Kapitel Siebzehn: Geheimnis

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A V E R Y

»Was machst du hier?«

Nathaniel sieht mich aus großen Augen an, während ich ihn weiterhin anstrahle und mich wirklich darauf freue für eine kurze Zeit seine Mitbewohnerin zu sein. Es fühlt sich an, wie ein lang vergessener Traum, den wir als Teenager hatten, als wir uns für das gleiche College beworben haben.

Leider kam alles anders. Auch meine College Auswahl hat sich am Ende geändert, da mich meine Eltern dazu gedrängt haben. Im Nachhinein denke ich, dass sie das zusammen geplant haben, weil sie wussten, was passieren wird. Ein ausgesprochen durchdachter Plan, der mein gesamtes Leben verändert hat.

Bevor mich die Vergangenheit einholen kann, konzentriere ich mich auf meinen besten Freund, der mich noch immer mit einer gerunzelter Stirn ansieht.

»Wonach sieht es denn aus? Ich nehme dein Angebot an und wohne für die kurze Zeit bei dir.«

Meine Wangen tun bereits weh, da mein Grinsen nicht verschwinden will. Viel zu euphorisch bin ich darüber, mehr Zeit mit Nathaniel zu verbringen. Auch wenn wir noch lange nicht da sind, wo wir einst waren, habe ich ein gutes Gefühl dabei. Unsere tiefe Verbundenheit ist noch immer vorhanden und auch wenn wir nicht da anknüpfen können, wo wir vor zehn Jahren waren, ist es immer noch besser, als ihn nicht in meinem Leben haben zu dürfen. Langsam werden wir uns annähern, bis wir nicht mehr ohne einander können.

»Ich dachte, dass du im Hotel bleibst, Avery.«

Das dachte ich gestern Abend auch, aber Connor hat mir heute Morgen geschrieben, dass es für ihn in Ordnung ist und er mir in dieser Sache vertraut. Mehrere Male habe ich nachgehakt, um ganz sicher zu sein, bevor ich meine Taschen gepackt habe und mit dem Taxi hierhergefahren bin.

Lässig zucke ich mit den Schultern. »Ich habe es mir anders überlegt.«

»Bist du dir sicher?«, hakt er nach und murmelt kurz daraufhin etwas vor sich hin, das ich nicht verstehe.

»Total sicher. Zu hundert Prozent.« Übertrieben nicke ich mit dem Kopf. »Also, wo ist mein Zimmer?«, frage ich meinen besten Freund und drehe mich um.

Neugierig blicke ich in diesem trostlosen Haus umher. Irgendwann werde ich einiges an Dekomaterial besorgen müssen, um es wenigstens ein wenig gemütlicher zu gestalten. Am besten schleppe ich Nathaniel gleich mit, damit er sich die Sachen selbst aussuchen kann. Vielleicht wird er sich dann wohler fühlen, sobald es hier ein wenig wärmer wird.

»Zweite Tür links«, höre ich seine Stimme hinter mir.

Mit zügigen Schritten nähere ich mich meinem neuen Zimmer und als ich die Tür öffne, bleibe ich abrupt stehen. Wenn ich bisher gedacht habe, dass dieses Haus leblos und leer erscheint, ist dieses Zimmer die Krönung davon. Nichts außer dem Bett ist hier zu sehen. Kahle Wände, kein Schrank und nicht mal eine Kommode ist hier zu finden. Von Bildern oder sonstigen Sachen mal ganz abgesehen.

Meine Augen sind geweitet, als ich meinen Kopf in die Richtung von Nathaniel drehe. Dieser kratzt sich bereits verlegen am Nacken, nachdem er meine Reaktion bemerkt hat.

»Ich hatte bisher keine Zeit, um es einzurichten. Tut mir leid.«

Schnell winke ich mit der Hand ab und setze mein Lächeln wieder auf. Ein Versuch, seine Unsicherheit ein wenig abzumildern. »Alles gut.« Schwungvoll hüpfe ich auf und lasse mich auf das Bett fallen. »Wow! Das Bett ist ja richtig bequem«, rufe ich aus und kuschle mich ein wenig tiefer in die Laken. Und das sage ich nicht, um ihn aufzumuntern, weil es die Wahrheit ist. Nicht einmal meine Matratze in Philadelphia ist so gemütlich wie diese hier.

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