10 Fünf Minuten alleine...

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Endlich. Endlich war sie alleine. Und sie meinte wirklich alleine. Tagsüber schien das an dieser Schule unmöglich zu sein. Ihr Zimmer teilte sie sich mit einem Mädchen aus dem dritten Jahr – die war zwar eher ruhig aber trotzdem irgendwie fast immer anwesend, meistens lernte sie. Alles was Samiya von ihr wusste war, dass sie Caro hieß und sich in einen Milan verwandelte, was sie aber nicht sehr oft tat. Soweit Samiya wusste, lebten Milane überhaupt nicht auf dem amerikanischen Kontinent, sie hatte bisher allerdings noch nicht viel mit Caro gesprochen, also hatte sie auch keine Ahnung, wie sie hier gelandet war... vielleicht sollte sie das bald mal nachholen...

Dann hatten sie ja den halben Tag oder länger irgendwelchen Unterricht und in den Pausen war entweder Essenszeit oder überall tummelten sich andere Schüler. Es war wirklich schwer einen ruhigen Ort für sich allein zu finden. Samiya hatte ja diese alte Kiefer für sich entdeckt, sie stand etwas abseits, war riesengroß, aber offensichtlich nicht abseits genug. Schon am ersten Tag hatte Holly, dieses rote Hörnchen, sie entdeckt und darauf bestanden, ihr Gesellschaft zu leisten. Zuerst hatte Samiya sich geärgert, dass sie wieder keine Ruhe hatte, aber dann hatte sie schnell bemerkt, dass Holly sie überhaupt nicht störte. Im Gegenteil, sie schaute ihr gerne zu und fühlte sich irgendwie ruhiger, wenn Holly da war. Vielleicht weil dieses Hörnchen das genaue Gegenteil von Ruhe war. Trotzdem, Holly war in ihrem gemeinsamen Baum außergewöhnlich still und anscheinend damit zufrieden, einfach nur in Samiyas Nähe zu sein. Ab und zu wechselten sie ein paar Sätze, aber im Großen und Ganzen übten sie sich im Schweigen. Dennoch, wirklich in Ruhe nachdenken konnte Samiya im Baum mit Holly nicht. Deshalb musste sie heute Nacht einfach raus. Ohne nachzudenken hatten ihre Füße sie wieder zu dieser alten Kiefer geführt. Samiya sprang kurz vom Boden ab um mit den Händen den untersten Ast zu erreichen und hangelte sich mit den Füßen am Stamm entlang nach oben. Schon saß sie auf dem untersten Ast. Noch ein paar Stockwerke höher. Schon hatte sie eine wunderbare Aussicht über die Ebene bis zu den Hügelketten.

Eigentlich war es schön hier. Die Landschaft mit den tiefen Wäldern, den Flüssen und Seen, die Hügelketten und dann sogar die Berge. Es erinnerte sie an die Gegend, in der sie mit ihrer Familie aufgewachsen war. Als sie alle noch zusammen waren...

Und die anderen Schüler waren eigentlich auch in Ordnung, Holly kannte sie mittlerweile schon ganz gut, auch Henry war richtig nett und lustig, sogar Jeffrey war im Grunde okay. Sie hätte nicht gedacht, dass er so schnell nachgeben würde. Nach ihrer ersten Auseinandersetzung war Samiya einfach wieder an seinen Tisch gegangen und nach einem etwas längeren, abschätzenden Blickkontakt, hatte Jeffrey mit den Schultern gezuckt und sie mehr oder weniger ignoriert. Samiya war das nur recht, so konnte sie wenigstens in Ruhe essen. Sie konnte ja nicht wissen, dass Jeffrey ihre erste Begegnung noch unangenehm genug in Erinnerung war. Seine verwandelten Krallen waren nämlich keineswegs Absicht gewesen, und er war froh, dass Samiya diese Tatsache für sich behalten hatte. Zudem hatte er genug innere Entschlossenheit und vor allem Wut bei ihr spüren können, um sich nicht nochmal freiwillig mit ihr anzulegen. Diese eine Sache war schon peinlich genug gewesen...

Samiya atmete tief ein und genoss diesen Moment der Ruhe ganz für sich allein, als sie plötzlich eine weitere Gestalt auf den Baum zukommen sah. Das durfte doch nicht wahr sein, es schien ihr einfach nicht vergönnt zu sein, länger als 5 Minuten alleine zu bleiben! Und damit nicht genug, die Gestalt, die da auf sie zukam, war eindeutig ein Puma – Carag. Sie erkannte ihn sofort. So viele Pumas gab es ja an dieser Schule nicht und sein intensiver, immer etwas herausfordernder Blick war ihm auch in zweiter Gestalt erhalten geblieben.

Nun hatte sie es doch geschafft, ihm bisher erfolgreich aus dem Weg zu gehen und nun das! Was sollte sie machen? Abhauen kam wohl kaum in Frage. Als Puma hätte er sie schnell eingeholt und allein das Gefühl, verfolgt zu werden, würde vermutlich schon ausreichen, die Kontrolle über ihre Gestalt an ihre Grenzen zu bringen.

Aber wenn sie hier oben blieb war die Situation auch nicht viel besser. Schließlich war Carag als Puma hier. Er würde mit einem Satz auf den Baum springen ohne Rücksicht, was sie davon hielt. Und eigentlich traf ihn an der ganzen Sache ja auch gar keine Schuld. Wahrscheinlich war er einfach nur neugierig, nein, nicht wahrscheinlich, sondern ziemlich sicher sogar! Hatte er womöglich schon irgendetwas gemerkt? Schlich er ihr deshalb hinterher? Ihre Oma hatte ihr oft von der ‚Magie der Wildnis' erzählt, dass hier mehr möglich war und passierte, als sich die Menschen je vorstellen könnten...

Oh wie genau ihre Oma das alles geplant hatte! Ob sie von Carag gewusst hatte? Bestimmt, Luna wusste immer über alles und jeden Bescheid. Eine richtige Gemeinheit! Wenn das so weiterging, war Samiya schneller zurück in ihrer zweiten Gestalt, als ihr lieb war!

Aber noch hatte SIE hier die Kontrolle! So leicht würde sie nicht aufgeben, und wenn sie diesen Carag höchstpersönlich zurück in sein Bett stecken musste...

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Na, was denkt ihr? Treffen die beiden aufeinander oder verlässt Carag doch noch der Mut???

Viele Grüße und weiterhin viel Spaß beim Lesen!

purzelstern :)


Call of the wildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt