Kapitel 62

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Inzwischen war es Montag Morgen. Karim und ich hatten den Rest des Wochenendes in seinem Bett verbracht und Filme geschaut. Keiner von uns hat sein Zimmer groß verlassen, da sein Vater bis Sonntag Mittag irgendwo im Haus herum gespukt ist. In den tiefsten Ecken von Karims Schreibtischschubladen hatten wir noch eine Tafel Schokolade gefunden, über die wir uns auch gleich hergemacht hatten. Wir hatten uns erst mitten in der Nacht getraut runter in die Küche zu schleichen um etwas zu Essen und zu Trinken zu holen. Beziehungsweise hatte ich mich nach unten geschlichen und die Sachen geholt. Karims Zustand war immer noch kritisch. Er konnte sich jetzt zwar wieder voll und ganz bewegen, doch trotzdem hatte er immer noch leichte Schmerzen. Zum Glück hatten seine Wunden aufgehört zu bluten und so hatte er keine neuen Verbände benötigt.

Im Moment saßen wir in der Küche und aßen unser Frühstück, welches ich zur Abwechslung mal gemacht hatte. Es bestand aus Rührei, Toast und Speck. Karim trank natürlich seinen heiß geliebten Kakao, während ich ein Glas mit Orangensaft bevorzugte. Seine Mutter war schon früh morgens zu ihrer Yoga-Stunde gegangen, wie Karim mir erklärt hatte. Es war die letzte Woche vor den Weihnachtsferien, auf die sich alle schon so mega freuten. Auch ich freute mich dieser Hölle von Schule mal für zwei wundervolle Wochen entfliehen zu können. Da ich die letzte Woche schon komplett gefehlt hatte, hatten Karim und ich beschlossen, dass ich heute allein zur Schule gehen würde. Er konnte nicht mitkommen, da sein Zustand wie gesagt noch etwas kritisch war. Etwas mulmig war mir schon bei dem Gedanken ohne Karim in die Schule zu gehen, doch ich würde das schaffen. Außerdem schrieben wir heute eine wichtige Mathearbeit, die ich ungern nachschreiben würde. Ich hatte zwar noch keinen einzigen Blick in das Mathebuch geworfen, doch zum Glück fiel mir Mathe, wie fast jedes andere Fach auch, sehr leicht und deshalb stellte das kein Problem dar.

„Bist du dir sicher, dass du das durchziehen möchtest?", fragte mich Karim besorgt. Ich wusste, dass ihm der Gedanke nicht behagte mich allein zur Schule zu schicken.

Ich nickte. „Ja. Außerdem kannst du dich ja nicht ewig als mein Beschützer aufspielen", sagte ich lächelnd. „Ich schaff das schon."

„Glaub mir Baby. So schnell wirst du misch nischt wieder los."

Ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. „Das will ich doch auch stark hoffen!"

„Du schaffst das und falls was schief gehen sollte dann denk einfach an mich", sagte er breit grinsend.

„Du Spinner", antwortete ich gut gelaunt und strubbelte ihm einmal durchs Haar.

„So besser?", fragte er ernsthaft interessiert. Ich lachte leise.

„Viel besser!"
„Na dann", sagte er und stand auf um mir einen Kuss zu geben. „Isch bringe dich noch zur Tür."

„Ganz der Gentleman", erwiderte ich kokett.

Ich schnappte mir meine Tasche, die ich zuvor in der Eingangshalle liegen gelassen hatte und hing sie mir über die Schulter.

„Ruh dich schön aus", flüsterte ich und strich ihm sanft über die Wange.

„Und du pass schön auf", sagte er und küsste mich sanft auf meine Lippen.

Dann verließ ich das Haus durch die große Haustür. Ich lief die Einfahrt entlang und drehte mich noch einmal kurz um, um Karim, der im Türrahmen stand und wie ein bekloppter winkte, eine Kusshand zu zuwerfen.

Eigentlich hatte Karim mich dazu nötigen wollen, ein Taxi zu nehmen, als ich das abgelehnt hatte, wollte er, dass ich mit seiner Vespa zur Schule fuhr. Jedoch fand ich beide Varianten nicht ganz so toll wie er. Zum einen war es einfach mega merkwürdig mit einem Taxi zur Schule gebracht zu werden und zweitens bin ich noch nie in meinem Leben selber Roller gefahren. Also ging ich zu Fuß, doch das machte mir nichts aus. So hatte ich Zeit meine Gedanken zu ordnen. Mein etwas mulmiges Gefühl hatte sich nämlich schnell in Panik verwandelt. Je näher ich der Schule kam, desto schlimmer wurde es. Mein Gehirn war wie vernebelt und ich stellte mir selbst ziemlich unnötige Fragen. Wieso mache ich das hier gleich nochmal, fragte ich mich. Ach ja, ich habe schon zu oft gefehlt und wir schreiben eine wichtige Arbeit. Wieso war Karim nicht bei mir? Er konnte sich kaum bewegen, weil er einen gestörten Vater hatte. Ich erinnerte mich. Meine Hände zitterten leicht. Das Gebäude kam in Sicht. Kalte Angst packte mich und ich wäre am liebsten schreiend davon gelaufen.

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