N A T H A N I E L
Nachdem ich den Anruf beendet habe, schlendere ich in die Küche und hole eine Tasse aus dem Schrank. Avery könnte bestimmt einen Kaffee gebrauchen, auch wenn sie sicherlich bereits einen getrunken hat. Ich kann mich noch erinnern, was für ein Kaffeejunkie sie in dieser Hinsicht war. Glaube kaum, dass sich daran etwas geändert hat.
Mein Vorgesetzter hat meinen spontanen Urlaub sofort genehmigt, was mich sehr erleichtert. Immerhin ist es nicht selbstverständlich, jedoch denke ich, dass es ihm nur recht ist. Louis sorgt sich andauernd um mich. Noch mehr als er vor einigen Monaten von dieser Sache erfahren hat.
»Ist das dein verdammter Ernst? Oh mein Gott! Ich kann nicht fassen, dass ihr sowas vor uns verheimlicht habt«, schreit meine beste Freundin aus dem Zimmer, weshalb ich kurz zusammenzucke. Dass sie ausrastet, kann ich nachvollziehen. Immerhin hat sie jetzt gecheckt, wie lange sie und Alyssa bereits belogen werden. Keine einfache Kost. Überhaupt nicht.
Die Bombe hat definitiv eingeschlagen und tiefe Risse hinterlassen, die lange brauchen werden, um zu heilen. Sie wird sich nach einiger Zeit wieder erholen, jedoch wird dieser Verrat Narben hinterlassen. So ging es mir auch.
Averys Stimme ist laut und trieft vor Enttäuschung und Schmerz, was mir in der Seele wehtut. Ich kann es ihr nicht einmal verübeln, da ich genau gleich reagiert habe. Zu wissen, dass mein Dad mit Averys Mutter in der Kiste war und somit ein weiteres Kind in die Welt gesetzt hat, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Vor allem, da ich jetzt diesen Zorn verstehen kann, den Mr. Wilson mir gegenüber hegte.
Meine Mutter war total am Ende, jedoch ist sie bei ihrem Ehemann geblieben, was ich nicht verstehen kann. Wieso lässt sie sich das gefallen und verzeiht diesem Mann einen solchen Fehler? Ich bin der Meinung, wenn jemand seinen Partner betrügt, wird er nie damit aufhören. Egal, wie oft er das beteuert. Es machte keinen Unterschied. Wie oft habe ich versucht, mit ihr darüber zu reden, jedoch hat sie ihre Meinung nie geändert.
»Du dachtest, es sei das Beste? Willst du mich verarschen? Ich war psychisch an einem Tiefpunkt angelangt, während mein Herz jede Sekunde weinte und blutete. Und ihr dachtet wirklich, es wird wieder?«
Schockiert halte ich in meiner Bewegung inne, als mein Verstand ihre Worte verarbeitet. Gleichzeitig bildet sich eine Schwere in meiner Brust, die mir das Atmen erschwert, während ein unangenehmer Schauer meinen Rücken hinabläuft.
Meine Augen schließen sich, als meine Hand die Stelle massiert, wo sich mein Herz befindet. Ich wusste, dass ich mit meinem kompletten Verschwinden Avery verletzt habe, aber nie hätte ich dieses Ausmaß erwartet. Aber was mache ich mir vor? Wie wäre es mir ergangen, wenn ich das Gleiche abgezogen hätte? Ich wäre am Boden zerstört gewesen.
Fest krallen sich meine Hände in die Anrichte, bis meine Knöchel weiß hervortreten. In meinem Kopf beginnt es leicht zu pochen, weshalb ich leise aufstöhne. Ich muss meine Medikamente nehmen, bevor Avery etwas mitkriegt. Das wäre noch die Kirsche auf der Torte, wie meine Mutter es nennen würde.
»Ich kann das nicht. Ruf mich in nächster Zeit nicht an«, höre ich sie nochmals brüllen, bevor es plötzlich still wird. Der Schmerz in ihrer Stimme bringt mich innerlich um. Zerreißt mein Herz, während ich versuche, Luft zu holen.
Mit dumpfen Schritten visiere ich mein Zimmer an. So schnell möglich laufe ich darauf zu und stoße mit den wenigen Möbeln zusammen, die ich in diesem Haus besitze. Aber das ist mir egal. Das einzige, was mir in diesem Moment durch meinen Kopf geht, sind diese Pillen, die mir dieses pochende Stechen verschwinden lassen werden.
DU LIEST GERADE
The Last Letter
RomanceAvery Wilson ist kurz davor, mit dem Mann ihrer Träume den Bund der Ehe zu schließen, als sie einen Brief erhält, der sie zurück in die Vergangenheit katapultiert. Entschlossen will sie die Antworten finden, die sie seit Jahren nicht in Ruhe lassen...