HAMBURG

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*Annemarie*
Die Fahrt nach Hamburg verlief dann tatsächlich sehr unterhaltsam, denn es stellte sich heraus, dass Wincent bei seinen eigenen und bei Johannes Songs die meisten Texthänger hatte. Er redete sich damit raus, dass er ja eigentlich privat nur Metal hörte. Ich ließ das Ganze so stehen.
Johannes erzählte mir, dass Wincent die Musik von Johannes eher nicht hörte, andersherum aber schon. Eigentlich sehr witzig und die beiden verstanden sich wirklich gut. Das merkte ich sofort und es tat unfassbar gut, Wince so entspannt und glücklich zu sehen. Und ich hatte nicht das Gefühl, außen vor zu sein. Irgendwie war es hier ähnlich wie im Studio. Man war einfach dabei und mittendrin, als wäre es nie anders gewesen. Mir tat es unglaublich gut zu wissen und vor allem zu spüren, dass Wincents Freunde mich nicht nur akzeptierten, sondern auch mochten.
"Was grübelst du denn schon wieder?", riss mich Wincent aus meinen Gedanken, als ich gerade die Abfahrt 'Hamburg' las.
"Nichts."
"Das glaub ich dir nicht. Los, erzähl schon."
Ich seufzte, denn Wincent würde eh nicht locker lassen.
"Komm schon, wir haben doch gesagt, dass wir über alles reden."
"Ey, nicht auf die Tour jetzt", widersprach ich direkt. "Mir kam nur in den Sinn, wie schön es gerade ist, also trotz dem Klotz am Bein. Ich meine, wir haben super viel Zeit zusammen und deine Freunde scheinen mich ganz okay zu finden. Und du bist glücklich."
"Ich bin immer glücklich, wenn ich bei dir bin." Wincent drückte meine Hand. "Meine Freunde finden dich übrigens nicht nur okay, sondern sie mögen dich."
"Vermutlich, weil du sonst unausstehlich bist", warf Johannes ein, der Wincents letzten Satz offenbar gehört hatte.
"Ey, was soll das denn heißen?", kam es von Wincent. "Außerdem belauscht man keine fremden Gespräche."
"Wince, wenn ihr Geheimnisse besprechen wollt, könnt ihr das nachher in eurem Zimmer machen. Da stört euch niemand", erwiderte Johannes komplett ruhig.
"Kann man das Zimmer abschließen?" Wincent grinste und das schien auch Johannes nicht zu entgehen, obwohl er starr auf die Straße blickte.
"Was denkst du denn? Allerdings verzichten wir mal auf Weckdienste bei euch." Ich hörte sein Grinsen deutlich und augenblicklich wurden meine Wangen eine Spur dunkler. Zum Glück schien nur Wincent das aufzufallen. Johannes war zu konzentriert.
Als Johannes das Auto vor der Tür geparkt hatte, kletterten Wincent und ich aus dem Auto, was mit dem Gipsfuß sehr umständlich war. Zum Glück halfen Ina und Johannes uns, so gut es ging und sie trugen auch unsere Sachen nach oben.
"Johannes hat bei seiner Wohnung auf jeden Fall schon Mal eine Sache richtig gemacht", sagte ich leise an Wincent gewandt.
"Hä? Du hast sie doch noch gar nicht gesehen."
"Aber er hat einen Fahrstuhl", argumentierte ich, während wir genau auf diesen zugingen.
Wincent lachte. "Aber komm bloß nicht auf die Idee, hier einziehen zu wollen."
"Nur wegen eines Fahrstuhls?" Ich grinste. "Ich denke nicht, dass es sich lohnt, dafür uns aufzugeben."
"Das beruhigt mich jetzt."
"Was hab ich jetzt schon wieder verpasst?", fragte Johannes, als sich die Aufzugtüren gerade öffneten.
"Nichts", sagte ich schnell, aber Wincent konnte das nicht so stehenlassen.
"Ann überlegt, ob wir beide nicht Wohnungen tauschen können", erklärte er Johannes.
Dieser schaute meinen Freund verwirrt an. "Hä? Wieso?"
"Du hast einen Fahrstuhl."
Johannes lachte. "Ey, das meint ihr nicht Ernst, oder?"
"Doch", bestätigte Wincent.
"Ihr habt ja einen kompletten Schaden", kommentierte Johannes und schloss die Wohnung auf. "Seid ihr sicher, dass der Kopf nichts abbekommen hat beim Unfall?"
Jetzt waren es Wincent und ich, die lachten.
Den Abend verbrachten wir ganz entspannt mit Johannes und Ina auf der Couch. Keine Ahnung wie, aber sie ließen mich vergessen, dass ich gerade mit zwei, nein drei Stars hier im Wohnzimmer saß und einen entspannten Abend verbrachte. Gegen zwei Uhr verabschiedeten wir uns dann von den anderen beiden und kuschelten uns im Gästezimmer unter die Bettdecke. Mein Kopf ruhte auf Wincents Brust und ich lauschte seinem Herzschlag, während ich langsam ins Land der Träume rutschte.
Der folgende Tag begann mit einem ausgiebigen Frühstück mit Wincent. Ina und Johannes waren irgendwie schon verschwunden, aber das störte uns nicht. Irgendwie fühlte es sich ein bisschen an wie Urlaub. Ich meinte, wir waren alleine in einer fremden Wohnung quasi und konnten tun und lassen, was wir wollten. Gut, wir schickten Johannes ständig neue Dinge, die er bitte unbedingt kaufen musste, aber sonst waren wir ganz lieb.
Er schien das anders zu sehen, denn wir bekamen irgendwann nur eine Sprachnachricht von ihm: "Ich verstehe immer mehr, wieso die euch loswerden wollten. Also bei aller Liebe, aber ich glaube, ich schicke euch als Nächstes nach München zurück."
Wincent fand das ziemlich witzig und antwortete nur ganz trocken: "Ich schätze, dort machen dich dann mehrere Leute einen Kopf kürzer."
Johannes kommentierte das nicht weiter und als er von der Arbeit zurückkam, wurde das Thema nicht nochmal angesprochen. Stattdessen diskutierten wir über einen Song von Johannes, bei dem er sich nicht ganz sicher war. Ich überließ den beiden Männern das Wohnzimmer und telefonierte im Schlafzimmer mit Franzi. Ich vermisste es irgendwie, meine beste Freundin in der Nähe zu haben.
Ab und zu kam Ina abends mal vorbei und wir aßen gemeinsam zu Abend und quatschen meistens bis spät in die Nacht. Solche Abende genoss ich, denn jeden Tag nur mit zwei Männern Zeit zu verbringen, wurde irgendwann recht anstrengend, so sehr ich sie mochte. Einmal verschwanden Ina und Johannes nach dem Essen in Inas Wohnung, vermutlich weil sie endlich mal wieder alleine sein wollten. Das war Wincent und mir nur Recht, denn dann hatten wir die Wohnung für uns.

*Wincent*
Eigentlich wollte ich heute ganz entspannt mit meiner Mum, Shay und Ann in Eutin Silvester feiern. Dann würde meine Familie auch endlich mal meine wunderbare Freundin kennenlernen. Allerdings machte mir da so ein bescheuerter Gipsfuß einen Strich durch die Rechnung. Mum und Shay verstanden, dass wir doch lieber bei Johannes und Ina in Hamburg blieben. Immerhin mussten wir danach ja eh wieder hierher und mit den Öffentlichen wollten weder Ann noch ich bis da raus auf's Dorf.
"Hey Wince, wollen wir noch Kuchen backen, bis Johannes zurück ist?", schlug Ann mir vor.
Ich überlegte kurz, denn eigentlich hasste ich backen. Aber alles war besser als Langeweile und außerdem hatte ich noch nie mit Ann gebacken. "Okay, aber ich hab absolut keinen Plan davon. Also noch weniger als vom Kochen."
"Wir bekommen es schon hin, dass die Bude nicht abfackelt", sagte Ann zuversichtlich.
Ich war mir da nicht so sicher, ließ sie aber alle Zutaten zusammen sammeln. Um ihr nicht im Weg zu stehen, hievte ich mich auf den Tisch und sah ihr einfach zu. Irgendwie konnte ich dann meine Finger doch nicht bei mir behalten und so stand ich auf und stellte mich hinter Ann. Kurz sah ich mich um und überlegte, wie ich den ganzen Tag interessanter machen konnte. Mein Blick fiel auf das Mehl und ich hatte eine Idee. Ich tauchte meine Hand in die Mehlpackung und verteilte es dann großzügig über Ann.
"Ey, was soll das?", fuhr sie mich direkt an.
"Sieht gut aus", erwiderte ich und versuchte meine Freude zu verbergen.
"Lass mich in Ruhe backen, wenn du schon nicht helfen willst." Sie nahm eine Handvoll Mehl und warf mich damit ab.
"Hey, war das jetzt eine Kriegserklärung?"
"Nein, nur die Rache."
Das konnte ich natürlich absolut nicht auf mir sitzen lassen. Ich tunkte meine Hände wieder in das Mehl und drückte Ann meine beiden Hände auf die Brust.
"Ey!", protestierte sie.
"Ist mein Shirt, also mach nicht so einen Aufstand." Ich grinste. "Außerdem gibt es Waschmaschinen. Johannes müsste auch eine haben."
"Lass mich jetzt endlich in Ruhe backen, du Idiot. Sonst wird das hier nie fertig."
"Hey, nicht schmollen. Bis heute Abend haben wir noch genug Zeit." Ich legte von hinten meine Arme um sie.
Allerdings wollte sie offenbar nicht so schnell aufgeben, denn als Nächstes hatte ich eine Ladung Mehl im Gesicht.
"Was soll das?", fragte ich. "Also ich wüsste ja etwas Besseres, als mit Mehl abgeworfen zu werden."
Ann drehte sich zu mir um. Diese Chance nutzte ich und küsste sie. Meine Hand wanderte ganz automatisch zum Saum ihres Shirts. Sie wollte protestieren, aber ich wusste genau, wie ich bekam, was ich wollte. Ich dirigierte Ann zum Tisch, denn der war etwas niedriger als die Arbeitsplatte. Abgesehen davon, dass es die einzige, leere, gerade Fläche in diesem Raum war. Ich hob Ann auf den Tisch, was mit dem Gips echt eine Herausforderung war, aber wir waren so langsam in Übung. Ann zog mich mit sich, sodass ich halb auf ihr lag. Um ihr nicht mein ganzes Gewicht zuzumuten, stützte ich mich mit einer Hand neben ihrem Kopf ab. Allerdings nicht lange, denn ich musste Ann einfach berühren. Die Luft zwischen uns wurde immer heißer und ich vergaß, dass ich eigentlich nur eine kurze Knutscherei im Sinn gehabt hatte. Ich zog Ann mein Shirt aus und auch meins behielt ich nicht sehr lange an.
"Was machst du nur mit mir?", murmelte ich in Anns Haar.
"Die Frage könnte ich dir auch stellen", antwortete sie.
"Duschen?"
"Dein Ernst?"
"Man, ohne Hintergedanken. Aber ich würde gerne das Mehl wieder aus meinen Haaren haben", erklärte ich und stand auf.
"Okay. Aber ich pack schnell noch den Kuchen in den Ofen."
"Ich geh schon ins Bad."
"Kannst ja eine Waschmaschine ansetzen."
Ich sammelte unsere Klamotten ein und stopfte sie im Bad in die Waschmaschine. Dann startete ich das Programm und ging ins Schlafzimmer. Aus unserem Koffer holte ich eine Boxershorts und ein Shirt für mich und Unterwäsche und ein weiteres Shirt von mir für Ann. Ich kannte meine Freundin ja inzwischen ganz gut. Mit den Sachen ging ich ins Bad, wo ich auf Ann traf. Gemeinsam gingen wir duschen und befreiten uns gegenseitig von jeglichen Mehlresten. Dann trockneten wir uns ab, zogen die frischen Klamotten an und kuschelten uns ins Bett.
"Wince, nur mal als Info. Für Kinder braucht man übrigens kein Mehl."

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