erinnerung mit dir geteilt, ihre Gefühle am Wasserfall, am Felsen und beim Springen, im Wasser. Sie fühlte sich sicher und ruhig und dieses Gefühl hat sie mit dir geteilt. Wie sie das genau gemacht hat, weiß ich allerdings nicht. Das bleibt vorerst ein Rätsel. Auf jeden Fall war es zu anstrengend. Alles zusammen. Ihr wart ja auch ziemlich lange da oben. Sie musste sich da halten, dann das kalte Wasser vorher und nachher... Es war eigentlich abzusehen..." Mitten in Miss Clearwaters nachdenklichen Worten bewegte sich Samiya auf einmal langsam hin und her. Ihre Beine bewegten sich unter der Decke, dann schlug sie kurz blinzelnd die Augen auf.

Die Schulleiterin fühlte sofort wieder ihren Puls und sah sie erleichtert an.

„Samiya – wie fühlst du dich?"

„Ganz gut, denke ich? Bin ich schon wieder umgekippt? Shit. Ich hab's ganz vergessen..." Samiya schüttelte den Kopf, als wäre sie ärgerlich mit sich selbst.

Dann fiel ihr Blick auf Carag und Jeffrey und sie bemerkte, dass sie praktisch in Carags Arm lag. Wie war denn das passiert?

„Und was macht ihr denn hier?" Mit großen, fragenden Augen sah sie die beiden an und setzte sich schließlich auf. Sie konnte hier ja nicht ewig in Carags Arm liegen...

„Wir haben gewartet, dass du wieder aufwachst, damit wir dich zurücktragen können." Jeffrey lachte. Er war so so erleichtert, dass es dem Mädchen vor ihm gut zu gehen schien.

„Haha, zurücktragen, laufen kann ich wohl noch alleine." Samiya schenkte Jeffrey ihr schönstes Grinsen und wollte schon aufstehen, doch Miss Clearwater hielt sie am Arm fest.

„Nun mal langsam. Jetzt ruh' dich noch einen Moment aus und erzähl' mir, was du vergessen hast."

„Ich habe vergessen, dass man gleich etwas essen und trinken sollte, damit das hier -" sie zeigte in einer vagen Handbewegung auf sich selbst, „ - nicht passiert. Ist nicht schlimm, wirklich. Ich sollte nur jetzt mal was essen, dann ist alles perfekt."

Carag sah Samiya ungläubig an. Da hatte sie, an einer steilen Felswand hängend, irgendeinen fantastischen Gefühle-Erinnerungen-Austausch vollführt, den er sich nicht mal im Traum hätte vorstellen können, war danach umgefallen und alles was sie dazu sagte war – sie muss etwas essen?? Typisch Samiya...

***


Call of the wildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt