Kapitel 43

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Karims Sicht:


Unsere Deutschlehrerin verteilte gerade unsere Arbeiten. In mir stieg eine unvorstellbar große Angst auf. Ich musste eine gute Noten haben, sonst würde mein Vater wieder ausrasten. Ich konnte ihn schon wieder über mir sehen, wie er den Gürtel hob und mich erbarmungslos auspeitschte. Die Schmerzen waren das letzte Mal kaum auszuhalten gewesen. Ich wollte es nicht nochmal erleben! Doch leider war Deutsch nicht gerade meine Stärke, vor allem keine Gerichtsanalysen! Ich konnte denn Sinn hinter dieser Aufgabe einfach nicht verstehen. Wieso sollte man ein uraltes Gedicht analysieren? Und dann gab es noch diese ganzen Metaphern und Personifikationen. Wer braucht das?

Endlich legte meine Lehrerin mein Heft auf den Tisch. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Das konnte nichts gutes bedeuten. Vorsichtig schlug ich das Heft auf. Panik stieg in mir hoch. Nein, nein, nein das konnte nicht sein! In roten Buchstaben stand dort mein Todesurteil.

Mein Vater würde ausrasten! Ausreichend. Also eine vier. Mein Vater tolerierte noch nicht mal eine zwei minus! Wie würde er da bei einer vier erst reagieren? Hektisch atmete ich ein und aus. Ich musste mich beruhigen. Jetzt war eh alles zu spät. Sobald mein Vater mal wieder ein Wochenende bei uns zuhause verbringen würde, würde er mich bestrafen. Dagegen konnte ich jetzt nichts mehr tun. Ich hätte mich mehr anstrengen sollen!

Ich sah wie Clarissas Blick meinen suchte und sie mich stumm fragte was ich für eine Note habe. Doch ich schüttelte nur den Kopf und formte stumm das Wort „später" und wandte meinen Blick wieder ab. Ich konnte an nichts anderes denken, als an die Reaktion meines Vaters. Die Schmerzen konnte ich schon förmlich spüren.

Der Unterricht ging weiter, doch ich konnte ihm nicht folgen.

Mir war gerade ein wundervoller Gedanke gekommen, wie ich meine Angst ausschalten konnte, wie ich alle Gedanken los werden konnte! Ich musste mich nur noch bis zum Ende der Stunde gedulden.

Endlich gongte es zum Ende der Stunde und ich sprang hastig auf und schmiss meine Bücher in meinen Rucksack. Dann ging ich noch schnell zu Clarissa um ihr Bescheid zu sagen, dass ich kurz auf dem Klo sei und wir uns an ihrem Spind treffen würden. Sie machte einen erstaunten Eindruck, schließlich ließ ich sie sonst nie alleine, doch diesmal ging es nicht anderes!

Eilig machte ich mich auf den Weg. Als ich auf dem Bad angekommen bin, ging ich direkt in eine Kabine rein und verschloss sie. Dann zückte ich mein Messer aus meiner Hosentasche und setzte es ohne zu zögern auf die nackte Haut meines Armes an. Der Schnitt war nicht besonders tief, doch trotzdem fing Blut an heraus zu tropfen. Frieden machte sich in mir breit. Das hatte ich jetzt gebraucht. Ich setzte das Messer erneut an. Diesmal war der Schnitt etwas tiefer. Das Blut begann augenblicklich hinaus zu spritzen. Es tropfte auf den Boden. Tropfen für Tropfen.

Ein faszinierender Anblick. Der Schmerz verjagte jegliche Angst und jegliche Gedanken an meinen Vater aus meinem Kopf. Ich wusste , dass es nicht richtig war, was ich hier tat, doch ich wusste mir nicht anders zu helfen. Also setzte die Klinke erneut an. Der tiefste Schnitt von allen.

Das Blut floss nur so mein Handgelenk hinunter. Durchtränkte den Ärmel meines schwarzen Sweatshirts und hinterließ eine kleine Blutlache auf dem gefliesten Boden. Mir wurde leicht schwindelig, doch ich ignorierte die Anzeichen, dass ich es wohl etwas übertrieben hatte und setzte das Messer noch ein letztes Mal an. Die Schmerzen taten so gut. Sie erfüllten meinen ganze Körper und ließen mich ruhiger werden.

Als ich schließlich fertig war, presste ich ein Taschentuch auf die Schnitte, um die Blutung zu stoppen. Drei weitere Taschentücher später, hatte auch endlich der letzte Schnitt aufgehört zu bluten und ich machte mich daran, das Blut vom Boden aufzuwischen. Dann verließ ich die Kabine und zog meinen Ärmel so weit es geht hinunter.

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