FIRST LOOK

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*Annemarie*
"So, bist du bereit?", fragte Amelie mich und ich schüttelte direkt den Kopf. Ich stand hier vor diesem unfassbar schönen Kleid und kniff mich erst einmal mehrmals in den Arm. Das sollte ich jetzt wirklich anziehen und dann Wincent gegenübertreten?
"Amelie, ich glaube, ich kann das nicht", gestand ich leise.
"Sollen wir mit einem anderen Kleid anfangen?"
"Das ist es nicht. Dieses Kleid hier ist ein Traum."
"Aber?"
"Ach, keine Ahnung. Ich kann das jetzt nicht anziehen und dann zu Wincent gehen."
Amelie nahm mich fest in den Arm. "Ach, Ann... Sieh es wie eine Art Kostüm. Wenn du jetzt schon so nervös bist, wie wird das dann, wenn ihr wirklich heiratet?" Sie grinste mich an.
"Frag einfach nicht. Ich wette, für diesen Tag hat Franzi eine Apotheke überfallen und eine größere Menge Beruhigungsmittel für Wincent und mich gebunkert."
Amelie lachte. "Damit kann ich gerade leider nicht dienen, aber wie wäre es mit einer Runde 'Shake it Off' zum Entspannen?"
"Okay."
Amelie zückte ihr Handy, startete das Lied und wir tanzten ein wenig durch den Raum. Tatsächlich ging das mit dem Kopf ausschalten ganz gut. Also so lange, bis das Lied endete und ich genau vor dem Kleid stehen blieb.
"Wollen wir?", fragte Amelie und legte mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter.
Ich nickte nur, denn meine Worte waren irgendwie weg.
Vorsichtig, fast andächtig hob Amelie das Kleid hoch, während ich aus meinen Klamotten schlüpfte. Gemeinsam mit der Stylistin zog Amelie mir langsam das Kleid über. Ich schloss die Augen und versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Ein... und aus. Ein... und aus. Ein... und aus. Ein... und aus. Ein...
"Ann, ausatmen!", kam es von Amelie und ich folgte ihrer Anweisung. "Okay, komm kurz ein Stück hier rüber." An Amelies Hand versuchte ich mit immer noch geschlossenen Augen zu laufen. "Stopp. Hier ist perfekt."
Meine Hände begannen immer mehr zu schwitzen und mein Puls wurde schneller. Das Gefühl, welches mich durchströmte, war einfach unglaublich warm und schön. Fast wie eine liebevolle Umarmung.
"Ann, ganz langsam Augen auf", wies Amelie mich an.
Ich atmete noch einmal tief durch und öffnete dann meine Augen. Als ich mich selbst, oder eher gesagt die strahlende Frau in diesem fabelhaften Kleid im Spiegel sah, musste ich mich echt zusammenreißen. Jetzt wusste ich, was alle immer mit dieser Magie des Kleides hatten.
"Es ist wunderschön", flüsterte ich.
"Du bist wunderschön. Aber das sollte dir lieber jemand anderes sagen." Amelie grinste. "Ich geh mal kurz nach ihm schauen."
Ich nickte nur und bewunderte weiter die Frau im Spiegel. Ich kniff mich in den Unterarm, aber das hier war kein Traum. Ich stand wirklich in diesem traumhaften Kleid hier.
Amelie kam über beide Ohren grinsend wieder. "Also dein Schatz ist genauso nervös wie du." Schön, dass es ihm jedenfalls genauso ging wie mir.
"Warum fühlt es sich eigentlich nicht wie ein Shooting an?", fragte ich Amelie.
"Da ihr beide eure Herzen füreinander sprechen lasst. Ihr beide begegnet euch auf Augenhöhe. So eine Verbindung, wie zwischen euch entstanden ist, habe ich noch nie erlebt. Keine Ahnung, wie ihr das macht, aber ich seht euch beide an und wisst direkt, wie der andere sich fühlt. Ich glaube, ihr seid füreinander gemacht und deswegen fühlt ihr beide dieses Shooting so, als wäre es die Hochzeit."
"Danke Amelie, das bedeutet mir wirklich viel." Mit dem Finger wischte ich mir die eine oder andere Träne aus dem Auge.
"So können wir? Eigentlich sollte ich dich nur schnell holen, damit es losgehen kann. Bereit?", fragte mich Amelie.
"Nicht wirklich", lachte ich.
Zusammen mit einer Assistenten, die mir auf dem Weg bereits die erste Szene erklärte, gingen wir raus in den Garten. Dort stand er. Mit dem Rücken zu uns gedreht. Wie gerne wäre ich einfach auf ihn zugerannt. Doch das ging leider nicht.
Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich den etwa 30 Meter weiten Weg zu Wincent bestritt. Im Augenwinkel sah ich, wie Amelie kurz die Hand hob. Ich dachte, sie wollte mir zuwinken. Falsch gedacht. Leise ertönten Klavierklänge. Ich schluckte schwer, als ich die Stimme von Wincent aus den Boxen vernahm. Ausgerechnet dieser Song...

Fühlst du immer noch das Gleiche,
wenn ich dir meine Zweifel zeige?
Denn ich bin vielleicht gar nicht so stark
wie du meinst, nur weil ich dich trag,
denn da sind tausend Sachen, die mich traurig machen.

Was ich noch niemandem anvertraut hab,
zeig ich dir, weil du's verdienst.
Wie tief muss man tauchen
bis man die Tränen nicht mehr sieht?

Gehst du mit mir auf den Grund?
Dahin, wo alle meine Ängste liegen.
Bis zum allertiefsten Punkt?
Zu meinen Schätzen und meinen Krisen.
Ich hoff, uns bleibt noch etwas Luft,
hier wo die Dinge nicht mehr so viel wiegen.
Wenn ich dich mitnehm auf den Grund,
sag, kannst du mich dann noch genauso lieben?

Als wäre die Situation nicht schon besonders genug. Schritt für Schritt kam ich näher zu Wincent. Drei Meter von ihm blieb ich auf der Markierung stehen. Das Klicken der Kamera nahm ich gar nicht mehr wahr. Ich sah nur noch Wincent. Sein Atem ging genauso schwer wie meiner. Schnell wischte ich mir eine Träne aus dem Auge, bevor ich weiter ging. Das Schluchzen von Wincent ließ mich stocken. Ich überwand den letzten Meter. Nun stand ich dicht hinter ihm. Was hatte die Assistenten nochmal gesagt? Was sollte ich nochmal machen? Ach egal. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine Schulter und strich vorsichtig darüber. Wincents Körper bebte unter meiner Berührung.
"Ich bin da", hauchte ich ihm entgegen.
Wincent drehte sich langsam um. Meine Knie wurden weich. Ich hätte mit jeder Reaktion gerechnet, nur nicht, dass ich in die verweinten Augen von Wince blickte. Wir sahen uns gefühlt eine halbe Ewigkeit an, bevor wir uns in die Arme fielen.
"Du siehst wunderschön aus, Ann."
Ich konnte gar nichts erwidern. Ich bekam einfach meine Tränen nicht in den Griff.
"Hör auf zu weinen, ich bin da", hauchte Wincent.
"Du weinst ja selber, du Idiot", lachte ich leise. "Es fühlt sich so echt an", gab ich zu. "Ich wünschte, es wäre echt und kein Shooting. Irgendwann will ich das hier nochmal richtig erleben. Mit unseren Familien und Freunden und unseren persönlichen, nervigen Paparazzi."
Mir kamen wieder die Tränen.
"Nicht wieder weinen", flüsterte Wince und strich mir zärtlich über die Wange.
"Sorry", flüsterte ich zurück. "Aber die Vorstellung ist einfach zu schön, um wahr zu sein."
Ich sah ganz kurz etwas in Wincents Augen aufblitzen, was ich nicht verstand. Allerdings war es auch direkt wieder vorbei. Er griff in die Tasche seines Jacketts, sah mich kurz irritiert an und zog als Nächstes ein Taschentuch heraus, was er mir reichte.
"Danke." Ich nahm das Tuch und versuchte, mir meine Augen ein wenig zu trocknen. Allerdings absolut unnötig, denn im nächsten Moment zog Wincent ein kleines Kästchen aus der Tasche, öffnete es und kniete sich dann vor mir hin.
Ich hörte noch, wie Amelie hörbar nach Luft schnappte, denn dieser Teil gehörte sehr wahrscheinlich nicht mehr zum Shooting. War... das... jetzt... sein... Ernst?
"Ann?"
Ich sah zu Wince hinunter, dessen Augen eine ähnlich rötliche Färbung hatten wie meine vermutlich. Sein Blick war so voller Liebe, dass ich mich am liebsten direkt in seine Arme fallen lassen würde. Allerdings würde das vermutlich die Situation zerstören.
"Ann, ich liebe dich über alles und kann mir mein Leben absolut nicht mehr ohne dich vorstellen. Du machst mich so unfassbar glücklich und ich weiß, dass meine Zukunft ohne dich mindestens nur halb so schön wäre. Du bist das größte Wunder, dass ich jemals gesehen habe und ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich dich hab. Ann, du hast mir wieder gezeigt, wie man liebt und vertraut." Wincent machte eine Pause und holte einmal tief Luft. Eine gute Idee, wie ich fand, denn einerseits realisierte ich nicht, was hier gerade passierte und andererseits kamen die letzten Sätze so schnell über seine Lippen, dass er vermutlich als Nächstes mit Luftnot umgekippt wäre.
"Schatz, du weißt mehr über mich als manch anderer und dennoch bist du noch hier. Du machst all die verrückten Sachen mit. Sei es im Restaurant mein Bier klauen und dann mit dem Kellner über die Sorte diskutieren, ein Wettrodeln mit unvorhergesehenen Folgen, Snaps Pong um eine halbe Flasche Wein spielen, dieses Shooting hier... Und auf der anderen Seite bist du da, wenn ich wieder ganz tief falle. Wenn meine Sorgen und Ängste mich in den Abgrund ziehen wollen, dann ist da einfach deine Hand. Dein Trost, deine Wärme, deine Nähe... Nach den letzten zwei Tagen, in denen ich mehr als ein riesiger Idiot war und in denen ich dich nur verletzt habe, hätte ich es nicht verdient. Dennoch bist du jetzt mit mir hier und badest das aus, was mein Team uns eingebrockt hat. Du bist für mich da, obwohl ich dir das Herz gebrochen habe."
"Halt die Klappe, sonst haben wir hier gleich ein neues Meer", unterbrach ich ihn, denn lange würde ich dieses ganze Gelaber nicht mehr aushalten.
Kurz sah Wince mich erschrocken an.
"Stell einfach deine Frage", bat ich ihn, obwohl ich auch dafür mental nicht bereit war. Aber wann war man das jemals? Und außerdem lief bei uns sowieso immer alles anders.
"Meine wunderbare, einfühlsame, ungeduldige Ann. Willst du mich heiraten und den Rest deines dann chaotischen Lebens mit mir verbringen? Gemeinsam Erinnerungen teilen, noch mehr verrückte Dinge erleben und alles anders machen als der Rest der Welt?"

Wir sind mittendrin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt