Im Krankenhaus war es sehr ruhig. Ihre Schritte hallten weit im Flur wider, dass sie sich ihrer eigenen Gegenwart nur zu sehr bewusst wurde. Sie schaute auf den Zettel, den ihr eine Krankenschwester am Eingang gegeben hatte. Zimmer 602, zweiter Stock, Station drei. Lunas Blick wanderte auf die kleinen Schildchen, die vor jeder Tür hingen. Auf der linken Seiten waren die geraden, auf der rechten die ungeraden Zahlen niedergeschrieben. Langsam ging sie weiter und blieb vor der 602 stehen. Eine weitere Krankenschwester, ganz in Weiß gekleidet, huschte hinter ihrem Rücken vorbei und verschwand hinter der nächsten Ecke. Luna nahm den Türknauf in die Hand. Er fühlte sich kalt und glatt an. Mit der freien Hand klopfte sie vorsichtig gegen das hellblau gestrichene Holz und von Innen antwortete er ihr. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und betrat den sterilen Raum.
„Kommst du mich also doch besuchen", erwiderte Natalis als er Luna sah. „Schön, dass du dir die Zeit nimmst."
Sie nickte und begutachtete den Tropf, an den Natalis angeschlossen worden war. Ihr Kindheitsfreund war blass. Drei Tage lang lag er jetzt schon auf der Station, denn das Gift der Chimäre setzte seinem Körper ziemlich zu, obgleich er es niemals ihr gegenüber zugegeben hätte. Sie machte sich Sorgen, sicher doch, denn sie war kein Stein. Während des Kampfes beschützte er sie, wurde ihretwegen verletzt und litt unter den Folgeerscheinungen. Das Gift hätte ihn umbringen können.
„Wie geht es dir?", fragte er.
„Mir geht es gut. Du solltest dich lieber um dich kümmern", ihre Stimme wirkte hart und abweisender als sie es beabsichtigte.
Luna drehte ihm den Rücken zu und schaute aus dem offenen Fenster hinaus. Ihre Hand stütze sie auf den kleinen Vorsprung ab, den man nicht einmal als Fensterbank bezeichnen konnte, denn für einen Blumentopf oder sonstige Dekoration war er viel zu schmal. Die Vorhänge wehten sachte im Wind, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie zuckte zusammen.
„Ah, 'tschuldigung", gab er von sich und ließ Luna wieder los. Sie strich sich eine ihrer Strähnen hinters Ohr. „Ich ähm ... Wie soll ich es formulieren. Sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen werde, könnten wir uns dann treffen?"
„Warum?", erwiderte sie schnell. „Gibt es einen neuen Auftrag?"
„Nein, ich dachte, wir könnten uns einfach so zusammensetzten. Ohne einen besonderen Grund."
Einen Grund hatte Natalis sicherlich, doch der missfiel Luna. Nach dem unfreiwilligen Kuss loderte immer noch eine gewisse Wut in ihr auf und das Verlangen, dass sie ihn diese spüren lassen wollte. Selbst in diesem Moment fühlte sie sich nicht wohl in seiner Nähe. Nervosität stieg ihr den Hals hinauf, als könne sie daran ertrinken. Nein, sie würde in den nächsten Minuten darin untergehen, wenn sie nicht verschwand.
„Das halte ich für eine schlechte Idee", antwortete sie heiser und schritt zur Tür.
„Luna, ich weiß, dass meine forsche Art dich wahrscheinlich verängstigt hat, aber ich meine es ernst. Bitte, gib mir eine Chance."
Forsche Art, lachte Luna in sich hinein. Das war ja mal eine schöne Umschreibung für das, was er sich erlaubt hatte. Wenigstens hätte er sich entschuldigen können, stattdessen schrieb er sie als ängstlich und verletzlich aus. Sie hatte so sehr gehofft, sich zusammenreißen zu können, jedoch ergriff sie die Flucht und stürmte aus dem Zimmer heraus, als würde es im Inneren brennen. Über den Flur hetzte sie weiter und blieb erst kurz vor der Hauptstraße stehen. Ihr Herz raste, pumpte Unmengen an Blut durch ihren Körper und die Luft sog sie stoßartig in sich ein. Mit einer Hand fuhr sie sich über das Gesicht, welches glühte. Ein schwarzes Auto bremste abrupt vor ihr ab, sodass sie aufschaute und in die getönten Scheiben blickte. Das Gefährt trug an den Seiten das Ratssiegel, ein Wappen mit Schwertern, die von allen vier Himmelsrichtungen auf die Mitte verwiesen. Darin wiederrum bildete sich eine Sonne und in ihrem Zentrum die Sichel eines Halbmondes ab. Luna drehte sich zum Weggehen um, da hörte sie das Surren der Fenster, die sich hinabließen und erstarrte.
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Daemonium
Paranormal„Dunkelheit, Blut an meinen Händen. Das waren die ersten Dinge, die ich wahrnahm. Ein stechender Schmerz breitete sich in meinem Nacken aus. Meine Augen wollten sich nicht an die Finsternis gewöhnen. Blind tastete ich mich voran, nichts ahnend, was...