Kapitel 32

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Wir müssen unseren Nächsten lieben, entweder weil er gut ist oder damit er gut werde.

Viele Verse der Heiligen Schrift habe ich nie im vollen Ausmaß begriffen, das Gebot der Nächstenliebe zweifelte ich hingegen nie an. Erst außerhalb der Fänge meiner Gemeinde erkannte ich, wie widersprüchlich die verfolgten Moralgesetze und die gelebten Sitten tatsächlich waren. Die Oberhäupter predigten die Akzeptanz und Liebe eines jeden Wesens, doch all jene, die unserem Glauben nicht folgten, trat man ablehnend und misstrauisch gegenüber. Diesem Grundsatz hatte ich entsagt, jeder Mensch, der meinen Weg kreuzte, erfüllte mich mittlerweile voller Neugier.

Ein weiteres Wort Gottes lautete: Die göttliche schenkende Liebe befähigt einen Menschen, die zu lieben, die natürlicherweise nicht liebenswert sind. Und Mel war weit entfernt von liebenswert.

»Wo willst du denn arbeiten? Am Limonadenstand der Grundschule?« Das spitze Lächeln der Blondine erreichte ihre braunen Augen nicht, die mich musterten, sobald ich die Treppe herunter kam.

Kommentarlos umrundete ich sie. Zusätzliche Angriffsfläche bot ich ihr nicht, indem ich auf ihre Sticheleien einging. Zur aktuellen Stunde schien meine Kleidung sie zu reizen, denn im Gegensatz zu ihr lief ich bei den sommerlichen Temperaturen nicht in Shorts und Unterwäsche rum. Besser ließ sich das Miniaturtop in Beige nicht beschreiben, dass ihre Oberweite bedeckte und einen flachen, an der Hüfte tätowierten Bauch preisgab. Ich trug ein veilchenblaues Sommerkleid. Zu viel Stoff für Melanies Geschmack.

Hinter der Bar begrüßte mich Debrah. »Ich habe eben ein zerbrochenes Glas in den Müll geworfen, falls du noch was zum Augen ausstechen suchst.«

Niemand konnte Mel leiden. Wie hielt sie das aus, wenn sogar Reaper sie ignorierte, weil er hoffte, sie verließ uns auf diese Weise von allein?

»Danke für das Angebot, aber das überlasse ich lieber euch.«, sprach ich im Vorbeigehen und verschwand in die Küche. Gewalt übte ich nicht aus, auch nicht Personen wie ihr oder meinem Ehemann gegenüber. Es machte mich nicht besser als sie, die Menschen zum eigenen Vergnügen quälten.

Mandy war die Einzige, die Mel eine Chance gegeben hatte. Vorübergehend. Vor zwei Tagen waren an der Bar sämtliche Sicherungen durchgebrannt, Feuermelder spielten verrückt, Glühbirnen leuchteten nicht mehr. Und zu aller Überraschung entpuppte sich Reapers Ex-Geliebte als Elektrikerin, die innerhalb einer Stunde den Strom wieder fließen ließ. Obendrauf waren der Barchefin sämtliche Hände gebunden, da unser unerwünschter Gast für jegliche Verpflegung aufkam, die sie beanspruchte. Drinks, Essen, selbst für das Zimmer zahlte sie. Solange der MC von ihrem Aufenthalt profitierte, blieb sie. Ganz gleich, wie unausstehlich sie sich verhielt.

Ich ging ihr, so weit es mir möglich war, aus dem Weg. Die nächsten Stunden verzog ich mich dafür in die Küche, für die abendliche Kundschaft fehlte die Nachspeise, welche laut Karte aus Brownies mit Vanilleeis oder Himbeer-Cheesecake bestand. Die perfekte Gelegenheit, meine Backkünste auszuleben.

Unser Koch ließ sich von mir nicht beirren und Kyle machte es sich auf der großen Arbeitsfläche neben mir gemütlich, das Telefon in der Hand. »Brauchst du gar keine Anleitung?« Verwunderung belebte seine warmen Augen.

»Nur beim ersten Versuch.«, erklärte ich ihm. Rezepte lernte ich nicht auswendig, sondern verinnerlichte, welche Zutaten von Nöten waren, und maß deren Menge nach Gefühl ab. Bisher gelang es mir immer.

Wie die meisten Männer hatte er keine großen Erfahrungen in der Küche, ein ideologisches Bild, das mir der mormonische Glaube einpflanzte, da der Haushalt vorrangig dem weiblichen Geschlecht vorbehalten war. Wiederum bedeutete dies nicht, dass Kyle keinerlei Interesse an meiner Arbeit hegte. Hin und wieder ertappte ich ihn dabei, wie er von dem Display seines Handys aufsah und meinen Händen folgte. Zwischenzeitlich verabschiedete sich Correy in seine Pause.

Burn for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt