54 Erkenntnisse

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„Oh Mann! Ich hab für so was echt keine Geduld!" Samiya holte ihre selbstgebaute Angel aus dem Wasser und ließ den langen Ast neben sich auf den Boden fallen. Eine knappe halbe Stunde hatte sie nun mehr oder weniger geduldig darauf gewartet, dass ein Fisch sich den kleinen Wurm schnappte, der am Ende ihrer dünnen Efeuranke baumelte. Ohne Erfolg. Und das trotz der kleinen Haken, die sie für die Angeln immerhin noch bei ihrem Material gefunden hatten.

„Mit Raja ging das immer viel schneller! Er lag ganz ruhig am Ufer und dann auf einmal – zack – hatte er den Fisch zwischen den Krallen! Das hat keine 5 Minuten gedauert! Wir sitzen jetzt schon ewig hier!"

„Wir sind ja auch nicht als Fisch-jagende Pumas hier sondern als Menschen..." Carag schaute konzentriert auf die Stelle im See, an der seine Angelleine ins Wasser tauchte.

„Du würdest auch als Puma keinen Fisch hier fangen..." Jeffrey lachte amüsiert auf.

„Vermutlich hast du Recht. Ist nicht gerade mein liebstes Jagdgebiet..." In diesem Moment zuckte Carags Angelleine verdächtig und die Rute fing an sich nach unten zu biegen.

„Du hast einen! Zieh die Leine raus Carag!! Mach schnell!" Samiya war aufgesprungen und hüpfte aufgeregt auf der Stelle. Beinahe sah sie aus wie Holly.

Carag stemmte die Füße in den Boden und zog an seiner Angel – dieser Fisch schien ja ganz schön viel Kraft zu haben! Dann schoss der – tatsächlich recht große – Seebewohner auf einmal aus dem Wasser und zappelte in der Luft herum. Carag versuchte ihn mit seiner freien Hand irgendwie zu packen, doch der Fisch zappelte viel zu sehr und war dazu natürlich noch total glitschig.

Auf einmal war Jeffrey neben ihm, packte den silbrig glitzernden Fang mit beiden Händen und presste ihn auf den Boden. Der Fisch zappelte immer noch recht energisch mit den Flossen.

„Und jetzt? Was machen wir jetzt?" Jeffrey hatte in seinem Leben noch nie geangelt und hoffte, dass Samiya oder Carag irgendwie eine Ahnung hatten, was jetzt zu tun war.

Das silbrige Wesen unter seinen Händen lag plötzlich ganz still und starrte sie aus großen, runden Augen an.

Samiya kniete mittlerweile ebenfalls neben Jeffrey und Carag am Boden und begutachtete den Fang in der kleinen Pfütze ganz genau.

„Er sieht so schön aus... so glatt. Und die Schuppen reflektieren das Licht, wie ein Regenbogen...

Lasst ihn uns zurück ins Wasser werfen! Er bekommt ja kaum noch Luft!"

Jeffrey sah Samiya an, als hätte sie den Verstand verloren.

„Bist du verrückt geworden? Jetzt haben wir endlich was gefangen und du willst ihn zurück werfen?!"

„Ja was denkst du denn, was wir jetzt tun müssten? Ihn einfach so liegen lassen bis er erstickt? Das kann eine Weile dauern!" Samiya schüttelte den Kopf und sah die beiden Jungs beinahe verzweifelt an. Ihr war gerade in diesem Moment klar geworden, dass sie das als Mensch noch nie getan hatte.

Ein anderes Lebewesen töten.

Als Puma war das irgendwie etwas anderes. Da hatte sie keine Wahl, und es fühlte sich ganz natürlich an. Aber jetzt als Mensch? Sie war nicht am Verhungern. Und dieser arme Fisch hatte ihnen doch überhaupt nichts getan... Sie war früher schon als Kind mit ihrem Opa angeln gewesen, doch da war sie nie in diese Situation gekommen, das hatte immer ihr Opa still und leise nebenbei erledigt.

„Also ich mach es nicht." Samiya war jetzt ganz klar, dass sie dieses Wesen weder auf den Boden schlagen, noch mit einem Messer oder was auch immer sein Leben beenden würde.

