Kapitel 25

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Leona

Das Geld welches wir bekommen haben ist weitaus mehr als gedacht. Mir war nicht bewusst, dass man als Straßenkünstler so viel verdient. Zwar ist es noch lange nicht genug, dass man davon ein Flugticket nach New York kaufen könnte, aber das ist mittlerweile sowieso egal. Mir ist nämlich vorhin erst aufgefallen, dass wir ja gar keine Reisepässe haben, um überhaupt fliegen zu können. Wie uns das nicht früher einfallen konnte, ist mir wirklich ein Rätsel. Wahrscheinlich lag es an unserer Verzweiflung, da denkt man an sowas nicht.

Jedenfalls ist uns das Geld in jedem Fall eine Hilfe. Dass der Pantomime uns so viel gegeben hat, ist viel zu großzügig. Aber vielleicht braucht er es ja gar nicht und macht diesen Job aus Spaß.

Nach der Show haben Jack und ich uns in eines der Restaurants gesetzt und essen nun unsere Gerichte. Jeweils zwei Tacos mit einem Glas Wasser. Dabei lauschen wir dem Klang der Musik, welche von den Straßenmusikern gespielt wird. Einer spielt an seiner Gitarre, der andere an einem Piano und einer singt auf spanisch. Sie hören sich sogar ziemlich gut an und der Sänger scheint auch die Töne zu treffen. In New York habe ich schon das eine oder andere Mal das Gegenteil erlebt.

„Ich wusste nicht, dass du jonglieren kannst.", beginnt Jack ein Gespräch. „Ja, ich hab es mir vor ein paar Jahren selber beigebracht, weil es im Fernsehen immer so cool aussah und solange geübt, bis ich es perfekt konnte. Ich hätte nicht gedacht, dass es sich mal auszahlen würde.", schmunzele ich zum Ende hin. „Und was hattest du als Teenager für Hobbys?" „Ich war im Football Team unserer Highschool, falls du es nicht damals nicht mitbekommen hast.", antwortet er leicht arrogant und lässt mich die Augen verdrehen.

„Natürlich habe ich das mitbekommen." Wie auch nicht? Die Footballer sind immer die beliebtesten und bekanntesten Jungs der Schule gewesen. „Ich war sogar bei euren Spielen dabei und habe zugeschaut. Aber abgesehen davon hast du doch bestimmt noch etwas anderes gemacht." „Naja, ich habe viel Zeit damit verbracht zu trainieren und das Schießen sowie Kämpfen zu erlernen." „Dann haben wir ja sogar etwas gemeinsam."

Nach und nach sammeln sich Paare in der Mitte des Platzes zusammen und beginnen zu der Musik zu tanzen. „Lass uns auch tanzen gehen.", schlage ich vor. „Ich bin nicht gerade der beste Tänzer." Schulterzuckend schaue ich ihn an. „Ich auch nicht, aber das ist egal. Wir können ja auch einfach Spaß dabei haben, egal wie komisch es aussehen wird."

Meine eine Hand umfasst die von Jack, während meine andere Hand sich auf seine Schulter legt. Seine freie Hand findet Platz an meiner Taille. Langsam beginnen wir uns zu der Musik zu bewegen und machen einen Schritt nach dem anderen. Wir machen uns sogar relativ gut. Dabei schauen wir uns gegenseitig in die Augen. Er in meine grünen und ich in seine wunderschönen braunen Augen.

Unwillkürlich muss ich an den Kuss letzte Nacht denken. Der schönste Kuss, welchen ich jemals hatte. Alleine dass er unter Mondschein im Meer stattgefunden hat, hat mich verzaubert.

Keiner von uns beiden hat ihn den Tag über angesprochen, aber das ist auch garnicht Nötig. Wenn sich etwas aus uns entwickeln sollte, wird das ganz von alleine passieren. Dazu müssen wir nichts überstürzen oder erzwingen. Und ich habe das Gefühl würden wir darüber reden, würde genau das passieren. Es ist nämlich zu früh, um etwas dazu zu sagen. Bis es so weit ist, oder überhaupt jemals passieren wird, sollten wir einfach weitermachen wie davor auch. Und das ist uns ganz normal zu verhalten.

Außerdem wäre es mir unangenehm den Kuss anzusprechen und ich möchte keine peinliche Stimmung zwischen uns schaffen. Wer weiß wie lange wir noch tagtäglich Zeit miteinander verbringen müssen.

Ich hoffe wirklich unsere Familien haben mittlerweile eine Spur von uns und kommen uns bald hier retten. Denn diese sind unsere einzige Option wieder Nachhause zu kommen, es sei denn wir finden auf magische Weise eine andere Möglichkeit. Wir müssen all unsere Hoffnung in sie setzen uns auf sie vertrauen. Und das tue ich auch eigentlich, denn ich weiß, dass sie mich nicht einfach aufgeben würden. Doch was wenn es einfach unmöglich für sie ist uns hier zu finden? Dann müssen wir ein Leben lang in Spanien in Armut leben und dazu noch ständig auf der Flucht sein, oder wie soll unser Leben dann aussehen?

Vielleicht übertreibe ich gerade auch einfach nur und Male den Teufel an die Wand, aber wer würde das an meiner Stelle denn nicht tun. Es ist einfach schrecklich, auch wenn ich es die ganzen letzten Tage gut verdrängen und überspielen konnte.

Doch wenn man sich einmal in eine Sache hineinsteigert, so wie ich jetzt, kommt man nicht sofort daraus. Wir könnten auch jeden Moment sterben, dann ist alles vorbei. Antonio kann jeden Moment hier auftauchen und uns finden.

„Es wird alles gut, okay? Wir müssen nur etwas Geduld haben." Jack führt seinen Daumen zu meiner Träne, um sie wegzuwischen. Dann zieht er mich näher zu sich heran, sodass wir Arm in Arm und eng umschlungen miteinander Tanzen.

Ich bin so froh ihn bei mir zu haben. Alleine wäre ich sicher schon in hundert Panikattacken ausgebrochen und wäre komplett verloren.

Allerdings war ich noch nie gerne alleine. Das Gefühl alleine zu sein, löst eine Einsamkeit in mir aus und verstimmt mich sofort in eine traurige Stimmung. Ab und zu habe ich zwar gerne meine Ruhe, aber ich bin lieber mit anderen Menschen.

Beispielsweise mit meiner Schwester. Wenn ich mich einsam und alleine gefühlt habe, konnte ich immer zu ihr gehen. Wir haben uns immer gut verstanden und selten gestritten. Ich wäre jetzt gerne bei ihr. Ich vermisse sie.

Fakt ist, bei der nächsten Feier bei der ich eingeladen bin, überlege ich es mir zweimal, ob ich hingehe. Denn so schön manche Momente mit Jack hier sind, will ich es nie wieder erleben so verloren zu sein. Dann mache ich lieber eine freiwillige Reise. Obwohl ich von fremden Ländern für die nächste Zeit sicher genug haben werde. Denn wenn ich erstmal zuhause bin muss ich mich von allem erholen.

Doch bis dahin bin ich bei Jack. Bis dahin ist er mein Zuhause. Denn nur bei ihm fühle ich mich im Moment wohl.

So wie jetzt gerade auch.

Mit ihm, gemeinsam tanzend unter dem Sternenhimmel.

Verloren in SpanienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt