Kapitel 18

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In der göttlichen Schrift wurden dem Teufel viele Körper zugeschrieben, in denen er wandelte. Ursprünglich ein Geisterwesen ohne Fleisch und Blut, sahen ihn viele als eine ziegenähnliche Gestalt mit Hörnern und einem Schwanz oder in Form anderer übernatürlicher Geschöpfe.

Für mich war der Teufel immer menschlich. Personifiziert in einem Körper wie meinem, trügerisch, damit die Menschen ihm leichter verfielen. Er brachte sie vom Pfad ab, bis sie sich der Versuchung hingeben.

Reaper stellte die größte Verlockung dar, der ich mich je konfrontiert sah. Wir verharrten regungslos, keiner sprach ein Wort und doch wurde die Luft vor Emotionen und wilder Gedanken schwer. Sie lud sich auf wie ein Blitz.

Für den Bruchteil einer Sekunde streifte sein Daumen wieder den schwungvollen Bogen meiner Lippen, sein Adamsapfel bewegte sich unter einem schweren Schlucken. Dann ließ er von mir ab. Die Bewegung kam so unerwartet, dass ich mich unweigerlich nach vorn lehnte, um mich seiner Berührung wieder zu nähern.

Die Musik und Stimmen um uns herum erdeten mich, ein Blick auf die Anwesenden zu Tisch verriet mir jedoch, dass unsere kurze Interaktion unter Beobachtung gestanden hatte. Ashley strahlte grinsend zu mir hinüber und Rages Augen aus Morgengrau musterten mich.

»Ich habe noch etwas für dich.«, murmelte Reaper in seinen Bart.

»Für mich?« Zweifelnd betrachtete ich ihn. »Bekomme ich jetzt auch eine Jacke?«, mutmaßte ich und deutete auf die Kutte über seinem Stuhl.

Reaper schmunzelte. »Dafür bräuchtest du einen Schwanz und dann würde ich wirklich an meiner Sexualität zweifeln.«

Nur Männer trugen eine Jacke oder Weste mit dem offiziellen Patch des MC. Und nur Männer waren Vollmitglieder der Haydes Hells, die sich an den Ausfahrten und Versammlungen beteiligten. Zumindest bis jetzt. Carlos hatte mir bei einer weiteren Runde Billard verraten, dass Reaper bestrebte auch Frauen offiziell in die Reihen aufzunehmen. Die Damen, die bisher im Club lebten, gehörten stets einer von drei Kategorien an: Sheeps, Angehörige und Familienmitglied eines Haydes oder Old Lady. Der Titel, der einer Freundin oder Frau eines Bikers zustand. Auf mich traf keine der Optionen zu, was ein Grund war, wieso ich in der Vergangenheit mit Skepsis und Zurückhaltung behandelt wurde.

Ein Grund, dass es bisher keine weiblichen Mitglieder gab und damit Voraussetzung das Wappen der Haydes zu tragen, waren der Besitz eines Motorrads und die Lizenz dieses zu fahren. Weibliche Biker waren schlichtweg eine Seltenheit, aber nicht unmöglich.

Ich fand Gefallen daran, mit Reaper auf seiner Maschine zu fahren, allein würde ich nie eines führen. Eine Kutte wollte ich demnach gar nicht besitzen, die Neugier was für eine Überraschung mich erwartete, wuchs somit.

Wir erhoben uns schweigend von den Stühlen. Reaper lief voraus in sein Büro, das ich seit meinem ersten Tag nicht mehr betreten hatte. Gegenüber der Tür erstreckte sich die Fensterfront, durch die man tagsüber die Wüstenstraße im Blick behielt, die zum Chapter führte. Zu dieser Stunde quoll nichts außer Nachtschwarz durch die Scheiben. Links füllten deckenhohe Regale die Wand aus, vollgestopft mit Ordnern und Geschäftsbüchern und dazwischen eine Karte der Südstaaten, die mit einigen Pins und Markierungen versehen war. Auf der gegenüberliegenden Seite thronte der massive Schreibtisch, das Holz war dunkel und abgewetzt. Bei dem Anblick der Zigarettenschachteln und wilden Papierstapel schlich sich das Bild eines übermüdeten Präs in meinen Kopf, der stundenlang in Arbeit ertrank, weil er zu gewissenhaft und dickköpfig war, sie einen Tag länger liegen zu lassen.

»Ich habe überlegt, Mandy zu beten, dich intensiver in die Geschäfte der Bar einzuspannen.« Reaper lehnte entspannt an seinem Schreibtisch, die Arme vor der Brust verschränkt und die Regale im Visier, die ich bis eben selbst inspiziert hatte.

Burn for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt