Kapitel 2

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Zu sterben, schien mir jetzt der friedvollste Weg von allen zu sein.

Über den Tod hatte ich nie groß nachgedacht, der eigene verschreckte mich nicht, sondern erfüllte meine Seele mit Sehnsucht. Tot war ich sicher. Geschützt vor all den grausigen Erinnerungen, den nicht enden wollenden Qualen. Wenn mir diese ungeplante Flucht misslang, dann war der Tod mein letzter Ausweg. Wie mir jedoch schien, hatte ich den Kampf bereits verloren, denn um mich herum lauerte nichts außer leerer Dunkelheit. Womit ich nicht rechnete, war das Gefühl von Wärme und Ruhe. Im Jenseits sollte ich frei von Empfindungen zu sein, zumindest so die Erwartung. Stattdessen schwebte ich auf einer weichen Wolke, durchflutet von Leichtigkeit und ich war nicht allein. Leises, unverständliches Flüstern drang an meine Ohren, die Stimme gehörte aber zu keiner Person, die ich im Himmel erwartete.

»Hey, Kleine.« Worte wie ein Weckruf. Sie brachten Leben in meine Gliedmaßen zurück, die jegliche Schwerelosigkeit verloren.

Konzentriert schlug ich die Lider auf, blinzelnd, weil das Licht ungewohnt grell war. Nachdem meine Augen geschärft waren, gleichermaßen wie alle Sinne, die zuvor geschlafen hatten, traf mich die Erkenntnis wie ein gleißend heller Blitz: Ich lag in einem fremden Zimmer.

Die Decke begrüßte mich in einem verwaschenen Pfirsichton, anders als bei der Frucht selbst dachte ich dabei nicht an wärmende Südlandsonne auf der blassen Haut, sondern an die hellen Kissenbezüge meiner Mutter. Hannah Reyes war eine begabte Konifere an der Nähmaschine. Zur Linken bot sich mir der Ausblick auf ein grau-blaues Wolkenspiel am Himmel durch zwei große Fenster, die beinah die gesamte Wand einnahmen.

»Guten Morgen.«, ertönte wieder diese Stimme.

Kaum drehte ich den Kopf, tauchte das Antlitz einer Frau auf, die neben meinem Bett stand und eine Tasse in ihren Händen hielt. Wilde, schulterlange Haare, die von unbändigen vollen Locken in früheren Jahren zeugten, ließen nur erahnen, dass sie einer Dame im mittleren Alter gehörten, weil das satte Schwarz von dezentem Quecksilber durchzogen war. Sie trug die Zeichen der Zeit mit Würde.

Mit einem fürsorglichen Lächeln auf den kirschrot bemalten Lippen setzte sie sich und hielt mir die dampfende Tasse hin. »Ich hatte schon Sorge, du würdest gar nicht mehr aufwachen.«

Vor meinen Augen zogen die Momente der Flucht vorbei. Die Bewusstlosigkeit hatte mich ergriffen, sobald wir diesen Ort erreicht hatten. Ein Ort, mir gänzlich unbekannt und voller Fremder, die Waffen über ihren Schultern trugen und Motorräder fuhren. Die Decke beiseite zu schlagen, meinen zierlichen Körper auf Spuren von Gewalt zu überprüfen, die mir einer dieser Menschen im wehrlosen Schlaf hätte zufügen können, war ein impulsiver Akt. Ein notwendiger, um meinen aufgeschreckten Geist zu beruhigen.

Die Erkenntnis, dass ich nicht mehr das zerschlissene Baumwollhemd trug, Arme und Beine stattdessen in einer weichen grauen Hose und einem dicken Pullover steckten, besänftigte mich dagegen nicht.

»Wer hat mich umgezogen?« Ich klang fremd, meine Stimme war kratzig und aufgescheucht. Fast schon alarmiert.

»Das war ich. Du warst stark unterkühlt und hast die ganze Nacht geschlafen.« Abermals hielt sie mir die heiße Flüssigkeit unter die Nase. »Tee«, war die schlichte Erklärung.

Ich kannte Tee, trank ihn trotzdem selten. Dieser hier schmeckte nach Kräutern und einer zarten Note von Limone.

Immer noch war ihr Lächeln mitfühlend, aber darin schwang jetzt ein Funken Erleichterung mit. »Na siehst du, ist doch gar nicht so schwer. Du wirst sicherlich auch Hunger haben.« Dem Grau ihrer Iriden folgte ich zu einem Tablett bestückt mit Waffeln, Rührei, Toast und einer Schüssel Früchte unter der ich Joghurt vermutete. Mein Mund wurde wässrig.

Burn for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt