74. Sturm

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Sie winkte ein letztes Mal, dann wurde der Bildschirm ihres Handys dunkel und das rote Hörersymbol erschien.
Sie schaltete ihr Telefon aus, bevor sie es sorgfältig zurück auf den Couchtisch legte.
Die Uhr an der gegenüberliegenden Wand zeigte, dass sie fast eine Stunde mit Meg über FaceTime telefoniert hatte.

Draußen donnerte es und ein heftiger Windstoß ließ einmal mehr einen gewaltigen Wasserschwall gegen die großen Panorama-Fenster knallen, bevor der Regen wieder im gewohnten Rhythmus gegen das Glas trommelte.
Entspannt lehnte sie sich wieder an selbiges Fenster, die Füße angewinkelt und starrte in den grauen Nachmittag hinaus.

Vor ein paar Stunden hatte sie alle Mitarbeiter nach Hause geschickt, bevor der Sturm seinen Höhepunkt erreicht hatte und das gelegentliche Einschalten der Nachrichten bestätigte, dass das eine gute Idee gewesen ist.
Happy hatte sie hier abgesetzt und war noch für einen kurzen Kaffee mit hoch gekommen, bevor auch er sich sicherheitshalber auf den Weg in sein eigenes Apartment gemacht hatte.
Er war mittlerweile wieder voll genesen.
Vor zwei Wochen hatte er die Physio abgesetzt und wieder mit intensiven Training begonnen.

Tatsächlich waren die Dinge in allen Bereichen so stetig bergauf gegangen, dass ihre pessimistische Seite ständig misstrauisch gewesen war, wann ihr kleines Kartenhaus wohl einstürzen würde.
Eingestürzt war es noch nicht, gewackelt hatte es allerdings.
Ihre Mutter, die seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr so recht die selbe gewesen war, war Ende April ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Ein leichter Herzinfarkt hatte es geheißen.
Kurzzeitig schien es, als würde sie sich schnell erholen, doch mittlerweile ging es ihr wieder von Tag zu Tag schlechter.
Sie war für ein paar Tage zu ihr gefahren, doch ihre Zeit in New Haven hatte ihr nur wieder schmerzlich gezeigt, dass auch ihre Beziehung  zu ihrer Mutter, seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr dieselbe war.
Die Ärzte waren sich unsicher, wie es weiterging und so hielt sie ihr Handy stets in ihrer Nähe um erreichbar zu sein.

Es hatte etwas beruhigendes dem Regen zuzuschauen, denn hier, hoch über der Stadt, im geschützten Apartment, konnte er ihr nichts anhaben.
Sie hatte Gewitter schon immer gemocht.
Hatte von klein auf, auf diese Tage gewartet, am Fenster gesessen, meistens mit Unmengen an Keksen und hatte Kerzen angezündet.
Benji hatte am Anfang oft bei ihr gesessen und immer wieder darauf gehofft Blitze zu sehen, aber es war ihm schnell langweilig geworden (meist ab den Moment, an dem es keine Kekse mehr gab) und Stevie hatte sich überhaupt nicht dafür interessiert.

Einem Impuls folgend rappelte sie sich hoch, durchsuchte eine der Schubladen in der Küche und zündete dann das Teelicht auf dem Wohnzimmertisch an.
Sie hatten immer massenhaft Teelichter in der Wohnung.
Tony meinte immer, dass er es als seine heilige Pflicht ansah ihr 365 Tage im Jahr ein Candlelight-Dinner zu bieten und so zündete er stets ein Teelicht an, wenn sie zusammen aßen.
An besonders edlen Anlässen zog er sich scherzhaft eins dieser T-Shirts über, auf denen eine Krawatte aufgedruckt war, zündete noch zwei weitere Teelichter an, besorgte den billigsten Champagner im Supermarkt und nannte sich alle zwei Sekunden den besten festen Freund Amerikas.

Selbiger ‚bester fester Freund Amerikas' befand sich just in diesem Moment draußen im Sturm.
Nachdem er im Dezember fast ertrunken wäre in seiner Rüstung, hatte er lange und hart an einer Verbesserung gearbeitet, die dafür sorgte, dass auf Kommando die Lücken verschlossen werden und der Anzug wasserfest wird.
Dank noch sehr viel mehr Tüftelei würde die Luft im Anzug dann genau für 9 Minuten reichen.

Nachdem dieser letzte Extremis-Soldat in den letzten Wochen zwei Mal knapp entkommen war, war Tony schon beim ersten Anzeichen, dass der Sturm ein schlimmer werden würde in seiner Werkstatt verschwunden, nur um im Anzug wieder aufzutauchen.
Sie wusste, dass er das Erfolgserlebnis brauchte, die Bestätigung, dass er wirklich etwas schaffte.
Er machte diese einfacheren Aufgaben gerne.
Eine nette Abwechslung zum Welt retten.
Immer wieder flog er bei Waldbränden oder Erdbeben los.
Sprach immer davon, dass es der beste Weg sei, um den Anzug für den wirklichen Ernstfall zu testen.

12% eines Genies - Pepper PottsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt