Ruckartig wurde Luna nach hinten gezogen, flog mit weit geöffneten Augen zurück auf den Waldboden. Die Person, nein der Mann blickte von oben auf sie herab. Seine gold-gelben Augen waren kalt, beinahe wirkten sie leer, obgleich die Farbe so voll erschien. Keine Miene seines Gesichtes verzog sich. Wie erstarrt lag Luna da, unschlüssig was sie sagen, oder tun sollte. Nach einer Weile in kompletter Stille zuckten seine Mundwinkel amüsiert. Das Mädchen atmete tief ein, hatte offenbar die ganze Zeit den Atem angehalten. Die kühle Luft füllte rasch ihre Lungen und ihre Sicht wurde klarer. Der Mann trat ein Stück von ihr weg und sie rappelte sich wieder auf, klopfte den Schmutz von der Hose und ihrem Rücken ab. In ihren Haaren hingen zahlreiche Blätter, die sie sich einzeln heraus zupfte, während er sie weiterhin musterte. Bis jetzt sagte er kein Wort und zeigte auch sonst keine wesentlichen Reaktionen. Er stand einfach nur da und beobachtete sie schweigend.
„Ähm", setze Luna unsicher an. „Entschuldige, dass ich dich angestarrt habe, das war sehr unhöflich. Ich hatte nur nicht erwartet, im Wald auf jemanden zu treffen. Ich bin übrigens Luna."
„Du brauchst dich nicht entschuldigen", erwiderte er mit einer zarten und zugleich dunklen Stimme. „Du lebst jetzt bei Alec, nicht wahr?"
„J-ja", stammelte sie, verwirrt darüber, dass er davon wusste. „Ich habe dich noch nie in der Stadt gesehen. Bist du gerade erst hierhergezogen?"
„Das kann man so sagen."
Mit einer eleganten Drehung setzte er sich wieder in Bewegung und ging auf Lunas Rad zu, welches noch immer an einem Baum lehnte. Seine Augen verweilten darauf, er schien unsicher. Eine seiner Hände glitt über den Lenker, berührte diesen jedoch nicht, schwebte stattdessen über dem Metall.
„Du solltest besser zurückfahren", sagte er plötzlich und schritt stumm an ihr vorbei.
Ohne ein weiteres Wort an sie zu verlieren, lief er wieder zum Fluss herunter. Ein heißer Luftzug erfasste Luna, als er an ihr vorbeiging, obgleich seine Hand kurz zuvor noch so eisig gewesen war. Aus irgendeinem Grund konnte sie ihre Augen nicht von ihm lassen und verharrte an der Stelle, wo er sie zurückgelassen hatte. Etwas an ihm war anders, aber sie konnte nicht beschreiben, was es genau war. Das Glitzern, der sich auf der Wasseroberfläche spiegelnden Sonne, war sogar von hier aus sichtbar. Den Singsang der Vögel hörte sie, lediglich der seichte Wind, der die Blätter rascheln ließ und das Rauschen ihres Pulses in den Ohren.
„Würdest du mir deinen Namen verraten?", rief sie ihm zu und schob das Fahrrad auf den kleinen Weg, dessen feuchter Boden etwas unter ihr nachgab.
Er antwortete nicht und wandte Luna lediglich den Rücken zu. Ein bisschen enttäuscht schwang sie sich auf ihr Rad und fuhr los. Ein kalter Schauer durchzuckte sie, krabbelte wie eine Spinne ihren Rücken hinab. Wer er auch immer war, jede Zelle ihres Körpers schien sie vor ihm warnen zu wollen. Und auch jetzt bildete sie sich ein, seine glasigen, fast leeren Augen auf sich zu spüren. Auch als sie sich noch einmal umdrehte, war natürlich niemand hinter ihr.
Während Luna sich auf dem Rückweg Zeit gelassen hatte, stellte sie überrascht fest, dass Alec, obwohl er ein Griesgram zu sein schien, das Training ernster nahm, als er sich ansehen ließ. Im Hinterhof erwischte sie ihn dabei, wie er Dummys, die mit Leinenstoff überzogen waren, für das Kampftraining aufstellte. Er war kein Mann vieler Worte und auch jetzt bekam Luna wie erwartet keine Begrüßung. Sie bemerkte lediglich, wie sein Blick hin und wieder auf ihr verharrte. Jedes Mal, wenn sie versuchte Blickkontakt aufzubauen, wandte er sich wieder ab. Also wartete sie geduldig, bis er mit dem Aufbau fertig war.
Zuerst musste die Siebzehnjährige einige Runden um die Hütte laufen, um ihre Muskeln aufzuwärmen, doch der alte Mann nutzte die Gelegenheit, sie zu demütigen. Wann immer sie an ihm vorbeilief, versuchte er sie mit seinem Gehstock zu erwischen. Zum Glück reichten Lunas Reflexe aus, damit sie den Schlägen ausweichen konnte. Danach sollte sie auf einen Dummy einschlagen.
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Daemonium
Paranormal„Dunkelheit, Blut an meinen Händen. Das waren die ersten Dinge, die ich wahrnahm. Ein stechender Schmerz breitete sich in meinem Nacken aus. Meine Augen wollten sich nicht an die Finsternis gewöhnen. Blind tastete ich mich voran, nichts ahnend, was...