~Kapitel 2~

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Der Rat Carcerems traf sich, wie es Julianus vorausgesehen hatte, am folgenden Tag, um über die verwaiste Luna zu diskutieren. Währenddessen lag Luna zusammengerollt auf dem Sofa, neben ihr saß Natalis und vor ihr kniete Laurentia auf dem Boden.

„Hey, du musst langsam etwas essen, auch wenn es nur ein bisschen ist", sagte Natalis und schob den Teller mit einer belegten Scheibe Brot vor Lunas Nase. „Hör doch auf dich selbst zu quälen."

Doch Luna drehte sich nur von den Geschwistern weg. Laurentia nahm sich eine Decke und warf sie über ihre Freundin, die für die nächsten Tage wohl in ihrer Trauer versinken würde. Sie konnte es ihr nicht einmal verübeln, dennoch galten hier in der Stadt der Dämonenjäger andere Regeln. Über die Toten wird nicht mehr gesprochen. Die Waisen werden aussortiert, der Stadt verbannt.

Diese Regel folgt alten Gesetzen, die es möglich gemacht hatten, dass sich eine so starke Linie der Dämonenjäger entwickeln konnte. Lunas Vater hatte es ihr in etwa so erklärt, dass die Kinder derjenigen, welche in einem Kampf selbst nicht bestehen konnten und starben, letztlich ebenso scheitern würden. Die Fähigkeiten vererben sich über die Generationen. Ist die vorherige Generation zu schwach, werden die Nachkommen nur immer schwächer und eine Last für den Rest der Stadt. Also werden die Waisenkinder in andere Dörfer geschickt, um ihnen einen raschen Tod, nach jahrelanger und in den Augen der Ältesten Carcerems auch sinnloser Schulung, zu ersparen. Man konnte es sehen wie man wollte, aber diese Regelung hatte seit jeher keine wirklichen Nachteile geschaffen. Es wurden weniger Dämonenjäger, jedoch war das der Lauf der Dinge in dieser Welt. Sie starben, damit andere Leben konnten. Sie beschützen die, die sich selbst nicht beschützen können. Es würde keinen Trost für Luna bedeuten, aber Gesetze sind oft hart, müssen aber eingehalten werden.

„Vater!", hörte Luna, die ihr Gesicht noch immer unter der Decke vergraben hatte, Natalis rufen. „Wie ist es gelaufen? Was werden sie mit Luna machen?"

„Die letzten Stunden waren nicht gerade eine Wohltat für mich", Julianus setzte sich in seinen Sessel, der rechts vom Sofa stand. „Der Rat wollte nicht davon ablassen, Luna fortzuschicken und sie haben jedes Recht dazu. Jedoch konnte ich sie schließlich davon überzeugen, dass Luna ein wertvoller Teil der Gesellschaft ist und bleibt."

„Das bedeutet also, dass sie hier bleiben kann, oder?", erkundigte sich Laurentia und ballte die Hände zu Fäusten. „Sie kann bei uns wohnen, nicht wahr?"

„Ganz so einfach ist das nicht. Ihr müsst verstehen, dass der Rat kein großes Verständnis dafür aufbringen konnte, die Tochter einer toten Familie weiterhin zu unterrichten. Das verbietet ihnen ihre Moral."

„Dann kann sie nicht bei uns bleiben? Es würde nicht wesentlich mehr Zeit und Arbeit in Anspruch nehmen, sie mit Laurentia und mir zusammen zu trainieren. Meinetwegen übernehme auch ich ihren Unterricht", sagte Natalis.

„Niemand wird bei einem solchen Vorschlag zustimmen. Du bist selbst noch kein offizieller Jäger, also verhalte dich auch so. Der Rat hat ohnehin bereits eine Entscheidung gefällt."

„Wie lautet sie", meldete sich nun auch Luna schwach zu Wort. Unter ihren sonst so strahlend blauen Augen lagen tiefe Schatten.

„Du darfst bleiben, allerdings nicht bei uns", erklärte Julianus.

„Wohin willst du sie dann geben? Es ist ja nicht so, dass jemand anders sie so einfach aufnehmen würde", mischte sich Natalis ein und erntete böse Blicke seines Vaters.

„Wir schicken dich zu Alec Valens."

„Bitte was?", Natalis sprang auf und warf dabei fast den Wohnzimmertisch um. „Das kann doch nicht euer Ernst sein! Dieser Mann ist wahnsinnig und lebt irgendwo in einer modrigen Waldhütte. Er ist ein Außenseiter, ein Sonderling. Wie soll er sich um Luna kümmern, wenn er sein eigenes Leben bereits in die Gosse gefahren hat?!"

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