76. Was passierte, als eine Treppe sein Ego verletzte...

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Es war fast acht Uhr, als sie die Tür zu ihrer Wohnung schließlich aufstieß, sich aus ihren Schuhen quälte, ihre feuchte Wollmütze auf das Regal schmiss und ihren Anorak an der Wand aufhing.
Jetzt nur noch auf Socken, warf sie einen Blick in die Küche, überprüfte dann das Wohnzimmer und entschloss sich dann einfach JARVIS zu fragen, ob Tony zufällig da war (was nicht der Fall war).

Mittlerweile versuchte sie gar nicht mehr den Überblick über seine Tage zu behalten.
Hin und wieder gab sie ihm Aufgaben für Stark Industries, aber ob er diese noch am selben Tag oder erst in ein paar Wochen erledigte, war nie klar.
An manchen Tagen bekam sie ihn kaum aus der Werkstatt raus, an anderen setzte er keinen Fuß hinein.

Vor ein paar Wochen hatte er einen weiteren Auftrag für S.H.I.E.L.D. abgeschlossen, als er irgendwie die Helicarrier verbessert hatte.
Er hatte es ihr weitschweifig erklärt, präsentiert und mit Bildern verdeutlicht und trotzdem hatte sie keinen blassen Schimmer was er wie gemacht hatte.
Der Endeffekt war aber wohl, dass die fliegenden Plattformen von S.H.I.E.L.D. jetzt anscheinend Ewigkeiten in der Luft blieben.

Wo er heute war, oder was er heute getan hatte, da konnte sie nur raten.
Dadurch, dass Tony oft am Abend vorher noch nicht wusste, was er am nächsten Tag tun würde und sie die frühen Morgenstunden nicht zusammenverbrachten („die Uhrzeiten, zu denen du aufstehst sind unmenschlich, Pep"), erfuhr sie immer erst im Nachhinein, was er so getrieben hatte.

Mit Blick auf die Uhr, beschloss sie, sich umzuziehen und saß so 30 Minuten später in einem gemütlichen Pulli und in Jeans auf der Couch und ging die Statistiken der Personalabteilung durch.
Es war ein überaus matschiger und regnerischer Dezember bis jetzt.
Heute war die Luft so feucht gewesen, dass es ebenso gut hätte regnen können und Nebel hatte über der Stadt gelegen, während aus allen Ecken schrille Weihnachtsmusik ertönt war.
Sie persönlich würde nie verstehen, warum Menschen ab dem ersten Dezember den starken Drang verspürten, als ihren Klingelton Jingle Bells zu nutzen, beim Radio anzurufen, nur damit ‚Last christmas' gespielt wird (was sowieso schon rauf und runter läuft) und zu jeder denkbaren Gelegenheit die großen Weihnachts-Klassiker zu summen.

Ihr eigener Klingelton (noch immer der Standart-Klingelton ihres Handys) riss sie mitten aus einer Statistik über Urlaubstage.
„Virginia Potts am Apparat."
„Weißt du, wie erschreckend es ist, dass gewisse Leute tatsächlich seit fast vier Jahren mit einem technischen Genie zusammen sind, es aber immer noch nicht schaffen, auf dem Bildschirm ihres mobilen Endgerätes abzulesen, wer anruft?"
Sie rollte mit den Augen.
„Hi, Tony"
„Gibt's ja nicht! Sie hat erkannt, wer am Telefon ist! Ein Wunder!"
„Ich stecke bis zum Hals in Unterlagen der Personalabteilung und habe ganz einfach nicht auf das Display geschaut..."
„Du weißt, dass es mich auf einem ähnlichen Level schockiert, dass du deinen Feierabend damit zubringst, dir Zeug von der Personalabteilung anzuschauen?"
„Was willst du, Stark?"
Sie hatte noch nicht voll beschlossen, ob sie genervt von ihm war, oder den Schlagaustausch genoss.
„Deine liebliche Stimme hören.", säuselte er auf der anderen Seite der Leitung in den Hörer.
„Dummerweise beruht das nicht auf Gegenseitigkeit, denn wenn ich zwischen einem Gespräch mit dir und den vielseitigen Berichten über die krankheitsbedingten Ausfälle des letzten Jahres wählen muss...", sie ließ ihre Aussage grinsend in der Luft hängen.
„Meine Freundin, meine Damen und Herren. Meine Freundin."
„Oh, du hast Publikum?", schoss sie ironisch zurück.
„Wir reden von mir. Wann habe ich kein Publikum, ist doch die Frage. Ich bin dafür geboren, dass mir andere Leute zuhören, mir nacheifern, mich be-"
„Und wo sind du und deine Fans gerade? Denn wenn du es nicht innerhalb der nächsten dreißig Minuten nach Hause schaffst, würde ich ohne dich essen."
„Tja, lustig, dass fragst.", seine Stimme war zu einem unnatürlich freudenvollen Ton hochgestiegen.
Ihr schwante übles.
„Wieso?"
„Zwei kurze Zwischenfragen, bevor wir zu der Antwort deiner Frage kommen. Erste Frage: wenn du mit etwas oder jemandem Mitleid hättest, würdest du das doch sicherlich in Nettigkeiten Ausdrücken, wärst super fürsorglich und so weiter, richtig?"
Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen.
„Ja... so würde ich Mitleid normalerweise ausdrücken."
„Perfekt!", sein Ton war immer noch unnatürlich hoch, „zweite Frage: auf einer Skala von eins bis zehn, wie viel Mitleid würdest du, rein theoretisch, für jemanden empfinden, der, sagen wir mal, sein Schienbein an zwei Stellen gebrochen hat, drei angebrochene Rippen sein eigen nennen kann und just in diesen Moment mit einer schweren Gehirnerschütterung zu kämpfen hat."
Sie zwang sich drei tiefe Atemzüge zu nehmen.
„Hast du mir gerade beiläufig mitgeteilt, dass dein verdammtes Schienbein zwei Mal gebrochen ist?", sie versuchte ihre Beherrschung nicht zu verlieren.
„Ich finde es nicht gut, wie du meine Rippen und die Gehirnerschütterung einfach unter den Tisch fallen lässt! Ich hänge sehr an meinem Gehirn!"
„Was zum Teufel ist passiert? Geht es dir einigermaßen gut??"
„Sie fragt, ob es mir gut geht... Mein armes Gehirn hat eine Gehirnerschütterung erleiden müssen und eine Treppe hat mein Ego verletzt und sie fragt ob es mir gut geht..."
Er sprach mit dem erforderlichen Mindestmaß an Melodramatik, um ihr zu signalisieren, dass es ihm wohl gut genug ging.
„Wo bist du?"
„Lenox Hill Hospital. Ich gebe 3 ½ von 5 Sternen-"
„Ok. Ist irgendwer bei dir, der dein Verantwortungsbewusstsein spielt?"
Bitte sag Rhodey. Bitte sag Rhodey. Bitte sag Rhodey.
Der Soldat arbeitete im Moment eng mit S.H.I.E.L.D. zusammen und war so im Moment in der Stadt.
„Rhodey ist hier, aber ehrlich gesagt muss ich ihn ständig davon abhalten etwas dummes zu tun! Vor 2 Stunden hat er doch tatsächlich vorgeschlagen, dass ich mich selbst auschecke und durch die Hintertür verschwinde... konnte ihn zum Glück davon überzeugen, wie unverantwortlich das wäre!"
Sie hörte ein Schnauben im Hintergrund und sie atmete erleichtert auf.
„Ich bin auf dem Weg, Tony. Ich- gib mir ne halbe Stunde."
„Ich laufe garantiert nicht weg.", kam es trocken zurück, bevor die Leitung starb.

12% eines Genies - Pepper PottsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt