Kapitel Dreiundzwanzig: Verdauen

73 19 21
                                    

A V E R Y

Meine Welt hat sich in einer Sekunde komplett verändert und mich somit aus der Bahn geworfen. Es fühlt sich wie ein Alptraum an, aus dem ich nicht erwachen kann, weil es leider die bittere Realität ist. Ein einziger Wimpernschlag und alles stürzt in ein dunkles Loch, aus dem ich mich nicht befreien kann. Ich falle tief hinein, während ich mich versuche, an etwas festzuhalten.

Nur ohne Erfolg.

Es ist dunkel und kalt, sodass mein ganzer Körper anfängt zu zittern und sich nach etwas Warmes sehnt, was ich ihm in diesem Augenblick nicht geben kann. Ich weiß nicht einmal, ob es jemals wieder so sein wird oder ich wegen dieser Tatsache komplett zerbrechen werde. Beide Seiten sind möglich. Je nachdem, wie ich mich entscheide und ob ich das seelisch verkraften kann.

Vielleicht bin ich stark genug, auch wenn ich das in diesem Moment nicht glaube. Dafür schmerzt alles zu stark, während ich immer weiter hinabgleite.

Was bringt es mir, ein glückliches Leben zu führen, wenn einer meiner Lieblingsmenschen nicht bei mir sein kann? Weshalb ist das Schicksal so verdammt grausam und zerstört ein Leben, das so unglaublich wertvoll ist? Wer entscheidet das eigentlich und wieso nehmen sie uns junge Menschen weg, die noch ihr gesamtes Leben vor sich haben?

Je länger ich darüber nachdenke, ohne eine Antwort darauf zu bekommen, verzweifelt mich ungemein, sodass ich am liebsten meine gesamten Emotionen in die Welt hinausschreien möchte. Ich fühle mich verloren und hilflos und das ist ein so unangenehmes Gefühl. Als wäre ich überflüssig, weil ich nichts dagegen unternehmen kann.

Ich kann die Tatsache nicht akzeptieren, dass alles so unfair ist. Es dürfte nicht sein. Niemals. Unschuldige Menschen sterben, die es nicht verdient haben. Niemand hat das, aber mein bester Freund am aller wenigstens. Er ist viel zu gut, als dass er ein solches Schicksal erleidet.

Ein Laut versucht zu mir durchzudringen. Nur am Rande nehme ich ihn wahr, da ich viel zu vertieft in meinen Gedanken bin. Ich hocke auf dem Boden in meinem Zimmer, während ich meine Beine umarme und an die Wand starre. Nachdem mir Nathaniel auf einige Fragen geantwortet hat, habe ich mich hier drin eingesperrt, um diese Informationen zu verdauen.

Plötzlich hört es auf, bevor es wieder zu läuten beginnt. Benommen drehe ich meinen Kopf, sehe alles verschwommen, da meine Tränen nie aufgehört haben meine Wange hinabzufließen. Genauso wie der Stich in meiner Brust, der mir jedes Mal widerfährt, wenn ich einen Atemzug betätige. Meine Hände streifen den Boden, tasten nach dem Störenfried, der sich irgendwo in diesem Zimmer befinden muss. Mein Ziel ist es, ihn zu finden, damit ich es ausschalten kann. Ich will in diesem Moment lieber allein sein mit meinem Schmerz, der mich in tausende von Teilen zerfetzt.

Sobald ich es in den Händen halte, identifiziere ich es als mein Smartphone. Es klingelt immer wieder mit einem kleinen Unterbruch. Den Namen kann ich nicht mal ablesen, so stark verschleiern mir die Tränen die Sicht.

»Was?«, flüstere ich stockend ins Telefon und schließe dabei meine Augen.

Ich kann meinen Zustand nicht verbergen, auch wenn ich es versuchen würde. Es geht nicht. Dafür ist der Schmerz zu groß, den ich fühle.

»Avery, Engel, alles okay? Was ist los?«

Connors Stimme, die eigentlich beruhigend auf mich wirkt, lässt mich erneut zusammenbrechen. Laut schluchze ich auf, unfähig etwas darauf zu erwidern. Kein Wort will über meine Lippen kommen, außer diese leidenden Laute, die meinem Verlobten zeigen, wie es mir geht.

Verdammt beschissen.

»Avery! Was ist denn passiert? Geht es dir gut? Rede mit mir.«

Mein gesamter Körper vibriert. Mein natürlicher Optimismus verschwunden, während ich an meinen besten Freund denke.

The Last LetterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt