Kapitel Vierunddreißig: Musikschule

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N A T H A N I E L

»Was wollen wir dort überhaupt? Abgesehen von diesem einen Tag im Möbelhaus, habe ich das Klavierspielen aufgegeben.«

Meine beste Freundin bleibt stehen und versperrt mir den Weg. Dabei hat sie die Arme vor der Brust verschränkt. Zeitgleich schiebt sie die Unterlippe vor und blickt mich aus großen bernsteinfarbenen Augen an.

Sie versucht mich weich zu kriegen.

»Damit kommst du nicht durch, Avery. Dieser Blick zieht bei mir nicht. Hat er nie.«

Mit meinen Händen drehe ich sie wieder um und schubse sie nach vorn, damit wir endlich an unser Ziel ankommen. Ein tiefer Seufzer entkommt ihren Mund, als sie bemerkt, dass ich mich davon nicht beirren lasse.

Seit ich wieder in den Genuss ihrer Leidenschaft kam, habe ich nicht aufhören können darüber nachzudenken. Ich habe mit jedem Ton fühlen können, wie sehr Avery es vermisst und doch hat sie seitdem kein Wort mehr darüber gesprochen. Zumindest hat sie mir gegenüber nichts erwähnt.

»Ich verstehe nur nicht, was das bringen soll, Nathaniel.«

Ich drehe mein Gesicht zu ihr und zucke mit den Schultern. »Das werden wir herausfinden, wenn wir dort sind. Aber bitte, Avery, lass dich darauf ein.«

An ihrer Haltung kann ich sehen, dass sie langsam aber sicher nachgibt. Eigentlich bin ich niemand, der gerne jemanden zu etwas drängt. Dies ist eine Ausnahme, weil ich tief in meinem Inneren weiß, dass es das Richtige ist. Avery wird das ebenfalls erkennen, sobald wir in der Musikschule eintreffen. Und bis dahin werde ich die Launen meiner besten Freundin aushalten müssen.

»Na schön«, murrt sie und schiebt ihre Lippe noch ein Stück weiter vor. Eine schmollende Avery ist immer ein entzückendes Bild.

Sobald wir uns der Altstadt nähern, kuschle ich mich tiefer in meine Herbstjacke. Durch die hohen Mauern, kommt die Sonne nicht durch, weshalb es automatisch kälter ist. Meine Augen wandern neugierig über jedes Gebäude, an dem wir vorbeigehen. Auch wenn ich schon unzählige Male hier war und mich mit der Geschichte der Stadt befasst habe, verschwindet meine Neugier dafür nicht.

»Spuck es schon aus, Nathaniel. Ich sehe doch, dass dir etwas auf der Zunge liegt.«

Ohne darüber nachzudenken, öffne ich den Mund und überschlage sie mit Informationen, die sie bestimmt nicht interessieren. Das ist mir aber gerade total egal.

»Siehst du dieses Haus?«

Avery rollt mit den Augen, bevor sie ihren Blick auf das historische Gebäude richtet, das von einem wunderschönen Park umgeben ist. Auch wenn der Sommer sich langsam verabschiedet, da sich der Herbst ankündigt, blühen die Blätter und Knospen.

»Das ist die Universität von Lewisburg. Ein Gebäude, das über 150 Jahre alt ist. Das Campus-Theater ist wirklich cool und würde dich ebenfalls interessieren, auch wenn du mit der Geschichte dahinter wenig anfangen kannst.« Mein Mundwinkel zuckt, während Avery so tut, als hätte sie meinen letzten Satz nicht gehört. »Sehr beeindruckend ist jedoch die Tatsache, dass sie sich sehr früh für die Bildung der Frauen eingesetzt haben und es auch durchsetzen konnten. Eins der ersten in den Vereinigten Staaten.«

Sofort schießt ihr Blick zu mir. »Wirklich? Das ist wirklich beeindruckend und ein interessanter Fakt.«

»Wäre etwas für deine Kolumne, oder?«

Avery nickt. »Auf jeden Fall. Ich werde mal ein wenig recherchieren und wenn es passt, etwas darüber schreiben.«

Während wir unserem Ziel immer näher kommen, erzähle ich ihr über jedes Haus, bei dem wir vorbeigehen, etwas. Meine beste Freundin hört mir dieses Mal aufmerksam zu. Neugierig wandern ihre Augen und saugen jedes Detail auf, das ich ihr zeige.

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