Kapitel Vierzehn: Angebot

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N A T H A N I E L

Meine Worte sind raus, bevor ich genau darüber nachdenken kann. Es fühlt sich an, als hätte ich einen riesigen Fehler gemacht, weil ich unüberlegt gehandelt habe. Ich wollte Avery nicht weiter belügen, aber ihr an den Kopf zu werfen, dass ihre Eltern die Finger im Spiel hatten, war keine gute Idee. Immerhin bin ich ebenfalls schuld an dem Ganzen, weil ich es zugelassen habe.

Vielleicht war es nicht richtig von mir, aber dann stelle ich mir die nächste Frage, ob ich sie weiterhin hätte belügen sollen? Hat Avery nicht verdient, die Wahrheit zu kennen? Irgendwann wäre dieses Geheimnis ans Licht gekommen und bevor sie es von anderen Menschen erfährt, ist es doch besser, wenn sie es von mir hört. Oder irre ich mich?

Verdammt! Ich weiß gar nicht, was ich denken soll. Es wäre vermutlich besser gewesen, wenn ich mir das genau überlegt hätte. Aber ihr schmollender Anblick und ihr berechtigter Einwand, wie auch der Schmerz in ihren Augen haben mich zum Reden gebracht. Mein Herz konnte es nicht länger ertragen, sie so zu sehen und sie weiterhin mit meinem Schweigen zu verletzen.

Das ist nicht fair, ihr gegenüber. War es nie.

Meine beste Freundin sieht mich aus großen Augen an, während ihr Mund offen steht. Sie weiß nicht, was sie genau dazu sagen soll und ich kann es absolut verstehen. Ich war nicht gerade feinfühlig. Vielleicht hätte ich es ihr schonender beibringen müssen. Aber wäre das in diesem Fall überhaupt möglich gewesen?

Der Schmerz in ihren Iriden wird größer, während ich die Enttäuschung darin erkennen kann, die mir die Luft zum Atmen nimmt. Automatisch wandert meine Hand zu meiner Brust, versucht diese Schwere darin zu vertreiben, die sich wie ein riesiger Klumpen anfühlt.

»Mein Vater?«, krächzt Avery leise und fassungslos.

°°○°°

Mit einem breiten Grinsen klingle ich an die Tür der Wilsons. In meinen Händen halte ich den Brief, der mir noch immer rasantes Herzklopfen auslöst. Endlich habe ich die Zusage bekommen, auf die meine beste Freundin und ich monatelang gewartet haben. Die Tatsache, dass wir gemeinsam auf das College gehen können, fühlt sich unwirklich an. Niemals hätte ich gedacht, dass wir das hinkriegen, weil es wirklich nicht einfach war.

Mr. Wilson öffnet mit einem missmutigen Blick die Tür und schaut mich mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen an. Sofort spanne ich mich an, während mein Grinsen aus meinem Gesicht verschwindet. Dieses mulmige Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, dass ich jedes Mal empfinde, sobald er in meiner Nähe ist.

»Was willst du?«, hakt er forsch nach und versperrt mir die Sicht auf das Wohnzimmer.

Eine unangenehme Gänsehaut bildet sich auf meinem Körper, während mir ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinabläuft. Ich widerstehe den Drang mich zu schütteln, weil dieser Mann dies als Schwäche ansehen würde und das will ich auf jeden Fall vermeiden. Er mag mich nicht, aber das ist mir egal, da dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht. Wie er der Vater eines solch bezaubernden Mädchen sein kann, ist mir schleierhaft. Avery kommt mehr nach ihrer Mutter, was aber auch das Beste ist, was ihr passieren konnte.

»Ich will zu Avery, Sir.«

Meine Stimme ist emotionslos und mein Blick starr. Der Vater von meiner besten Freundin löst nichts als Unbehagen in mir aus, was ich mir nicht erklären kann. Mr. Wilson hat mir nie etwas getan und trotzdem sind wir nie warm miteinander geworden.

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