Kapitel 64

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Karims Sicht:

Ich sah ihr hinterher, wie sie die Einfahrt hinunterging. Als sie sich umdrehte, um mir eine Kusshand zu zuwerfen, winkte ich ihr nach. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, als sie hinter der nächsten Ecke verschwand. Mir gefiel es nicht, dass sie heute allein zur Schule ging. Aber es ging nicht anders. Sie konnte schließlich nicht die ganze Zeit fehlen. Trotzdem sagte mir ein Gefühl, dass sie besser bei mir geblieben wäre. Ich hatte panische Angst davor, dass Nils ihr wieder etwas antun würde, da ich ja nun nicht bei ihr war. Aber seine Entschuldigung hatte eigentlich echt gewirkt. Ich konnte nur das beste hoffen.

Als mir schließlich kalt wurde, schloss ich die Tür hinter mir und humpelte die Treppe rauf. Wenn ich mich für eine längere Zeit bewegte, konnte ich immer noch die brennenden Schmerzen auf meinem Rücken und auf meiner Brust spüren, doch ich probierte sie so gut es ging zu ignorieren.

Mühselig schleppte ich mich in mein Zimmer und ließ mich ätzend aufs Bett fallen. Jetzt wo ich hier so lag hatte ich vielleicht auch etwas untertrieben, was meine Schmerzen anging. Die Bewegung hatte mir alles andere als gut getan. Mein Körper schien in Flammen zu stehen, nicht so unerträglich wie am Freitag aber trotzdem so stark, dass mir immer wieder der Atem stockte. Das Einatmen tat weh, das Ausatmen war etwas angenehmer, aber es brannte trotzdem wie die Hölle. Bewegungen schienen mir im Moment unmöglich, doch ich schaffte es soweit zu meinem Nachttisch zu robben, dass ich die Packung mit Schmerztabletten greifen konnte. Schnell warf ich mir eine ein und spülte mit einem Schluck Wasser, aus der Flasche, die neben dem Bett stand, nach. Erschöpft griff ich auch nach meinem Handy inklusive Kopfhörer und schaltete meinen Lieblingssong. Zum Glück hatte ich mein altes Handy aufbewahrt, sodass ich es jetzt benutzen konnte. Mein Vater würde mir nämlich wohl kaum ein neues kaufen und in meiner momentanen Verfassung konnte ich mir kein eigenes kaufen gehen.

Dann sank ich endlich in meine Kissen zurück und wartete darauf, dass die Tablette ihre Wirkung entfachte. Die leise Klavierklänge von „Comptine d'un autre été", dröhnten aus den Kopfhörer. Die wenigste Menschen wussten, dass ich Klaviermusik mochte. Als ich mit Nils und den anderen befreundet war, waren dieser der Annahme, dass ich deutschen und englischen Rap hören würde. Genau wie sie. In Wahrheit konnte ich diese sinnlosen Liedtexte und die viel zu lauten Beats nicht ausstehen! Meine Kumpels aus Frankreich hatten ehrlich gesagt auch nicht wirklich eine Idee von meinem Musikgeschmack. Sie hörte was gerade angesagt ist. Jetzt wo ich so richtig nachdachte, wusste eigentlich keiner davon.

Einige Zeit lang lag ich einfach so auf meinem Bett herum und lauschte den sanften Klängen. Mein Körper entspannte sich zunehmender und die Tablette zeigte so langsam ihre Wirkung. Meine Augen wurden immer schwerer bis sie schließlich ganz zufielen, doch sobald ich die Augen ganz geschlossen hatte, sah ich Clarissa vor meinem inneren Auge. Wie ging es ihr wohl gerade? Was war in der Schule los? Hatte man sie in Ruhe gelassen oder hatte irgendjemand wieder eine blöde Bemerkung gemacht?

Schnell schlug ich die Augen wieder auf, ich konnte nicht schlafen, solange sie nicht sicher wieder bei mir war! Ansonsten würden mich meine Sorgen umbringen! Nervös schaute ich auf meinen Wecker. Die erste Stunde hatte vor rund einer halben Stunde angefangen und war in fünfzehn Minuten zu Ende. Also dauerte es noch sieben Stunden bis sie endlich heim kam. Sieben Stunden in denen viel passieren konnte!

Mein Blick wanderte zur Decke, während ich versuchte meine Angst um sie in den Griff zu bekommen. Bestimmt war alles in Ordnung. Was sollte schon passieren? Nils hatte sich entschuldigt, der würde sie sicher nicht anrühren. Trotzdem schossen mir unzählige Möglichkeiten durch den Kopf, wie andere Schüler ihr weh tun könnten. Energisch schüttelte ich den Kopf. Ich musste die schrecklichen Bilder aus meinen Kopf vertreiben! Alles war gut. Es brachte nichts sich Sorgen zu machen, ich konnte eh nichts an der Situation ändern!!!

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