Kapitel 14

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An diesem Morgen verdrängte die Sonne die dichten Wolken der letzten Tage, die wenigen übrig gebliebenen Ausläufer des bedrückenden Winters. Von dem frostigen Wetter war nichts mehr zu spüren. Die Sicht war klar, sodass sich mir zum ersten Mal der Blick auf einige zerklüftete Felswände in der Ferne bot, die sich zuvor im Nebel der Kälte versteckt hielten, wie Späher des Feindes. Gefährlich wirkten sie auf mich nicht. Eher einladend, als schürten sie eine Neugier auf das Unbekannte in mir. Ich wollte sie erforschen, sie erklimmen, bezwingen. Einen Wunsch wie diesen hatte ich nie verspürt, aber wenn der Winter floh, nahm er meine Befangenheit mit sich.

Es wurde langsam Frühling.

Die Kraft der Sonne war zu Beginn des Tages trügerisch, weshalb ich über dem hellen T-Shirt einen grauen Hoodie trug. Lieber schwitzte ich, als zu frieren, bevor ich überhaupt mit dem Sport anfing.

Dass ich wie jeden Morgen eine Runde laufen ging, wussten inzwischen beinah alle Mitglieder des Clubs, auch, dass ich für den Großteil der Zeit einen Partner an meiner Seite hatte. Das diese Begleitung heute jemand anderes sein würde als Beau, wäre hingegen eine Überraschung. Eine, die ich selbst nicht glaubte.

»Wann wolltest du mir sagen, dass du mit mir joggen gehst?«

»Jetzt«, sagte Reaper unverblümt und mit diesem selbstsicheren Grinsen, das verriet, dass er diese Entscheidung ohne mich getroffen hatte.

»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.«

»Wieso?«

Vielleicht weil ich ihn nie hatte Joggen sehen. Oder Sport treiben generell. Dabei war für jeden sichtbar, dass Reaper in seiner geringen Freizeit nicht auf der faulen Haut lag. Die autoritäre Ausstrahlung war nicht nur seiner Größe und dem Titel geschuldet, sondern auch der körperlichen Stärke. Der Präs war muskulös gebaut, mit breiten Schultern, die seine trainierten Arme trugen, und ohne ein einziges Gramm Fett am Leib.

Er war ein athletischer Mann, aber das er mit mir joggen ging, hielt ich weiterhin für einen Spaß seinerseits. Wir hatten keine Zeit oder einen Treffpunkt vereinbart, die seine Worte bekräftigten.

Es war nur heiße Luft, was mir bestätigt wurde, kaum das ich unten in die Bar niemanden antraf außer Tiara und den üblichen Gesichtern zum Frühstück. Keinen Reaper. Ich war enttäuscht, denn ich wartete ab, bestellte bei meiner dunkelhäutigen Kollegin ein Wasser in der Hoffnung, er tauchte noch auf. Meine Augen huschten immer wieder zur Treppe oder zur Tür seines Büros. Sein Verhalten am gestrigen Abend, dieses kleine Zugeständnis darüber, dass wir miteinander auskommen wollten und uns erstmalig über andere Themen als die Arbeit oder meine Vergangenheit unterhielten, hatte mir ein falsches Signal vermittelt.

Ich hatte ihm zu leicht geglaubt.

»Soll ich dir dann dein Frühstück vorbereiten?«, fragte Tiara.

Besagtes Frühstück bestand aus einem Honigtoast, einem Milchkaffee und Joghurt mit Früchten. Ausgewogen und nahrhaft, um mich auf den Tag vorzubereiten. Kaffee verteufelte ich nicht mehr, sondern liebte ihn.

»Das wäre lieb. Danke dir.«

Ich reichte ihr das leere Glas und verließ die Bar. Anstatt durch die Tür nach draußen zu treten, kollidierte ich mit einem Brustkorb, der im Türrahmen erschien. »Bevor du auftauchst, war ich schon joggen, frühstücken und habe meine Harley auf Hochglanz poliert!«

Sprachlos starrte ich zu dem Riesen vor mir. »Du bist hier.«

Reapers volle Augenbrauen verzogen sich. »Wo soll ich sonst sein? Wir wollten zusammen joggen oder hast du das schon vergessen?«

Ohne Vorwarnung stupste er mir lachend gegen die Nasenspitze. Eine Geste, die mir erneut bewies, dass der abweisende Präs gestern Abend durch einen lockereren und anscheinend schelmisch aufgelegten jungen Mann ausgetauscht wurde. Eine Version von Reaper, die ich kennenlernen musste, aber bei der ich mich bereits jetzt wohlfühlte.

Burn for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt