Kapitel Sechsunddreißig: Date

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N A T H A N I E L

Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr etwas unglaublich doll wollt, aber es besser wäre, das Ganze sein zu lassen? Es einfach ruhen zu lassen, damit es nicht in einer gewaltigen Katastrophe endet. Ihr wisst genau, was für Auswirkungen folgen können und trotzdem versucht die Hoffnung sich bis zum Schluss durchzukämpfen und euch vom Gegenteil zu überzeugen.

Ein Kampf zwischen Herz und Verstand.

Und ihr steckt in der Mitte fest, weil ihr euch für keine Seite entscheiden könnt. Die Last auf den Schultern raubt euch den Atem. Eure Gedanken überschlagen sich und am Ende siegt der Zwiespalt und man möchte sich nur noch in ein dunkles Loch verkriechen, bis alles vorbei ist.

Genau so fühle ich mich gerade. Auf der einen Seite möchte ich Willow besser kennenlernen. Ihr Lächeln bewundern, während sie mir irgendetwas von sich erzählt. Aber auf der anderen Seite überschattet der Golfball in meinem Kopf das Positive in meinem Leben. Alles ist ungewiss. Ich kann nicht einfach das tun, worauf ich Lust habe, weil es sich auf alles auswirken könnte. Und das wäre nicht fair.

Mit zitternden Händen schalte ich den Motor aus und steige aus dem Wagen. Ich bin bereits da. Mit einem kurzen Blick auf die Uhr erkenne ich, dass ich früh dran bin.

Tief atme ich ein und versuche die Anspannung aus meinem Körper zu vertreiben. Seit Avery nach Hause gefahren ist, kreisen Gedanken in meinem Kopf, die mich verunsichern. Nicht einmal ein Telefonat mit ihr kann mich beruhigen, auch wenn ich für einen kurzen Moment aufatmen kann. Sobald ich jedoch wieder allein bin, ziehen dunkle Wolken über mich auf. Eigentlich mag ich Regen. Nur nicht den, der meine Gedanken verursachen.

»Wie lange willst du hier herumstehen, bevor du endlich klingelst?«

Eine zarte Stimme ertönt, die sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im Türrahmen kann ich Willow erkennen. Mit verschränkten Armen lehnt sie sich dagegen, während ihre blonden Korkenzieherlocken auf und ab springen. Dabei ziert ein amüsiertes Lächeln ihre Gesichtszüge, das mein Herz schneller schlagen lässt.

»Ähm … ich bin zu früh?«

Meine Antwort hört sich eher wie eine Frage an, weshalb ihr Lächeln breiter wird und ihre makellosen weißen Zähne zum Vorschein bringt. »Also willst du zwanzig Minuten draußen warten?«

Ich versuche, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in meinem Hals gebildet hat. In ihrer Nähe verhalte ich mich immer wie der größte Vollidiot. Als würde sich mein Selbstbewusstsein verstecken, damit ich mich lächerlich mache.

»Eigentlich war das genau der Plan«, gebe ich zu und zucke mit den Schultern.

Leise lacht sie auf und öffnet die Tür noch einen weiteren Spalt. »Komm rein. Ich brauche noch fünf Minuten.«

Mit schnellen Schritten trete ich in das Haus ein und sehe mich neugierig um.

»Fühl dich wie zu Hause. Bin gleich wieder da.« Willow flitzt in den oberen Stock und lässt mich allein.

Mein Blick gleitet sofort durch den Raum. Überall sind helle Holzelemente zu sehen, die einen gewissen Charme erzeugen. Die weiße Couch ist in der Mitte des Wohnzimmers platziert. Gleich nebenan kann ich einen Kamin erkennen, in dem ein kleines Feuer zu sehen ist. Auf der anderen Seite steht ein buntes Bücherregal. Mit gerunzelter Stirn nähere ich mich vorsichtig und nehme ein Buch heraus.

Der Alchimist. Ein unglaublich gutes Buch. Mein Lieblingswerk.

Wie es aussieht, haben wir einen ähnlichen Geschmack, da ich sehen kann, dass sie nicht nur ein Buch von dem Autor besitzt. Ob wir noch weitere Gemeinsamkeiten finden werden?

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