Kapitel Neun: alte Dame

88 24 75
                                    

A V E R Y

Mit einer Hoffnung, die ich lange nicht mehr gespürt habe, verlasse ich das Hotel, um mich ein wenig hier in Lewisburg umzusehen. Die Namen und Adressen habe ich sorgfältig in meiner Tasche verstaut. Mal sehen, ob ich heute Glück haben werde und meinen damaligen besten Freund finde. Ich würde es mir wünschen, weil der Brief alle möglich Alarmglocken in meinem Kopf zum Schillern gebracht hat.

Die Sonne steht hoch am Himmel und erst in einigen Stunden muss ich mir einen Platz suchen, um das Ende dieses Tages zu beobachten. Ob Nathaniel unser Ritual ebenfalls weiterverfolgt hat oder hat er das vergessen?

Mein Blick schweift umher und das, was ich bisher von dieser kleinen Stadt gesehen habe, hat mich bereits verzaubert. Das Hotel liegt im Herzen der Kleinstadt, das umgeben von einer großen Grünfläche und einem Fluss liegt. In dieser Straße findet man auch kleine und wirklich bezaubernde Geschäfte, die sehr einladend wirken. Wäre ich nicht auf einer Mission, würde ich dem Drang nachgeben und mich von diesem Flair einlullen lassen. Aber das muss warten.

Meine Nervosität ist noch immer spürbar und es ist schlimmer geworden, seit dem ich in dieser Stadt bin. Mein Herz klopft wie verrückt, während ich mich versuche, mit tiefen Atemübungen zu beruhigen. Mit zitternden Händen fische ich mein Smartphone hervor, um meinen Verlobten zu kontaktieren. Ich habe ihm versprochen mich zu melden, sobald ich da bin und außerdem würde mir diese Ruhe, die er jederzeit ausstrahlt, wirklich guttun.

»Engel!«, meldet sich Connor nach dem zweiten Klingeln. »Ist alles okay bei dir? Wie ist das Hotel?«, bombardiert er mich fragen, weshalb sich ein kleines Schmunzeln auf meinem Gesicht bildet.

Seine Stimme allein reicht aus, sodass mein Herz aus einem anderen Grund brutal gegen meine Brust schlägt. Die Nervosität, die mich fast in den Wahnsinn treibt, reduziert sich auf ein Minimum, aber dafür hat sich eine Gänsehaut auf meinem Körper gebildet, die sich nach seinen Berührungen sehnt. Wir sind erst einige Stunden voneinander getrennt, aber es fühlt sich viel länger an. Ich freue mich bereits auf unser Wiedersehen.

»Es geht mir gut, Darling. Ich bin in Lewisburg angekommen und auch das Hotel ist toll.«

Es tut gut, mit ihm zu reden. Mein Ruhepol schafft es immer wieder mich zu beruhigen, auch wenn er nicht viel dafür tut.

»So wie ich dich kenne, bist du schon unterwegs und suchst ihn, oder?«, will er interessiert wissen.

Das Schmunzeln auf meinem Gesicht wird breiter, bis sich meine Lippen zu einem Lächeln verziehen. »Ja, ich bin bereits unterwegs. Ich klappere mal die ersten Adressen ab. Mal sehen, ob ich Glück habe.«

»Ich wünsche dir viel Erfolg, Engel. Melde dich, sobald du etwas hast, ja?«

»Mach' ich. Bis dann, Connor.«

Nach dem Telefonat verstaue ich mein Handy in meine hintere Hosentasche und krame das Papier mit den Informationen hervor. Connor war so lieb und hat mir eine Karte ausgedruckt. Alle dreizehn Adressen, die auf Wright lauten, wurden eingekreist. Das vereinfacht meine Suche um ein Vielfaches.

Entschlossen fixiere ich meine erste Anlaufstelle, die ich heute in Angriff nehme und präge mir den Weg so gut es geht ein, bevor ich loslaufe. Immer wieder murmle ich mir zu, dass das ein Kinderspiel für mich ist und ich bald Erfolg haben werde. Ich darf bloß die neu aufkeimende Hoffnung nicht verlieren.

Nach einem halbstündigen Spaziergang stehe ich vor dem ersten Haus, das ich mit einem neugierigen Blick mustere. Der Vorgarten sieht nicht speziell aus, aber ordentlich. Als würde der Besitzer dieses Grundstücks nur den Rasen mähen und sich sonst nicht groß darum kümmern. Eine große Veranda geht um das kleine Haus herum, wo ich auf der einen Seite eine holzige Hollywoodschaukel entdecke, die auf der Ostseite ihren Platz gefunden hat. Auf der anderen Seite steht ein kleiner Grill, der aber unbenutzt wirkt. Die Vorhänge sind überall zugezogen und geben keinen Hinweis auf das Innere frei. Mal sehen, ob jemand zu Hause ist.

The Last LetterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt