General Al-Hamidi betrachtete Phils Frage offensichtlich als Provokation, denn er klang wütend, als er antwortete:
„Das ist keine Prinzipienreiterei. Es geht darum, kein Beispiel zu geben." Er holte tief Luft und fuhr deutlich ruhiger fort, eher belehrend als tadelnd. „Nehmen wir an, wir bürgern die Palästinenser ein. Das kriegen die Kurden in der Türkei mit, die von jeder Regierung in Ankara, egal ob zivil oder Militär, drangsaliert werden. Die türkischen Kurden wissen, dass die Angehörigen ihrer Ethnie in Syrien gleichberechtigt und unbehelligt leben. Sie sagen, „was die Palästinenser können, das können wir auch", packen ihre Koffer und kommen her. Nicht eine halbe Million, vielleicht zwei oder drei Millionen. Und wir haben wahrlich schon genug Probleme am Hals. Wissen Sie, wie lange das zum Beispiel vor unserer Haustür im Libanon noch gut geht, mit den Christen und den Moslems?"
Phil hatte genug Zeit mit politischen Diskussionen über den Nahen Osten und dem Studium von Geschichtsbüchern zugebracht, um sich auch zu der Kurdenfrage eine Meinung zu bilden:
„Bei allem Respekt, Herr General, so ganz gleichberechtigt leben die Kurden auch in Syrien nicht. Mehr als in der Türkei, im Irak und im Iran, das schon, aber wie viele von ihnen haben gehobene Stellungen im Staat und in der Armee?"
Obwohl Phil ihm prinzipiell widersprochen hatte, blieb der General diesmal entspannt. Er dozierte:
„Sie haben recht, Major Phil, aber bitte bedenken Sie, dass wir erst am Anfang des Weges stehen. Wir wollen und wir können es uns nicht leisten, eine große Minderheit wie die Kurden mit Gewalt zu unterdrücken, aber es wird eine Weile dauern, Ressentiments auf beiden Seiten abzubauen. Sehen Sie, die Staatsführung besteht zu einem erheblichen Teil aus Angehörigen der alawitischen Minderheit, einfach weil sie am besten ausgebildet ist. Uns wird gar nichts anderes übrigbleiben, als eine Basis mit der Mehrheit der Sunniten und den anderen Volksgruppen zu finden, aber das dauert. Solange es das Vertrauen noch nicht gibt, muss eine starke Hand für den Zusammenhalt des Staates sorgen."
Eins stand für Tom nach dem Gespräch mit dem General fest: Syrien hatte gewichtigere Probleme als Libyen, und Erdöl, das als Schmiermittel in vielerlei Hinsicht nützlich war, weil man es benutzen konnte, oppositionelle Vorksgruppen mit Geld zu besänftigen, gab es hier nicht.
Genau diesen Punkt diskutierten Tom, Nikos und Phil, als sie gegen zwei Uhr morgens wieder im Hotel waren. Klaus und Torsten hätten gerne gewusst, was im Hinterzimmer besprochen worden war, aber Tom wich ihren Fragen aus - nicht nur, weil er immer noch sauer auf Torsten war, sondern vor allem, weil sie ja eher in eigener Sache mit dem General gesprochen hatten, und dieser Teil ihrer Diskussion war nicht für Torstens Ohren bestimmt.
Phil, Nikos und Tom untersuchten als Erstes ihr Schlafzimmer nach Wanzen, wurden aber nicht fündig. Erst dann trauten sie sich, ihre Begegnung mit Al-Hamidi zu analysieren. Sie hatten kein Problem mit dem eventuellen neuen Auftraggeber ihrer griechischen Gruppe, denn sie hatten es in der Hand, ob oder was sie ihm weitergaben.
Sie waren sich einig, dass die politische Lage Syriens nicht mit Libyen oder Ägypten vergleichbar war. Für ein junges, derart heterogenes Land demokratische Regeln zu finden, dürfte schwierig sein. Die Art direkte Demokratie, die Gaddafi in Libyen zu praktizieren versuchte, würde schon wegen der viel größeren Einwohnerzahl nicht funktionieren.
Sie kamen zu dem deprimierenden Ergebnis, dass eine starke Zentralregierung nötig war, um Zwistigkeiten zwischen den Volksgruppen zu verhindern. Der Aufbau eines demokratischen Systems würde Zeit kosten und guten Willen auf vielen Seiten voraussetzen. Die Assad-Regierung war nicht lange genug an der Macht, um beurteilen zu können, ob sie ihre Versprechen im sozialen und Bildungsbereich umsetzen, geschweige denn, für alle Bevölkerungsteile da sein würde.
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Die richtigen Leute Band 8: 6.000 Jungs wie Ihr
Historical FictionIn „6.000 Jungs wie Ihr", dem 8. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute", geht es um die Vorbereitung und Durchführung einer vorgetäuschten Flugzeugentführung, die dazu dient, die überlebenden palästinensischen Attentäter des Anschlags auf die Olymp...