„Und ich will den armen Kerl auch überhaupt nicht essen. Kommt schon, wir lassen ihn leben! Oder sie. Vielleicht bekommt sie bald Junge..."

Jeffrey sah aus, als hätte gerade jemand im Radio verkündet, dass die Erde nun doch eine Scheibe wäre.

Carag hingegen blickte nachdenklich zuerst zu Samiya, dann zu dem inzwischen wieder leicht zappelnden Fisch unter Jeffreys Händen. Irgendwie tat er ihm auch leid, wie er da so lag, mit diesen großen, runden Augen. Jetzt konnte er diesem Fisch sowieso nichts mehr tun, wo Samiya ihn unbedingt am Leben lassen wollte. Sie wäre todunglücklich... Er konnte es beinahe selbst spüren, wie traurig sie wäre...

„Okay. Okay wir werfen ihn zurück. Aber zuerst muss er von der Leine..." Carag blickte auf das kleine Stück Metall, das aus dem Maul des Fisches herausschaute.

„Ich mach das. Halt ihn ganz ruhig, Jeffrey." Behutsam hob Samiya den Kopf des Fisches ein wenig an und führte dann ganz vorsichtig und langsam den kleinen Haken wieder aus dem Maul heraus. Am Ende stieß sie kurz die Luft aus.

„Geschafft. Du bist frei." Samiya lächelte Carag und Jeffrey mit glänzenden Augen an.

„Na hier, dann nimm ihn schon und rette sein Leben!" Jeffrey sah Samiya auffordernd an. Diese packte den doch recht großen Burschen mit beiden Händen, hob ihn hoch und ließ ihn dann zurück ins Wasser gleiten. Mit ein paar anmutigen Flossenbewegungen verschwand der Glückspilz in die Tiefe.

„Wow. So ein Prachtkerl." Samiya starrte lächelnd auf die Stelle im See, wo der Fisch verschwunden war.

„Ja. Und du hast ihn entwischen lassen." Jeffrey schüttelte den Kopf. Er hatte Fisch bisher immer sehr gerne gegessen. Im Restaurant. Ob das nach diesem Erlebnis allerdings noch immer so war, wagte er zu bezweifeln...

„Naja, wir haben ein Leben gerettet, ist auch nicht zu verachten, oder?" Carag beobachtete Samiya aus dem Augenwinkel – sie sah schon wieder so nachdenklich aus – und Jeffrey, der irgendwie auch.

„Also Jeffrey, immerhin wissen wir jetzt, dass wir als Anglerteam gar nicht mal so schlecht sind. Du warst genau im richtigen Moment zur Stelle." Dafür erntete Carag ein sogar recht freundliches Grinsen von Jeffrey.

„Allerdings. War schon auch irgendwie cool, so zusammen diesen Riesenfisch zu bändigen."

Jetzt war es an Carag, Jeffrey stolz anzugrinsen. Der Wolfswandler schnaubte daraufhin leise.

„Denk ja nicht, dass ich dich jetzt auf einmal mag oder so..."

„Würde mir nie einfallen..." Carag schüttelte leicht den Kopf und verkniff sich ein Lachen, das unbedingt heraus wollte. Natürlich mochten sie sich nicht. Aber ganz so schlimm stand es um sie beide wohl auch nicht mehr. Es war schwer, jemanden nicht zumindest ein kleines bisschen in Ordnung zu finden, mit dem man gerade ein Prachtexemplar von Fisch aus dem See gezogen und dann demselben auch gleich wieder das Leben geschenkt hatte.

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Hi ihr Lieben,

eigentlich sollte dieses Kapitel ganz anders verlaufen. Die drei Helden hätten tatsächlich einen schönen großen Fisch fürs Abendessen zurück zur Hütte bringen sollen. Nur hab ich dann beim Schreiben bemerkt, dass ich nicht einfach so einen armen Fisch umbringen kann. Nichtmal in einer Geschichte... erst wollte ich alles löschen und was ganz anderes schreiben, aber dann ist das hier dabei rausgekommen ;) Samiya hat beschlossen, dass sie auch keinen Fisch töten kann und so waren wir uns einig ;))

Viele Grüße, und ein schönes Wochenende!

Call of the wildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt