Chapter 34

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- Felix -

Ich zog meine Schuhe und Socken aus und versteckte meine Zehen im heißen Sand der Küste. Die weißen Sanddünen glitzerten in der Sonne. Der Strand war voll, aber ich ging an der Menschenmenge vorbei und näherte mich Felsen, zwischen denen ein kleiner unscheinbarer Trampelpfad zu meinem Geheimort führte. Hinter den Felsen war das Gras auf den Hügeln so unberührt, dass es in die Höhe ragte und einen kleinen Strand versteckte, der selbst vom Wasser aus kaum zu sehen war und von den Felsen verdeckt wurde.

Ich setzte mir Kopfhörer auf und ließ mich auf der Grünfläche des Strandes nieder. Schaltete somit das Meeresrauschen aus und versank in der sanften Stimme von Troye Sivan. Strawberries & Cigarettes ertönte als erstes und ließ mich endlich in die erwünschten Gedanken fallen.

Stunden waren vergangen, in denen Chan mir das letzte mal geantwortet hatte. Nun wartete ich vergebens auf eine Antwort. Vielleicht wurde ich paranoid, aber ich hatte das Gefühl ignoriert zu werden. Ich hätte es verdient, mehr noch. Ich hätte es auch verstanden, wenn man die Freundschaft zu mir nicht mehr halten wollte, weil ich Unfähig darin wurde welche zu führen.

Sobald ich Südkorea das erste mal verließ, hatte ich die Freundschaften auf den Dachboden gestellt. Nun war ich aus dem Haus ausgezogen und hatte die Schachtel zurückgelassen. Zumindest fühlte es sich genau so an.

Aber ich wollte nicht, dass es endete. Dass ich wirklich all das verlor, was ich sonst immer selbst im Dunkeln finden konnte. Mein Zuhause. Troyes Stimme verschlimmerte meinen Gefühlsausbruch. Sobald die ersten Töne von Fools erklangen, floßen salzige Tränen über meine Wangen und schlossen sich dem Meer an.

-

Die Sonne brach durch die Wolkendecke und ging unter. Es war nicht mal ganz 17 Uhr, da färbte sich der Himmel in rosarote Töne und nahm dem Meer die blaue Farbe. In Sydney ging die Sonne früher unter, als in Seoul. Die Tage waren kürzer, die Nächte länger.

Ich schaute auf mein Handy. Wieder einmal. Und prüfte eingehende Nachricht, die nicht gekommen waren. Auf Minhos Chat war noch immer die gleiche Zahl zusehen, wie am Tag meiner Anreise und ich wusste, dass ich es mit dem Ignorieren dieser nur schlimmer machte. Trotzdem konnte ich es nicht.

Obwohl mir bewusst war, was ich alles auf ein Spiel setzte, welches ich gar nicht spielen wollte, antwortete ich weder Minho, noch Hyunjin oder Seungmin. Ich antwortete Chan, bis er mir irgendwann nicht mehr antwortete. Ich antwortete Jisung, der mir einfach nur alles gute wünschte und mich drum bat meinen Familie von ihm zu grüßen und Jeongin, der mir auf erschreckend ehrliche Weise schrieb, dass ich mich finden sollte, bevor ich zurück nach Südkorea kam.

Nun saß ich hier und hoffte, dass die Sonne mich mitnahm während sie unterging. Dass sie mich verschlang.

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"Sieh mal einer an, wer in Australien ist!" Meine Cousine betrat die Küche in der ich saß und steuerte auf mich zu. Ich konnte nur ein "Hey" über meine Lippen bringen, da griff sie nach meinem Kinn und zog es in die Höhe, damit sie mir richtig in die Augen sehen konnte.

"Die Seouler Sonne scheint dir nicht gut zu tun. Du hast weniger Sommersprossen, kann das sein? Und blasser bist du auch." Sie lachte, während sie ihre Augen musternd zudrückte.

"Schon." versuchte ich zu sagen, was durch den zugedrückten Mund kaum möglich war. Dann ließ sie mich los. "Aber in Seoul ist es zur Zeit viel wärmer als in Sydney." sagte ich und schmunzelte sie an. Draußen war es schon Dunkel und die Temperaturen unter Zehn Grad gesunken.

"Ey, nächste Woche sollen es 36 Grad werden. Dann können wir an den Strand gehen und uns sonnen." Lina war von Natur aus sehr Braun. Ihr Vater kam aus Paris, seine Eltern wiederum aus Kenia. Deswegen sprach diese Frau auch vier verschiedene Sprachen.

Sie zwinkerte und ließ sich auf den Stuhl neben mich an der Kücheninsel nieder. "Gerne, wie läuft die Uni?" antwortete ich.

Linas Lächeln verschwand und ein hohes schnaltzen verließ ihre Lippen: "Na-ah. Nicht so, Darling. Warum bist du hier?"

Der Blick meiner Cousine war sanft, trotz der harten Stimmlage. Ihr zu sagen, warum ich hier war, war wie mit einem Stift 'Arschloch' auf meine Stirn zu schreiben. "Lass uns nicht drüber reden." sagte ich also. Ein langes seufzen verließ dabei meine Lippen.

"Honey, friss es nicht in dich hinein. Ich höre dir zu, vergiss das nicht." Lina war ein Engel, aber den Teufel würde sie nicht mögen. Also schüttelte ich den Kopf: "Lina, ich möchte wirklich nicht darüber reden. Können wir bitte über etwas anderes reden?"

Angestaute Luft verließ ihre Lippen. Sie schloss kurzzeitig die Augen, sagte aber nichts mehr zu dieser Situation. "Wie geht es dir in diesem Haus?" fragte sie dann, wollte sich anscheinend nicht mit einfachen Smalltalk zufrieden geben.

Sie schaute sich um. Schaute das alte Holz der Möbel an und fuhr mit den Fingern über die abgeschliffene Arbeitsfläche der Kücheninsel. Schwer schluckend nahm ich die Umgebung wahr. Jedes Möbelstück, an dem meine Großmutter stand und mir Essen machte, wenn ich von der Uni kam. Die Kücheninsel, an der wir zusammen gebacken hatten.

"Sie fehlt mir." Es fühlte sich an, als hätte die erste Wahrheit seit Ewigkeiten meine Lippen verlassen. "Ja, mir auch. Opa hört manchmal noch ihre alte LP, aber sonst wirkt das Haus so still ohne sie." Lina Stimme zitterte kurz, aber schnell hatte sie sich wieder gesammelt. Sie lächelte mich an: "Wie geht es den Jungs?"

Lina wollte wahrscheinlich wirklich wissen wie es allen ging, obwohl sie die anderen ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte, aber genau wie der Rest der Bevölkerung hatte sie einen klitzekleinen Crush auf Chan.

"Chan geht es super." sagte ich und das Lächeln wich aus ihrem Gesicht. "Sag seinen Namen nicht, mein Herz hält das nicht aus!" Klitzeklein war vielleicht eine untertreibung. Ich lachte: "Gut, ein Schock nach dem anderen: Minho und Jisung sind zusammen."

Ein undefinierbares Geräusch verließ Linas Lippen: "Was?" Und mein Lachen wurde lauter.

"Ich dachte immer Minho wäre Asexuell." sagte Lina, die sich von ihrem Schock erholt zu haben schien. "Ja, also es ist fast das gleiche Spektrum. Eher eine Grauzone. Minho ist Demisexuell." Ich versuchte zu erklären, dass Demisexuelle Personen sich erst zu anderen hingezogen fühlten, wenn eine Bindung erstanden war.

"Bedeutet das dann nicht irgendwie, dass das wahre Liebe ist? Ich meine Minho hat zu euch allen eine Bindung, aber Jisung liebt er." Linas Augen funkelten entzückt. Ich erklärte ihr lieber nicht die Situation zwischen Minho und mir und das unserer Bindung unter der Erde lag.

"So einfach ist das nicht." sagte ich lachend und platze die nächsten Bombe: "Hyunjin und Jeongin sind auch zusammen."

Linas Mund klappte auf. Für einige Sekunden schwieg sie. "Jetzt verarschst du mich aber." sagte sie leise. Ich schüttelte den Kopf.

"Wenn Chan und Seungmin sich jetzt auch gegenseitig die Zunge in den Hals stecken, schweig bitte." Mit geschlossenen Augen drehte Lina ihren Kopf zur Seite. Ich biss mir auf die Lippe um nicht laut zu lachen. Ich schwieg, obwohl zwischen den beiden nichts lief.

"Nein, ehrlich? Alle deine Freunde gehen miteinander aus und du hast Changbin nicht mitgebracht?" Sie wusste es nicht. Woher auch, ich redete ja nicht drüber. Aber mit der letzten Frage zerstörte sie meine ganze gute Laune und warf mich auf den Boden. Als sie ihre Augen öffnete, blickte sie in meine wie in ein offenes Buch.

"Scheiße Felix, tut mir leid. Bist du deswegen hier?" Die Frage war der Prolog zu dem Buch, welches sie nicht hätte öffnen sollen. Meine Lippe zitterte, aber bevor ich aus der Küche stürmen konnte, hielt sie mich zurück. Und dann flossen erneut die Tränen.

GLOW // Changlix ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt