26. Papierkugeln

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Eine kleine Papierkugel traf ihren Kopf, prallte davon ab und landete auf dem Laptop, der aufgeklappt vor ihr stand und auf dessen Desktop ihr E-Mails zu sehen waren. Genauer ihre Antwort an die technische Abteilung von Stark Industries. 

Sie schnipste das Kügelchen auf den Boden, wo es sich zu einem inzwischen Recht ansehnlichen Haufen seinesgleichen gesellte und zog es weiterhin vor ihren Boss zu ignorieren.

Die letzten Wochen waren... interessant gewesen. Und irgendwie beklemmend. Sie konnte es nicht richtig zuordnen, aber es gingen definitiv viele Dinge vor sich über die sie nicht informiert wurde. 

Tony verschanzte sich von morgens bis abends in seiner Werkstatt und arbeitete an allem nur nicht an einer Idee wie er seine Firma über Wasser halten könnte. Er hatte ihr nicht gesagt woran er bastelte, aber sie war sich ziemlich sicher, dass es der Mark 1 Prototyp war, oder zumindest etwas ähnliches. Aber, der nächste Punkt in dem sie sich sicher war, die Rüstung sollte nicht ans Militär gehen. 

Rhodey hielt sich schon seit längerem bedeckt und Tony wollte Obadiah nichts von dem Projekt wissen lassen.

Mr. Stane hatte sie gleich mehrmals gefragt, was Tony so treibe. Sie hatte abgeblockt. Sie wisse von nichts. Es war nicht nur so, dass ihr Integrität über alles ging, vielmehr so, dass Obadiah das andere große Rätsel war. 

Jahrelang hatte er Tony immer wieder dazu gedrängt an allem wichtigen Terminen teilzunehmen, sich als verantwortungsvoller CEO zu präsentieren, jetzt aber, in dieser harten Phase für die Firma, schob er ihren Boss elegant zur Seite. Tony solle sich die Pause gönnen, er, Obadiah, würde die Dinge geraderücken. Und natürlich setzte Tony diese Anweisung begeistert um und tat rein gar nichts was mit der Firma zu tun hatte.

Kopfschüttelnd dachte sie an den vorgestrigen Abend zurück, als Obadiah kam um mit Tony über die Aufsichtsratssitzung zu sprechen. Ihr Boss hatte ungefähr soviel Interesse daran gezeigt, wie Löwen an einem veganen Lebensstil , nämlich gar keins und dann war er mit dem Pizzakarton wieder in die Werkstatt verschwunden. Obadiah hatte ihm vorgeworfen nicht dabei gewesen zu sein, allerdings hatte seine Mimik etwas anderes gesagt. 

Sein Vorwurf hatte einfach nicht vorwurfsvoll geklungen, mehr als würde er seine Vorwürfe gegenüber Tony einfach nur noch abspielen, in dem Wissen, dass sie von ihm sowieso ignoriert werden würden. Konnte man ihm wohl nicht so Recht verübeln.

Tony hatte es ignoriert, aber sie konnte das nicht. Der Aufsichtsrat will ihn aussperren. Er hatte es abgetan, aber sie wusste genau, dass der Aufsichtsrat auch Rechte hatte. 

46,5 Punkte hatte die Aktie verloren, kein Wunder das der Aufsichtsrat not amused war. Aber Tony hatte Obadiah an seiner Seite und er war eben Tony. Es war schwer den Firmeneigentümer, welcher zudem auch noch der Goldesel der Firma war, auszusperren und der Aufsichtsrat fraß Obadiah quasi aus der Hand.
Vielleicht machte sie sich auch einfach zu viele Sorgen.

Er hatte Flugstabilisatoren getestet. Ob er wirklich fliegen könnte in den Anzug? Also länger als der 2-Minuten-Flug mit anschließendem Absturz? Es wäre phänomenal, eine wahre Sensation, selbst für Tony Stark. Noch war es nicht so weit, aber so exzessiv wie Tony im Moment arbeitete...

Wenn sie eins in all den Jahren ihrer Anstellung gelernt hatte, dann war es das, dass nichts unmöglich war, wenn er sich etwas vorgenommen hatte. 

Er setzte dann diesen Blick auf, der unglaubliche Konzentration ausstrahlte und seine Augen glänzten fast fiebrig. Das war der Moment, in dem er alles um sich herum ausblendete und sich auf diese eine Sache fokussierte. Wenn er also vorhatte zu fliegen, dann war sie sich bei nichts auf der Welt sicherer, als das er fliegen würde. Ganz sicher.

Wieder traf sie eine Papierkugel, diesmal an der Schulter. Praktischerweise prallte sie von da aus direkt auf den Boden.

Es war bereits früher Abend und Tony hatte sich zu ihr auf die Couch gelümmelt, sich mit Fast Food vollgestopft, mit einem Auge Pläne studiert und mit dem anderen E-Mails gelesen, die sie ihm zur Kenntnisnahme vorgelegt hatte und nun schien er die E-Mails in zerrissener Form zweckzuentfremden. 

