BIN ICH GUT GENUG?

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*Wincent*
"Wince, wie geht's nun weiter?", fragte Ann nach einer kurzen Pause.
"Ich weiß es nicht", gestand ich. Ich wusste es wirklich nicht. Wie sollte ich darauf reagieren? Schließlich hatte ich schon im Gespräch darauf beharrt, dass es meine private Sache ist, mit wem ich hier war und dass ich mich nicht dazu äußern werde.
Ich zog Ann fest in meine Arme. Stumm saßen wir nebeneinander. Ann fing an zu frieren.
"Komm, lass uns nach Hause gehen. Meine Mutter müsste auch wieder da sein."
"Ist okay", sagte Ann abwesend.
Scheiße, sie nahm es wohl doch nicht so locker, wie sie vorgab. Und wer war wieder Schuld? Ich. Immer versaute ich es. Als wir zu Hause angekommen waren, sah ich in das besorgte Gesicht meiner Mum. Ich schaute sie traurig an.
"Wollt ihr reden?", fragte sie uns voller Sorge. Ann verkroch sich direkt an meiner Brust. Mein Herz wurde schwer. 
Wollte ich reden? Konnte ich das überhaupt? Schließlich entschied ich mich dagegen.
"Nein Mum. Wir gehen nach oben. Gute Nacht."
"Gute Nacht ihr beiden. Wince? Wenn du schon nicht mit mir sprechen willst, dann redet zusammen darüber. Zerbrich daran nicht. Dich trifft keine Schuld."
Ich nickte und folgte Annemarie die Treppen hinauf. Wortlos machten wir uns Bettfertig.
"Sag was. Irgendwas. Ich kann die Stille nicht länger ertragen. Wir haben uns nicht gestritten, warum schweigen wir dann?"
"Ich weiß es nicht. Mein Kopf spielt verrückt. Ich mache mir große Vorwürfe."
"Das brauchst du nicht. Es war ein Kuss und selbst Shay meinte, sie hätte kaum etwas gesehen. Vermutlich war es eher eine Vermutung."
"Trotzdem habe ich dich in den Fokus gebracht. Ich habs versaut."
"Hör auf jetzt. Mach dir keine weiteren Vorwürfe. Wäre es vielleicht nicht wieso besser einfach zu sagen, dass du eine Freundin hast?", fragte Ann mich.
"Spinnst du? Du kennst die Presse nicht. Danach haben wir kein privates Leben mehr!", sagte ich sauer.
Ann schaute mich überrascht an.
"Sorry, so war das nicht gemeint. Ich bin immer noch sauer auf die Presse." Ich zog sie in meine Arme.
"Lass uns eine Nacht drüber schlafen. Ich verstehe deine Ansichten gegenüber der Presse. Aber ich fand es auch schön, mich nicht neben dir zu verstecken."
"Ich auch." Ann kuschelte sich an mir und war relativ schnell eingeschlafen. Ich wiederum war hellwach. Was fand Ann nur an mir? Warum hielt sie immer noch so zu mir? War sie nicht mit jemand anderem, der nicht so ein der Öffentlichkeit stand, besser dran? Tausende Gedanken schwirrten immer wieder durch meinen Kopf. Ist es besser sie loszulassen? Ist das nicht wahre Liebe? Aber ich brauchte sie. Sie ist alles für mich. Würde sie gehen, würde ich zerbrechen. Sie ist die große Liebe. Und weil sie meine große Liebe ist, muss ich sie doch loslassen, oder? Ich schlief über meine Gedanken ein. Am nächsten Morgen probierte meine Mutter erneut mit mir darüber zu reden. Jedoch merkte sie schnell, dass ich nicht dazu bereit war. Das war eine Sache zwischen Ann und mir. Nach dem Frühstück verabschiedeten wir uns.
"Pass gut auf Ann auf und kommt uns bald wieder besuchen." Ich drückte meine Mum und Shay zum Abschied. Langsam war ich es gewohnt, aber diesmal fiel es mir schwerer als sonst. Ich war gerädert von der Nacht. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Immer wieder kreiste  ein und derselbe Gedanke in meinem Kopf.
Hatte Ann mich überhaupt verdient? Wie gewohnt stieg ich auf der Fahrerseite ein. Jedoch war ich so unkonzentriert beim Autofahren, dass Ann mich 2 mal daran erinnern musste, dass wir nicht alleine auf der Straße unterwegs waren.
"Lass mich fahren. Du bist überhaupt nicht bei der Sache."
"Geht schon."
"Nein, das geht nicht. Wince sei vernünftig." Behutsam legte sie mir ihre Hand auf meinen Oberschenkel. Ich zuckte zusammen und verkrampfte mich total.
"Alles gut, uns sieht keiner", versuchte Ann mich zu beruhigen.
Anns Handy gab einen Ton von sich. Seufzend schaute sie drauf.

