P R O L O G

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Liebe Avery

Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll, weil ich das Gefühl habe, dass ich dir gar nicht schreiben darf. Vielleicht sollte ich diesen Brief mit einer Frage beginnen, um das Eis zu brechen, findest du nicht auch? Immerhin will ich dich nicht mit der Vergangenheit verletzen, nur weil ich ein Idiot war und es noch immer bin.

Wie geht es dir, Avery? Ich hoffe, dass du glücklich bist und ein tolles Leben führst und all deine Wünsche in Erfüllung gegangen sind, wie auch deine Ziele gemeistert hast. Das hast du dir auch verdient, weil du ein herzensguter Mensch bist.

Du fragst dich bestimmt, wieso ich dir schreibe, nicht wahr?

Eigentlich habe ich wirklich das Gefühl, dass ich das gar nicht darf. Nicht nach allem, was vorgefallen ist und dass ich damit egoistisch handle, weil ich dich an die vergangene Zeit erinnere. Aber ich musste es tun, weil ich nicht aufhören kann, über unsere Freundschaft nachzudenken. Wie alles in die Brüche ging, nur weil ich zu feige war, mit dir über uns zu reden und ich somit den Kontakt zu dir abgebrochen habe.

Verzeih mir, Avery.

Es tut mir wirklich leid, wie das alles zu Ende ging und ich weiß, dass ich eigentlich kein Recht darauf habe, dich darum zu bitten. Nur lässt mich ein Gefühl nicht los, weshalb ich es trotzdem versuche. Vielleicht wirst du diesen Brief auch nie zu lesen bekommen, da ich deine Adresse gar nicht kenne. Aber ein Versuch ist es wert. Ich sende ihn an die alte Anschrift deiner Eltern, mit der Hoffnung, dass sie noch immer dort wohnen.

Ich schweife ab, entschuldige.

Eigentlich zögere ich es einfach nur hinaus, mit dem Versuch, dir ein Lächeln zu entlocken. Ob mir das gelungen ist? Das werde ich wohl nie erfahren.

Du hast aber ein recht zu wissen, wieso ich ohne einen Abschied gegangen bin. Ich dachte, dass es besser für uns ist und es uns leichter macht. Immerhin waren wir seit zwölf Jahren befreundet und haben uns jeden Tag gesehen. Dass ich am Ende wegziehen musste, hat mir das Herz aus der Brust gerissen. Ich war so wütend auf meinen Vater, weil er diesen Job angenommen hat, der mich von dir getrennt hat. Und ich konnte nicht fassen, dass sie mir nicht einmal die Möglichkeit gegeben hatten, darüber nachzudenken.

Aber was hätte ich tun sollen? Ich war gerade mal achtzehn Jahre alt geworden. Ich musste mit ihnen mitgehen, auch wenn ich am liebsten bei dir geblieben wäre.

Für andere hört sich das bestimmt übertrieben an, jedoch wissen wir beide, was für eine tiefe Verbundenheit wir zueinander gefühlt haben. Eine Verbundenheit, die ich noch immer dir gegenüber fühle. Aus diesem Grund schmerzt es mich umso mehr, dass ich dich so sehr verletzt habe. Jede deiner Nachricht habe ich mir durchgelesen und mich gleichzeitig verflucht.

Und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich das alles bereue, weil es keinen Grund für mein Handeln gibt. Ich war einfach nur jung und dumm. Sehr dumm sogar.

Verzeih mir, Avery.

Ich muss wissen, dass du mir vergeben hast, damit ich endlich mit allem abschließen kann. Auch wenn ich dafür zehn Jahre zu spät bin. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass du mir das irgendwann verzeihen wirst.

Mach’s gut und alles Liebe

Dein Nathaniel

The Last LetterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt