30 Kitzeln am Morgen

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Am nächsten Morgen wachte Samiya erst spät auf. Ihre nächtliche Kletterpartie hatte sie doch mehr angestrengt, als sie erwartet hatte. Doch etwas war anders. Sie hielt die Augen fest geschlossen und erinnerte sich an diesen Traum, der ihr gerade noch so präsent war. Darin war sie mit einem anderen Puma – war das Carag? - durch den Wald gewandert – und zwar ebenfalls als Puma! Sie hatte sich so frei und leicht gefühlt wie lange nicht mehr. Und auf einmal spürte sie etwas – ein ganz feines Kitzeln in ihrem Nacken. Mit einem Ruck setzte sie sich auf und kniff ihre Augen noch fester zu. Sie stellte sich ihre eigene Pumagestalt vor, dachte an das Gefühl von Tatzen auf weichem Waldboden... aber nichts passierte. Nicht mal ein bisschen Fell auf den Armen... Mist! Enttäuscht ließ sie sich wieder zurück in die Kissen fallen. Wie lange sollte das denn noch dauern?! Aber immerhin, das Kitzeln war ja wohl ein Anfang...

***

Beim Mittagessen herrschte wie immer ein reges Treiben in der großen Halle. Alle waren hungrig und wollten so schnell wie möglich mit den Freunden am Tisch sitzen, am Besten natürlich mit einer großen Portion vom Lieblingsessen vor sich.

Miro bemerkte den unerwarteten Gast als erster. Seine Augen wurden groß und mit ein paar schnellen Sprüngen durchquerte er den halben Saal.

Samiya! Da bist du ja endlich! Geht's dir besser? Komm komm, ich hab dich so vermisst!' Schwanzwedelnd hopste der kleine Wolf vor Samiya auf und ab. Der ganze Saal musste schmunzeln über Miros Wiedersehensfreude. Es sah auch wirklich zu süß aus.

Na komm her, ich freu mich auch dich zu sehen!' Samiya lachte, ging in die Hocke und nahm den kleinen Wolf in die Arme. Der nutzte dies sofort aus und schleckte ihr einmal übers ganze Gesicht. Samiya zog erst eine Grimasse aber dann lachte sie noch mehr. Miro hüpfte schon wieder wie ein Flummi um sie herum.

Geh zum Tisch, Miro, ich komm ja gleich, ich brauch nur noch was zu Essen!' Samiya wandte sich zum Buffet und lud sich eine große Portion von allem Möglichen auf ihren Teller.

Als sie sich umdrehte, sah sie wie Holly und Henry ihr zuwinkten, Dorian lächelte ebenfalls, nur Carag zog fragend die Augenbrauen nach oben. Dachte er, sie könnte jetzt nicht mehr am Tisch der Wölfe sitzen, wo klar war, dass sie ein Puma war? Aber warum nicht? Sie war doch immer noch dieselbe und außerdem lief Miro immer noch schwanzwedelnd um sie herum – er war natürlich nicht allein zum Tisch vorgegangen...

Samiya lächelte den anderen zu und folgte dann Miro zu ihrem gewohnten Platz. Miro wollte unbedingt neben Samiya sitzen und so musste Cliff wohl oder übel mit ihm den Platz tauschen – der kleine Wolf ließ ihm keine Ruhe.

Samiya gegenüber saß, wie sonst auch, Jeffrey, er hatte ebenfalls eine Augenbraue in die Höhe gezogen, war das jetzt die neue Mode?

„Hey... bist du schon wieder ganz hergestellt?" Jeffrey sah sie mit fragendem Blick an.

„Ich kann jetzt wieder mit euch essen, nachher muss ich zurück – ausruhen. Uahhh." Samiya zog eine Grimasse und begann dann mit großem Appetit zu essen.

„Na dein Appetit ist auf jeden Fall wieder ganz der alte." Cliff lachte und erinnerte sich einen Moment daran, wie schnell Samiya am ersten Tag ihren Teller geleert hatte.

Geht's dir jetzt wieder ganz gut?' Miro schnupperte an Samiyas Arm als versuche er einzuschätzen, ob sie wieder ganz gesund war.

Ja, ich denke schon...' wenn nur das mit der Verwandlung wieder klappen würde, dachte Samiya bei sich...

„Wie war's denn eigentlich mit deinen Eltern? Die waren doch hier oder?" Jeffrey sprach so leise, dass nur Samiya ihn hören konnte. Obwohl Cliff und die anderen sowieso gerade von Shadows Witzen abgelenkt waren, sie bekamen nicht viel anderes mit.

„Ja, waren sie. Sind heute morgen wieder abgereist, zusammen mit Raja und meiner Omi, aber sie kommen bald nochmal wieder, haben sie gesagt..." Samiya schaute einen Moment etwas traurig, doch dann lächelte sie. Eigentlich war sie froh, dass nun keiner mehr so genau auf sie aufpasste, so langsam hatte sie genug davon, dass alle so besorgt waren.

„Und habt ihr eure – äh – Unstimmigkeiten aus dem Weg schaffen können?" Jeffrey war gerade mit seiner letzten Portion fertig und schob seinen Teller etwas zur Seite.

„Ja. Eigentlich schon." Samiya wirkte auf einmal nachdenklich und starrte auf ihren Teller.

„Ja das ist doch gut! Dann kannst du dich ja jetzt wieder --" Mit einem Blick auf die Anderen am Tisch ließ Jeffrey seinen Satz unvollendet.

„Es geht nicht," Samiya schüttelte nur unmerklich den Kopf, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Jeffrey musterte sein Gegenüber erstaunt. Zuerst wollte sie nicht und jetzt konnte sie nicht? Seltsam. Samiya tat ihm richtig leid, das musste ja ein schreckliches Gefühl sein... Und einem spontanen Impuls folgend, beugte der junge Wolfswandler sich über den Tisch und raunte ein paar Worte kaum hörbar direkt neben ihrem Ohr:

„Macht nichts, ich mag dich auch so ziemlich gern." Mit einem Ruck landete Jeffrey wieder auf seinem Stuhl, fast sah es so aus, als habe er sich vor sich selbst erschreckt. Die anderen am Tisch beachteten ihn zum Glück gar nicht, sie lachten immer noch über irgendeinen von Shadows Witzen. Dieser Rabe hatte heute wohl einen Katalog dabei...

Nur ein anderes Augenpaar war direkt auf ihn gerichtet. Der kleinste Wolf sah ihn mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung an. Shit.

Aber Miro würde sich wohl kaum über ihn lustig machen, auch wenn er mit seinen feinen Wolfsohren wohl jedes Wort gehört hatte...

Miro indessen wunderte sich tatsächlich über die aktuellen Geschehnisse. Gar nicht so sehr über das, was sein Alpha zu Samiya gesagt hatte – warum sollte er sie schließlich nicht mögen, er selbst hatte Samiya ja auch gern – viel mehr wunderte er sich über diese Röte, die Jeffrey auf einmal im Gesicht hatte. Was war denn das? War ihm heiß? Und Samiya sah genauso aus, das erkannte er schnell, als er einen neugierigen Blick zur Seite warf... was war denn hier passiert?!

Was alle drei nicht bemerkten war, dass noch jemand sie sehr interessiert beobachtete. Das Polarwolfmädchen am Tisch lachte zwar mit den Anderen, hatte jedoch durchaus die letzten Momente unauffällig verfolgt. Soso. Ihr Alpha flüsterte der nicht mehr ganz neuen Schülerin etwas ins Ohr, und danach saßen beide wie unter Strom mit rotem Kopf am Tisch und taten, als sei nichts gewesen. Hmmm... na das war doch wirklich mal interessant. So hatte sie Jeffrey ja noch nie erlebt...

***


Call of the wildWo Geschichten leben. Entdecke jetzt