Kapitel 6

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In Momenten wie diesen wurden die Rückblicke zu Bluthunden, deren Existenz darin bestand, mich in den Fesseln der Vergangenheit gefangen zu halten, bis die Bilder in meinem Kopf realer wirkten wie die Wirklichkeit.

Eingenommen von der Angst rührte ich mich keinen Millimeter.

Körperlich hatte ich keinerlei Macht mehr, aber gedanklich suchte ich Ausflüchte, Winkel und Nischen, die mir Schutz bieten könnten. Die Suche nach einem derartigen Refugium blieb stets erfolglos, zumindest war mir bisher nie eines eingefallen. Jetzt durchbrachen einzelne, warme Sonnenstrahlen die schwere Dunkelheit, als sei sie nichts anderes wie dünnes Glas, das im Lichtschein zersplitterte. Je heller es wurde, umso mehr Konturen zeichneten sich vor meinem inneren Auge ab. Der winzige Schrank unseres Hauses wich einer staubigen Wüstenlandschaft, verdörrte Sträucher in der Wildnis, einzelne Kakteen und genau dazwischen eine Ansammlung zahlreicher Hütten, Wohnwagen und Container. Sie säumten ein Haus, größer wie alle umliegenden und allein deshalb der Mittelpunkt des Szenarios. Doch es war nicht die ungewohnt bekannte Anlage und das Haupthaus, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es war ein breit gebauter Biker mit Haaren vom Wind zerzaust und stechend blauen Augen.

»Sie sind weg.«

Die Worte waren deutlich, die Stimme zu laut, als das sie nur aus meinem Kopf hätte stammen können. Mit Erstaunen öffnete ich die Lider, blinzelte Tränen weg und realisierte, dass ich nicht mehr eingesperrt war. Die Tür stand offen, Licht durchflutete die schwarzen Ecken der kleinen Kammer. Und Reaper stand vor mir.

Zuvor hatte mich die Erinnerung unter ihrem Gewicht erdrückt, bis ich glaubte, darin zu ertrinken, doch jetzt erfasste der Auftrieb meine Seele, holte sie an die Oberfläche zurück, wo ich frei atmete.

Die Erleichterung durchströmte mich in diesem Moment wie eine brechende Welle, dass ich nach vorn stürzte, um das Einzige zu tun, wonach ich mich sehnte: An den rettenden Anker klammern, der mir erschien. Voll Dankbarkeit schlangen sich meine Arme um Reapers harten Oberkörper und ich drückte mich mit all der Kraft, die in den kalten, schlaffen Gliedern steckte, an ihn.

»Sperr mich nicht ein.«, hauchte ich unter Tränen und schüttelte immer wieder den Kopf. Ich krallte meine Finger in seinen starken Rücken, vergrub das Gesicht gleichzeitig an seiner Brust. Sie war warm, unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung, die weiter in mir tobte.

Für winzige Augenblicke, in denen der Kopf nicht zu begreifen schien, was der Körper hier tat, standen wir regungslos da. Wortlos, bis eine Hand ihren Platz an meiner Taille fand. »Niemand wird dich je wieder einsperren.«

Das war die barsche, knurrende Stimme, die ich aus Reapers Mund gewohnt war, aber sie verschreckte mich nicht. Nicht dieses Mal, denn der Zorn des dunklen Tonfalls galt nicht mir, sondern einzig und allein Elijah, von dessen Existenz der Mann in meinen Armen nun wusste.

Ich nickte und kam so langsam wieder zur Besinnung.

»Komm mit.« Er löste mich ausreichend von sich, um nach meiner Hand zu greifen.

Tiefe Falten bildeten sich auf meiner Stirn, auf die Reaper mit einem spitzbübischen Grinsen antwortete, dass er mir über die Schulter zuwarf. Er schien gleich um Jahre jünger. »Ich zeige dir, wie sich Freiheit anfühlt.«

Der fragende Blick wich Verwunderung, als ich mir mit dem Handrücken über die feuchten Augen fuhr, doch ich stellte keine Fragen, werden.

Wir schienen es eilig zu haben, stolperten dabei regelrecht durch die Hintertür des Clubhauses nach draußen in den kühlen Wüstenwinter. Der Parkplatz war recht leer, die Streifenwagen und einige Gäste waren verschwunden, weshalb ich schnell erkannte, was unser Ziel war.

Burn for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt