Kapitel Dreißig: Besuch

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N A T H A N I E L

Mit der Tasse Kaffee in der Hand sitze ich auf der Veranda und blicke überall hin, während ich über den gestrigen Tag nachdenke. Auch wenn ich es nicht zugeben möchte, war ich total erschöpft ins Bett gefallen, als wir nach Hause gekommen sind. Irgendwann haben sich die Kopfschmerzen angekündigt und mir eine Menge abverlangt, weshalb ich dankbar war, dass Avery nach Hause wollte. Es wird von Tag zu Tag schlimmer und ich bin mir sicher, dass das kein gutes Zeichen ist.

Eventuell sollte ich über das Angebot von meinem Arzt nochmals nachdenken und es annehmen. Auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt. Vielleicht könnte es mir aber helfen. Irgendwie.

Seit meine beste Freundin wieder in meinem Leben aufgetaucht ist, liegt mir mehr daran. Meine Einstellung hat sich geändert und mein Wille dagegen anzukämpfen wird immer größer. Die Frage ist nur, ob ich stark genug bin und den Kampf gewinnen kann.

Avery hat sich in ihr Zimmer verkrochen und hockt vor dem Laptop. Die Arbeit ruft, weshalb ich sie den ganzen Morgen nicht sehen werde. Das gibt mir genug Zeit, um mich auf heute zu konzentrieren.

Ich habe gestern Abend noch einen Anruf getätigt und jemanden eingeladen. Meine beste Freundin wird sich bestimmt freuen und auch ich kann es kaum erwarten, ihn endlich persönlich kennenzulernen. Außerdem müssen wir noch einige Dinge besprechen. Ich will nicht allzu lange warten, weil ich nicht weiß, was in den nächsten Wochen alles passieren kann. Vielleicht ändert sich mein gesundheitlicher Zustand drastisch. Bis jetzt fühle ich mich aber gut, wenn man von den Kopfschmerzen mal absieht. Die wollen gar nicht mehr verschwinden.

Tief seufze ich auf, bevor ich einen Schluck von diesem köstlichen Getränk nehme. Ich liebe den Duft und das Aroma. Es gibt nichts Besseres, um in den Tag zu starten.

Eine Bewegung auf der anderen Straßenseite erregt meine Aufmerksamkeit. Die alte Dame winkt mir zu, sodass ich aufstehe und mich ihr nähere.

»Guten Morgen, Mrs. Griffin.«

»Dir auch einen guten Morgen, Nate.« Prüfend mustert sie mich von oben bis unten, ehe sie die Augenbraue in die Höhe zieht. »Wie geht es dir heute?«

Ihr eine Lüge zu erzählen, würde nichts bringen. Diese Frau hat einen sechsten Sinn und bemerkt sofort, wenn jemand nicht ehrlich zu ihr ist. »Von den Kopfschmerzen mal abgesehen, ziemlich gut. Fühle mich nur ein wenig ausgelaugt.«

Mrs. Griffin nickt. »Ja, das habe ich mir gedacht. Deine Augenringe haben dich verraten.« Die Furche auf ihrer Stirn vertieft sich. »Hast du es ihr endlich erzählt?«

»Avery hat es selbst herausgefunden.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich habe ihr danach alles erzählt und sie zu meinem Arzttermin mitgenommen.«

Überrascht weiten sich ihre Augen, bevor sie mir ihre Hand auf die Schulter legt. Ich kann den Stolz darin erkennen, dass ich mich dem endlich gestellt habe. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich diesen Ausdruck verdiene. Hätte Avery die Post nicht geöffnet, würde sie es bestimmt noch nicht wissen. In dieser Sache war ich ein Feigling.

»Bevor ich es vergesse. Wir müssen unser Abendessen verschieben, weil heute Abend jemand zu Besuch da ist.« Mrs. Griffins Augen funkeln auf. Ich kann die Neugierde darin erkennen, aber ich werde ihr kein Wort sagen. Nicht, dass meine beste Freundin davon erfährt. »Und nein, ich werde Ihnen nicht verraten, wer es ist.«

»Na gut. Dann wünsche ich euch viel Spaß.« Sie dreht sich um, blickt mir jedoch weiterhin in die Augen. »Wir können es diese Woche ausfallen lassen. Dafür essen wir nächste Woche bei dir.«

Unwillkürlich schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. »Alles klar. Ich werde als Entschädigung Ihren Lieblingswein besorgen.«

Sie hebt den Daumen in die Höhe, ehe sie sich komplett abwendet. »Das ist das Mindeste, wenn du mich schon versetzt, Nate.«

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