59 - Flammen

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Love is friendship set on fire. - Jeremy Taylor

Song: "Fate don't know you" - Desi Valentine

Meine Hand zittert unnatürlich, aber immerhin gelingt es mir die Klingel zu drücken, ohne tausend Mal abzurutschen.

Unter meinem linken Arm klemmt die riesige A3 Mappe mit meinem Kunst-Projekt, rechts baumelt die olle Stofftasche meiner Mom – etwas ausgebeult von meinem Mäppchen und einem halben Dutzend Radiergummis und Spitzer.

Ich muss Sebastian einfach fragen, was das alles mit Anita bedeutet hat und was ich für eine Rolle spiele.

Clive kann ich nicht fragen, dafür sind wir noch zu... komisch zueinander.

Nur wie kann ich das anstellen? Soll ich ihn geradeheraus damit bombardieren oder lieber vorsichtig, Schritt für Schritt auf den Zahn fühlen, um ihn nicht in die Enge zu treiben?

An und für sich würde zu mir die zweite Variante besser passen. Jemanden mit so einer Lawine zu überfallen ist nicht mein Wesenszug, das würde ich höchstens mit Clive abziehen.

Die Türe schwingt plötzlich so voller Energie auf, dass ich nur mühsam ein erschrockenes Quietschen unterdrücken und durch einen scharfen Lufteinzug ersetzen kann.

Eine verschlagen grinsende, jüngere Kopie von Sebastian mustert mich gekonnt, um mir die Röte ins Gesicht zu treiben.

Himmel, das ist schon wieder so peinlich!

Fraglich, ob es mir noch peinlicher wäre, wenn es Sebastian selbst und nicht Marcus gewesen wäre. Aber ich schätze Sebastian hätte die Türe auch nicht so abrupt aufgerissen, oder mich mit diesem ironischen „Aww, du Arme, bist du etwa erschrocken?" noch mehr in Verlegenheit gebracht.

Aber es ist Marcus und es ist mir unfassbar unangenehm, warum auch immer...

„Na, wenn das mal nicht Mrs. Wirklich-Lecker persönlich ist." Sein sarkastischer Tonfall erinnert mich automatisch an Clive.

Das Ampelrot in meinem Gesicht reift zu einem tiefen Kaminrot. „Hi...", presse ich hervor.

Armselig... ich lasse mich hier von einem fünfzehn Jahre alten Jungen aufziehen.

Er grinst mich breit an und wackelt mit den Augenbrauen. „Komm rein, mein geliebter Bruder ist noch nicht wieder da und er hat mir Prügel angedroht, wenn ich scheiße zu dir bin... ich weiß wirklich nicht, wie er darauf kommt?"

Meine Fantasie erschafft einen glänzenden Engelsschein über Marcus Kopf. Meine Wangen sind zwar immer noch rot, aber zumindest schleicht sich ein flüchtiges Lächeln auf meine Lippen.

Der Gedanke an Sebastian, wie er Marcus droht – meinetwegen – lässt mein Herz ein klein wenig heftiger schlagen.

„Wo ist er denn?"

Anders als bei Marcus würde mein Heiligenschein nicht nur „schein"-heilig sein, sondern echt.

Ich kann Marcus prüfenden Blick auf mir spüren, während ich mich aus meinem Mantel und den Stiefeln schäle. Es ist kein „Abchecken", sondern ein wahrhaftiger Test. Ob ich ihn bestehe, steht in den Sternen.

„Für unsere Grandma einkaufen. Sie will Plätzchen backen und hatte kein... keine Ahnung, was ihr alles gefehlt hat, aber Vanilleschoten hat sie noch, das weiß ich." Seine Augen flackern mir schelmisch entgegen.

„Ach so, okay. Dann... soll ich in seinem Zimmer warten?"

„Kannst du schon, oder du zockst mit mir und George ne Runde, wir erklären dir auch wie es geht."

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