Rechtzeitig zu den Süßspeisen saßen fast alle wieder am Tisch, nur ein Platz war frei, aber noch wunderte sich niemand, wo Kamal blieb. Nikos verwickelte den zweiten Entführer in eine Diskussion, und erst als sie aufstanden, meinte er:
„Komisch, wo ist eigentlich Kamal?"
Sie suchten alle Räumlichkeiten der Gaststätte und die nähere Umgebung ab, aber der Palästinenser blieb verschwunden. Da erblickte Tom den Zettel auf dem Beifahrersitz des Jeeps.
„Soll er es versuchen," meinte sein Kollege verächtlich, nachdem er den Zettel gelesen hatte. „Der war sowieso zu weich für uns. Ständig hat er mir in den Ohren gelegen, wir können doch die armen Leute nicht umbringen. Mit solchen Feiglingen haben wir überhaupt keine Chance."
„Wie viele Quadratmeter Palästina hätte es denn gebracht, wenn Ihr das Flugzeug gesprengt hättet?" fragte ihn Nikos.
„Nur so können wir unseren Kampf führen," beharrte der Palästinenser. „Die Welt muss vor uns zittern, dann können die Israelis gar nicht anders, als uns unser Land zurückzugeben."
Tom überlegte, ob es Sinn hatte, dem Mann seinen gegenteiligen Standpunkt zu erklären. Er entschied sich dagegen. Vielmehr wollte er die Geschichte von Kamals Untertauchen untermauern:
„Ich teile Eure Meinung. Natürlich habt Ihr das Recht, um Euer Land zu kämpfen. Ich finde die Methode taktisch falsch, aber das ist nicht meine Entscheidung. Wo ich Dir recht geben muss: mit Feiglingen werdet Ihr keinen Erfolg haben. Werdet Ihr ihn suchen und zur Rechenschaft ziehen?"
„Es wäre nicht schwer, ihn in Syrien zu finden. Aber wozu? Wir hätten einen unzuverlässigen Deserteur in unseren Reihen. Nein. Soll er versuchen, nach Syrien zu kommen. Wenn er Pech hat, kriegen ihn die Israelis, bevor er überhaupt hinkommt."
Tom und Serhat versuchten, die Übergabe – Geld gegen Dokumente – unauffällig zu gestalten, aber Fred war lange genug beim Geheimdienst, um es zu bemerken. Das Thema würde er ansprechen, wenn sie unter sich waren, nahm er sich vor.
Serhat drängte Nadim zur Abfahrt. Je länger Kamal sich verstecken musste, umso größer sein Risiko. Der Nubier umarmte Tom, der die Gelegenheit nutzen wollte, in Afrika hinter Heikes Briefgeheimnis zu kommen Also fragte er den Nadim:
„Was schreibt Maher eigentlich so?"
Nadim registrierte, dass sich zwei Augenpaare auf ihn richteten. Wäre es klug, Sophias Ex über das Seelenleben seines Nachfolgers aufzuklären? Würde Maher das wollen? Kaum.
„Ihr seht ihn ja bald." wich er aus. „Serhat sagt, wir müssen los. Mal sehen, vielleicht komme ich mit nach Alexandria."
Serhat, Nadim und der Palästinenser stiegen ein, aber da war noch eine schlechte Nachricht, die Serhat sich bis zum letzten Moment aufgehoben hatte. Er kurbelte die Scheibe herunter und winkte Hamit zu sich:
„Schöne Grüße von Deinem Vater. Du sollst ihn anrufen, wenn Du wieder in London bist."
„Hast Du selbst mit ihm gesprochen?"
„Ja. Er hat wohl kürzlich mit Libyen telefoniert, und da hat man ihm verraten, dass Du nach Libyen kommst."
„Dafür hat Gaddafi gesorgt. Mist. Ist er sehr wütend?"
„Ich glaube nicht. Verärgert schon, aber nicht wütend."
„Kann er ja auch nicht sein," grinste Hamit. „Er hat angeordnet, Phil soll auf mich aufpassen. Das geht natürlich nur, wenn ich da bin, wo Phil ist, und wenn der nach Libyen fährt, muss ich mit."
„Dann ist also Phil schuld, ja?" lachte Serhat.
„Nicht Phil. Mein Vater. Ich habe nur getan, was er gesagt hat."
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Die richtigen Leute Band 8: 6.000 Jungs wie Ihr
Historical FictionIn „6.000 Jungs wie Ihr", dem 8. Band meiner Reihe „Die richtigen Leute", geht es um die Vorbereitung und Durchführung einer vorgetäuschten Flugzeugentführung, die dazu dient, die überlebenden palästinensischen Attentäter des Anschlags auf die Olymp...