*Annemarie*
»Hey Maus, ihr habt es bestimmt schon mitbekommen, oder?«
»Ja und seitdem ist Wince voll komisch zu mir. Er ist abwesend und spricht nicht. Er macht sich nur Vorwürfe. Ich bin absolut verzweifelt.«
»Du bist ihm doch nicht böse, oder?«
»Auf gar keinen Fall. Ich habe vorgeschlagen, dass wir es doch einfach öffentlich machen könnten. Also nicht wer ich bin, sondern dass er einfach Glücklich ist. Es hat so Spaß gemacht, mit ihm da zu sitzen. Und jetzt ist alles komisch. Ich habe Angst. Angst um uns...«
»Rede mit ihm. Nur du kommst an ihn ran.«
»Wenn das so einfach wäre...«
Franzi war meine beste Freundin und normalerweise hatte sie immer einen guten Rat. Doch jetzt wusste ich einfach nicht weiter. Und wenn meine beste Freundin mir nicht helfen konnte, war ich echt verloren. In Gedanken ging ich weitere Leute durch, die mir helfen konnten. Aber außer Marco und Amelie fiel mir niemand mehr ein. Angela wollte ich da nicht mit reinziehen und Shayenne sowieso nicht. Doch sollte ich Marco anrufen? Oder Amelie?
Ich musste noch einmal mit Wincent reden. Das war die einzige Chance. Zum Glück waren wir schon wieder in meiner Wohnung in Berlin. Im Auto neben ihm zu sitzen, würde ich jetzt nicht aushalten. Vor allem nicht, wenn ich mich auf die Straße konzentrieren müsste.
"Wincent?", fragte ich und suchte in der Wohnung nach meinem Freund.
Schließlich fand ich ihn auf unserer Dachterrasse. Ich atmete einmal tief durch und ging langsam zu ihm. Allerdings reagierte er gar nicht darauf.
"Können wir nochmal reden? In Ruhe?", fragte ich.
Er reagierte immer noch nicht und meine Sorge stieg. Wincent sollte das nicht mit sich selbst ausmachen. Gedanken und vor allem Zweifel konnten einen auffressen. Das wusste ich selbst ja nur zu gut. Wincent musste begreifen, dass er nicht Schuld war.
"Wincent. Schatz, bitte."
"Lass mich in Ruhe." Seine Stimme klang gebrochen.
Wüsste ich es nicht besser, würde ich denken, ein kleiner Junge stand vor mir. Es brach mir das Herz, ihn so zu sehen.

*Mats*
Nachdem Wincent mal wieder nicht ans Telefon gegangen war, klärte ich mit Anna schnell den Termin für das Shooting ab. Sie meinte, dass es jetzt in seinem Kalender stand und damit war alles geklärt.
Uni war zwar nicht stressig heute, aber dennoch freute ich mich jetzt erst einmal auf einen entspannten Abend Zuhause. Gut, Ann war da, aber daran hatte ich mich schnell gewöhnt. Plötzlich fiel mir ein, dass sie ja mit Wincent aus Hamburg zurückgekommen sein müsste. Also doch nichts mit Ruhe, aber okay. Ich mochte Wincent und wenn die beiden zusammen waren, war auch Ann entspannter. Das dachte ich zumindest, bis ich die Wohnungstür auf schloss.
„Wince, bitte", hörte ich Ann sagen und wollte am liebsten direkt wieder gehen.
„Nein! Ich will jetzt einfach alleine sein", erwiderte Wincent.
„Schatz, hör mir zu. Du solltest jetzt nicht alleine sein. Das macht es nicht besser. Ehrlich nicht."
Ich sah Wincent in Anns Zimmer verschwinden und die Tür fiel ins Schloss.
Tief durchatmend schloss ich leise die Wohnungstür und zog meine Schuhe und Jacke aus. Meinen Rucksack ließ ich erst einmal im Flur stehen und ging ins Wohnzimmer. Dort war aber niemand. Was war hier nur wieder los? Ja, das mit der Presse hatte ich leider mitbekommen, aber wieso lag hier so viel Trauer und Spannung in der Luft?
Wincent kam ins Wohnzimmer, ging aber kommentarlos in die Küche.
Ich lief ihm hinterher und nahm ihm das Bier direkt wieder weg, das er gerade aus dem Kühlschrank genommen hatte.
„Ey! Was soll das?", blaffte er mich an.
„Was ist denn hier los?", fragte ich und war mir gerade nicht sicher, um wen von den beiden Dickschädeln ich mir mehr Sorgen machen musste.
„Wir haben uns getrennt", lautete die knappe Antwort und dann nahm er mir das Bier wieder ab, bevor er die Küche verließ.
„Das ist nicht euer Ernst!", widersprach ich direkt und folgte Wincent ins Wohnzimmer.
Er schien gar nicht zu bemerken, dass Ann inzwischen auf dem Sofa saß und ihn traurig ansah. Die waren ganz sicher nicht getrennt.
„Doch. Ich bin nicht gut genug für sie", erwiderte Wincent und klang eindeutig gebrochen.
Bevor ich etwas sagen konnte, meldete sich Ann leise zu Wort.
„Wince, können wir bitte reden?"
Ich warf ihm einen warnenden Blick zu. „Ich kümmere mich mal ums Abendessen", sagte ich und verzog mich in die Küche.
Hoffentlich überlebten die beiden das.

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