Bisher hatte sie die Kügelchen allesamt ignoriert und sich auf ihre eigenen E-Mails konzentriert, während sie Vermutungen darüber anstellte, ob Tony auch noch was sagen würde oder ob er vorhatte sie den Rest des Abends schweigend abzuwerfen.


Die nächste Kugel wurde geschnipst und traf wieder ihren Kopf, wo sie sich aber dieses Mal in ihrem Dutt verfing. Blind fuhr sie sich zweimal durch die Haare, riss dabei vereinzelt Strähnen aus ihrer Frisur und hoffte einfach, dass sich das kleine Kügelchen löste. Tatsächlich fiel es zielsicher auf ihre Tastatur, wo sie es nun erneut wegschnipsen konnte. Eine eingefahrene Prozedur an diesem Abend.

Leicht lächelnd verdrehte sie die Augen und beschloss dem Wunsch ihres Bosses nach Aufmerksamkeit nachzugeben. Zumindest ein bisschen. Nur solange bis sie nicht mehr Gefahr lief von einer weiteren Wagenladung Papierkugeln getroffen zu werden. 

Sie lehnte sich zurück und wandte sich dem Mann am anderen Ende der Couch zu, der seine Füße lässig auf den Tisch gelegt hatte, neben sich einen Pizzakarton, auf seinem Schoss ein kleiner Stapel Papier, den er emsig zerriss.

Die Frisur verstrubbelt und mit dem obligatorischen AC/DC-Shirt. Sie würde dies ja als seinen Feierabend-Look bezeichnen, aber dann würde Tony sein ganzes Leben lang Feierabend machen...was bei näherer Betrachtung auch hinkam.
Also doch: sein Feierabend-Look.

„Was ist los, Tony?"
Er hob seinen Kopf, grinste sie an und setzte dann sein fragendes Gesicht auf.
„Was soll los sein?"

Sie grinste fast automatisch zurück. Verdammt, sein Grinsen wirkte auf sie einfach immer magnetisch. Sie konnte nichts machen. Wenn er grinste, grinste sie zurück. Ein Naturgesetz. Die einzige Ausnahme war, wenn sie wirklich, wirklich wütend war und da sie in den Jahren ziemlich abgehärtet wurde, passierte das eher selten. Sie zwang sich ein gespielt nachdenkliches Gesicht aufzusetzen und so zu tun, als würde sie ernsthaft nachdenken.

„Hmmm. Ich weiß nicht. Sie bewerfen mich seit zwei Stunden mit den traurigen Überesten ihrer E-Mails. Aus irgendeinem Grund bin ich davon ausgegangen, dass Sie mir etwas sagen wollen?"
„Ohh, das. Ich protestiere."
„Wofür oder Wogegen?", konterte sie blitzartig.

Er sah sie mit einem Gesichtsausdruck an, als wäre das nun wahrlich offensichtlich.
„Gegen E-Mails, die Abholzung des Regenwaldes, den Kapitalismus und gegen die Tatsache, dass einige Leute Salami und Marmelade kombinieren."
Sie lachte leise auf, was bei ihm einen Gesichtsausdruck äußersten Stolzes hervorrief.
„Diese Art des Protestes finde ich ein bisschen fragwürdig...", ging sie weiter auf das Spiel ein, worauf Tony sogleich zu einer gewichtigen Miene zurückfand.
„Nicht fragwürdig! Revolutionär!"

Die Tatsache, dass bei diesem Ausruf ein Pizzastück halb in seinem Mund steckt, schmälert die Epik der Momentes ein wenig, was sie ihm sogleich mitteilte.
Aus Rache traf sie einen weitere Papierkugel.

„Auch das Ausrufen epischer Schlachtrufe mit Pizza im Mund ist revolutionär."
„Es wäre auch revolutionär wenn sie mal wieder ihre Werkstatt aufräumen könnten, jedes Mal wenn ich darunter gehe , habe ich Angst mir meine Beine zu brechen, oder sie gar nicht zu finden."

Er richtete sich auf und sah sie mit einem Gesichtsausdruck an, der wohl Erhabenheit ausdrücken sollte.

„Nur der Kleingeist hält Ordnung, das Genie überblickt das Chaos."

Jetzt warf sie auch aus Rache eine Papierkugel, welche er mit seiner Hand anblockte.
„Gewalt, Miss Potts? Ich hätte mehr von Ihnen erwartet!"

Sie äffte seinen gestelzten Tonfall nach.
„Hochnäsigkeit, Mr. Stark? Bedauerlicherweise hab ich genau das von Ihnen erwartet."

Er wahrte noch für eine Sekunde seine Maskerade, dass prustete auch er los. Sie konnte nicht anders, als mit einzufallen. Sein Lachen wirkte auch magnetisch. Immer noch lachend setzte er zum Gegenangriff mit den Kügelchen an, welchen sie jetzt ebenfalls dauerhaft erwiderte. Der Laptop wurde als Schild zweckentfremdet, der Pizzakarton wurde zur Mauer. 

Der Moment war unbeschwert. Unbeschwert perfekt. Für diesen Moment zählte nicht mehr, was er in der Werkstatt tat, oder Obadiah in den Sitzungen. 

Es zählten nur Sie und er... und mehrere Dutzend Papierkugeln.

12% eines Genies - Pepper PottsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt