Schwanger oder fett?

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*Annemarie*
Schon zum dritten Mal besuchte ich die Bürotoilette. Was war denn heute los? Bereits heute Morgen war mir total übel. Ich hatte nichts anderes gegessen. Auch nicht übermäßig viel Kaffee getrunken. Und doch war mir einfach nur übel. Endgültig übergeben musste ich mich, als Tobi sein Salamibrot auspackte. Als ich von der Toilette wiederkam, sah mich Tobi argwöhnisch an.
"Alles okay bei dir?"
"Ja. Nein. Keine Ahnung."
Tobi biss wieder von seinem Brot ab. Sofort kam es mir wieder hoch. Ich sprang auf und rannte zum Klo. Seit wann konnte ich den Geruch von Salamibrot nicht mehr ab? Das aß Tobi doch seit Jahren.
"Ann?", hörte ich Tobi vor dem Klo.
"Mir geht's gut."
"Sicher? Brauchst du Hilfe?"
"Nein, alles gut. Ich komme gleich wieder ins Büro."
Tobis Schritte entfernten sich wieder. Erleichtert atmete ich aus. Was zur Hölle war nur bitte los mit mir? Ich überlegte, aber fand keine Antwort. Ich wusch mein Gesicht und verließ anschließend das Bad.
"Annemarie? Kommst du mal bitte direkt in mein Büro?" Natürlich musste ich auch noch Sven über den Weg laufen.
"Klar."
Tobi sah mich aus der Küche mitleidend an.
"Pack aber nicht in Annemaries Gegenwart dein Salamibrötchen aus. Irgendwie scheint ihr Magen eine Abneigung dagegen entwickelt zu haben", lachte Tobi.
"Na, schönen Dank auch. Aber Tobi hat Recht. Es wäre schön, diesen Geruch nicht riechen zu müssen. Also, was ist los, Sven?"
"Gehen wir in mein Büro."
Oh Gott, was will er? Ich habe mich doch die letzten Wochen so angestrengt und war immer da, so wie er das wollte.
"Also Annemarie. Du bist zwar heute da, aber irgendwie auch nicht. Ständig sehe ich dich auf die Toilette rennen. Erzähl mir, was ist los?"
"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Sven. Mir ist seit heute Morgen übel. Und seitdem Tobi sein Salamibrot ausgepackt hat, ist mir leider auch mein Frühstück wieder rausgekommen."
"Annemarie, das geht so nicht. Entweder du bist hier und arbeitest oder du meldest dich krank und bleibst mit deinem Arsch zu Hause. Und zu Hause meine ich auch zu Hause und nicht mit deinem Freund durch die Weltgeschichte touren."
"Sven, wenn ich krank bin, bleibe ich natürlich zu Hause. Aber wenn ich Urlaub habe, wer hält mich bitte davon ab zu meinem Freund zu fahren?" So langsam wurde ich echt sauer.
"Davon hält dich keiner ab. Aber sollte deine Arbeit so leiden wie heute, werde ich dich wohl oder übel kündigen müssen. Hast du mich verstanden, Annemarie?"
"Ja, Sven, das habe ich. Wird nicht wieder vorkommen."
"Gut, dann kannst du jetzt gehen. Und zwar an den Schreibtisch und nicht wieder auf Klo verstecken. Wer zur Arbeit erscheint ist gesund, wer sich krankmeldet darf schwächeln, aber nicht hier."
Damit verließ ich das Büro und ging wieder in mein eigenes. Dort standen alle Fenster weit offen. Verwundert sah ich Tobi an.
"Was ist hier passiert?"
"Ich wollte den Geruch vertreiben."
"Danke, dass ist dir geglückt. Dann können wir ja jetzt ohne Zwischenfälle weiterarbeiten." Entschlossen setzte ich mich an meinen Schreibtisch und entsperrte meinen PC.
"Ann?"
"Ja, Tobi?"
"Wir sind doch gute Freunde, oder?"
"Ja, was ist deine Frage?"
"Wie lange ist dir morgens schon übel?"
Kurz überlegte ich, denn ich hatte keinen Plan, wo er hinaus wollte. "Seit ein paar Tagen, aber wieso fragst du?"
"Naja, könnte es vielleicht sein, dass du schwanger bist?", fragte er vorsichtig.
Mir fiel mein Stift aus der Hand.
"Schwanger?" War das möglich? Wincent und ich haben doch immer aufgepasst oder hatte ich mal vergessen, meine Pille zu nehmen? Klar war unser Alltag stressig, aber wozu klingelt denn sonst jeden Morgen mein Pillenwecker?
"Naja, dein Bauch hat sich auch etwas gewölbt. Also ich will nicht sagen, dass du fett geworden bist, aber dein Körper hat sich verändert. Und die Übelkeit könnte auch dazu passen."
"Meinst du wirklich?" Ich stand auf und betrachtete meinen Bauch. War da eine mini Wölbung zu sehen?
"Das muss nichts heißen. Aber zur Sicherheit würde ich einen Test machen. Wenn du willst kannst du den auch bei uns zu Hause mit Lisa machen. Egal was da rauskommt wir sind dann da. Wir kennen das Gefühl. Wir hatten das vor kurzem selber erst. Es ist gut, wenn man nicht alleine ist."
"Danke Tobi. Ich muss mich erstmal selbst damit abfinden. Was, wenn es positiv ist?"
"Wäre es denn so schlimm? Will er keine Kinder?"
"Doch das meine ich nicht. Er liebt Kinder und würde sich freuen. Aber was, wenn er negativ ist? Dann wäre er sicher enttäuscht."
"Oh Ann. Mach den Test und dann rede mit ihm. Und Lisa und ich sind da, falls was sein sollte. Eine Nachricht reicht."
"Danke." Ich stand auf und zog Tobi in meine Arme.
"Und sollte da ein kleines Wunder entstehen, werdet ihr beide in die Aufgabe hineinwachsen."
Vorsichtig streichelte er meinen Bauch und ich wünschte er wäre Wincent, der hier vor mir stehen würde.
"Annemarie, Tobi, ihr sollte arbeiten. Hat dir die Ansage nicht gereicht? Brauchst du die Abmahnung auch noch schriftlich?"
"Nein, Sven alles gut." Damit verschwand er auch wieder.
"Egal? was bei dem Test rauskommt. Melde dich morgen krank und fahr zu Wincent."
"Danke Tobi, das werde ich machen. Und nun lass uns weiter machen." Der restliche Tag verlief ohne weitere Zwischenfälle.
Zum Feierabend schrieb ich Josi und Franzi eine Nachricht in unseren Mädelschat. Den hatten wir uns eingerichtet, weil die Jungs mussten ja nicht alles wissen.
»Hey ihr beiden, Sorry, dass ich euch störe, aber hättet ihr kurz vor Showbeginn eine Minute zum Telefonieren? Ich brauche euren Rat.«
»Klar, ist was passiert?« Ich ließ die Frage von Josi offen stehen.
»Passt dir so in 15 Minuten? Dann haben Fabi und Wincent Soundcheck und sind beschäftigt.«
»Das passt. Es ist wieso ganz gut, wenn Wincent erstmal nicht davon erfährt.«
Ich stieg in mein Auto ein und fuhr in den Feierabendverkehr. Primetime in Berlin hieß, dass ich das Telefonat im Stau führen würde.
Keine 10 Minuten später klingelte mein Handy.
"Seid ihr etwa vor dem Zeitplan?", witzelte ich.
"Vielleicht. Soll ja auch mal vorkommen", lachte Franzi.
"Ich will auch gar nicht lange stören, aber ich brauche euren Rat."
"Na dann lass mal hören."
"Was würdet ihr tun, wenn eure Periode ausbleibt und euch morgens übel ist?"
"Ann?", begann Franzi. „Willst du uns etwa sagen, dass du schwanger bist?" Die letzten Worte kreischte sie fast.
"Psst nicht so laut. Um ehrlich zu sein weiß ich es nicht. Aber Tobi hat mich auf die Idee gebracht."
"Also weiß Wincent nichts davon?", schlussfolgerte Josi richtig.
"Nein, und das soll bitte auch erstmal so bleiben. Er soll sich konzentrieren können. Aber was soll ich machen?"
"Einen Test natürlich und dann so oder so mit Wincent reden."
"Ist das Baby denn geplant? Ich meine, so lange seid ihr auch noch nicht zusammen", meinte Josi schüchtern.
"Geplant wäre es nicht. Aber ich glaube nicht, dass ich schwanger bin. Wir haben ja verhütet. Das ist bestimmt der Stress."
"Wir werden es nur herausfinden, wenn du jetzt in den nächsten Laden fährst und den Test machst. Nach dem Konzert telefonieren wir wieder. Süße, wir müssen jetzt auch los. Du schaffst das, wir denken an dich."
"Danke und euch viel Spaß. Grüßt mir Wincent und sagt ihm, ich melde mich nach dem Konzert bei ihm."
"Machen wir und nun, ab in den nächsten Laden und Test kaufen." Aufgelegt.
Nun war ich wieder mit meinen unsortierten Gedanken alleine. Da es absolut nichts half sich ohne Test weiter verrückt zu machen, bog ich schnell zum nächstgelegenen Rewe ab und besorgte mir direkt einen Schwangerschaftstest. Leicht beschämend kaufte ich den Test. Annemarie, du bist 30 Jahre alt. Es ist völlig normal in dem Alter, du bist keine 12 mehr, sprach ich an der Kasse zu mir selbst. Der Kassierer sprach zum Glück kein deutsch. Ich bezahlte schnell mit Karte und verschwand wieder aus dem Laden. Kurze Zeit später war ich auch schon zu Hause angekommen. Als Beweis schickte ich Tobi die Verpackung. Als Antwort bekam ich nur einen Daumen hoch. Von Stunde zu Stunde wurde ich immer nervöser. Gegen 21 Uhr klingelte Franzi bei mir an. Fabi war also durch und Wincents Show war voll im Gange, also alle Jungs beschäftigt.
"Hey", begrüßte ich die beiden.
"Hey werdende Mama", begrüßten mich Franzi und Josi im Chor.
"Hört auf, vermutlich ist es eh nur falscher Alarm."
"Wir sind ja schon still. Wir sind nur so nervös."
"Nicht nur ihr. Es fühlte sich so illegal an, einen Test zu kaufen."
Die beiden ignorierten meine Aussage.
"Ann, bist du bereit?", fragte Franzi vorsichtig.
"Nein, aber es hilft ja nichts. Ich habe vorsorglich schon mal in einen Becher gepinkelt. Da musste ich euch noch nicht dabei haben. Ich muss also nur den Test da für fünf Sekunden reinstecken und dann die Kappe wieder zu machen und drei Minuten warten", erklärte ich den Mädels.
"Jetzt mach da keine Wissenschaft draus. Los Annemarie", flehte Franzi mich an.
"Ist ja gut." Kurz legte ich das Telefon weg und wünschte mir Wincent her. Das zweite Mal an diesem Tag. Schnell führte ich die Schritte durch.
"So, nun heißt es drei Minuten warten Mädels."
Wir redeten noch über das Konzert und schon war der Moment der Wahrheit gekommen. Ich hatte mich gezwungen, nicht drauf zu schauen.
"Und? Was zeigt er?"

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