~Kapitel 3~

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Der Kies unter Lunas Füßen knirschte unangenehm bei jedem Schritt. Es roch nach Moosen und Pilzen und die abendliche Feuchte, die sich auf den Pflanzen niederließ, glitzerte unpassend. Julianus wartete schon auf der Veranda und war als Erster an der Tür, die von verrosteten Scharnieren gehalten wurde. Er klopfte erst einmal, dann noch ein weiteres Mal und stärker gegen die Tür. In der Hütte blieb es totenstill. Luna verlagerte angespannt ihr Gewicht von dem einen auf den anderen Fuß.

„Alec, wir wissen, dass du uns hörst!", rief Julianus plötzlich streng. „Mach endlich die Tür auf, wir haben das doch alles schon besprochen!"

Zögernd näherte Luna sich der Hütte, die jetzt wesentlich größer und noch viel verkommener aussah. Und zu allem Überfluss auch noch ihr neues Zuhause werden würde. Bei diesem Gedanken legte sich eine Gänsehaut über sie, welche die Kälte in der Luft nur zu gut aufnahm.

Julianus stampfte ungeduldig über die morschen Holzbretter, die bei jedem noch so leichten Schritt aufschreien. Noch bevor Luna die kleine Veranda der Hütte erreicht hatte, öffnete sich kratzend die Tür. Eine bleiche und gekrümmte Person bat sie mit einer schwachen Handbewegung hinein.

Alec wies ihnen mürrisch den Weg in einen größeren Raum, ohne jegliche Fenster. Hier stand in der einen Ecke ein kleiner Ofen, in der anderen eine gammelige Pritsche und in der Mitte befand sich ein Tisch mit zwei Hockern und einem Stuhl, bei dem eine Armlehne abgebrochen war.

Gemächlich ließ sich Alec auf dem Stuhl nieder, legte seinen Gehstock zur Seite und grinste Julianus breit an. Nichts wissend, was Luna tun oder sagen sollte, setzte sie sich schließlich auf den kleinen Hocker, während Julianus und Natalis stehen blieben.

„So ...", grummelte Alec. „Was verschafft mir die Ehre, unser Oberhaupt und dessen hohen Besuch bei mir willkommen zu heißen?"

„Das müsstest du am besten von uns allen wissen", erwiderte Julianus, doch Alec würdigte ihn keines Blickes.

„Wer ist denn das?", fragte Alec nun neugierig. „Diese junge Dame ist ja wohl nicht deine Tochter?"

„Stell dich nicht dümmer als du ohnehin bist. Das ist Luna, die Tochter von ...", Julinaus Stimme brach ab, doch er fing sich schnell wieder. „Und ich habe dir bereits von ihr erzählt. Du wirst dich in nächster Zeit und auf unbestimmte Dauer um sie kümmern. Das bedeutet auch, dass du sie unterrichten wirst."

„Vielleicht erinnerst auch du dich, was ich euch hohen Tieren gestern Nacht erzählt habe, als ihr mich brutal aus dem Schlaf gerissen habt. Denn dann wüsstest du auch, dass ich mit Kindern nichts am Hut habe. Ihre Eltern sind verstorben, warum ist sie dann überhaupt noch hier?"

„Das lässt du mal meine Sorge bleiben und tu gefälligst das, was ich dir auferlege. Du weißt genau, dass du uns mehr als nur einen Gefallen schuldig bist."

„Der Meister hat gesprochen."

Julianus ballte wütend die Hände zu Fäusten, sodass seine Knochen weiß hervorstachen. Luna machte sich instinktiv immer kleiner, hatte Angst vor dem, was hier eventuell gleich passieren würde. Natalis wollte ihr Beistand leisten, aber auch er schien von seinem Vater eingeschüchtert zu sein.

„Komm mit, Kleine. Ich zeig dir, wo du deine Sachen lassen kannst."

Überrascht über Alecs Einwilligung, setzte sich Natalis in Bewegung und brachte die Kartons in Lunas neues Zimmer. Der kleine Raum, der vermutlich als große Lagerkammer für Nahrung und Wein gedient hatte, machte einen ganz passablen Eindruck. Es gab sogar ein Fenster, dessen Rahmen fest in der Holzwand steckte. Die Wände sahen augenscheinlich stabil und dicht aus, sodass Luna auch im Winter nicht frieren würde.

So hastig, wie Natalis sie hierher gebracht hatte, fuhren er und sein Vater auch wieder. Nach einer eher oberflächlichen Verabschiedung, schaute Luna dem Auto noch eine Weile nach, bis es letztlich als kleiner, schwarzer Fleck vom Horizont verschluckt wurde. Da Alec sich nicht mehr hatte blicken lassen, beschloss sie, sich ins Bett zu legen. Die Wände des Zimmers waren nun doch erstaunlich dünn und sie konnte jetzt, wo niemand herumschrie, allerlei Geräusche des Waldes hören. Es war ein eigenartiges Gefühl, hier zu sein, aber sie konnte sich nicht gegen Julianus Entscheidung sträuben. Das hätte nur Unruhe und böse Gedanken gebracht.

Überraschender Weise schlief Luna die Nacht traumlos durch und wurde von einem leisen Poltern geweckt. Neugierig streckte sie ihren Kopf durch die Tür, welche das Zimmer mit dem Rest der morschen Hütte verband. Ein Stuhl war umgefallen, hatte dem Tisch das eine Bein abgeknickt und dieser stand nun gefährlich wackelig in der Mitte des Raumes. Zögern trat Luna ein, denn sie fühlte sich hier mehr als fremd und unerwünscht. Sie versuchte das Tischbein wieder zu richten, was ihr sogar gelang und zufrieden betrachtete sie ihr Werk, ohne die Gestalt hinter sich zu bemerken. Murrend stapfte Alec an ihr vorbei, trug nicht mehr als ein Handtuch um seine Hüfte. Mit seinem Spazierstock stütze er sich ab und ließ sich in dem zerfetzen Sesseln nieder. Erst jetzt bemerkte Luna, dass er auf einem Auge erblindet war. Es stach schimmernd wie Porzellan hervor. Außerdem hatte er viele Narben, eine war breit und verlief an seiner Hüfte beginnend, über seinen Bauch und endete auf der Brust.

„Das Bad ist frei", entgegnete er ihr knurrend und deutete auf den Raum zu seiner Rechten. „Na los, wir haben heute noch was vor."

Folgsam tat das Mädchen das, was Alec von ihr verlangte, denn sie hatte keine Lust, sich mit ihm auseinandersetzten zu müssen. Im Augenwinkel erkannte sie, wie er sie grimmig musterte, ehe sie im Bad verschwinden konnte. Das Badezimmer war eine reine Zumutung und Luna war bei so was nicht einmal pingelig. Aber bei dem Anblick von Haaren in jeder erdenklichen Ritze, Schimmel an den Wänden und klatsch nassen Vertäfelungen, konnte einem schon schlecht werden. Der Geruch von Pilzen lag in der Luft und es muffte nach abgestandenem Wasser. Während sie versuchte, so wenig wie irgend möglich zu atmen, wusch Luna sich sporadisch und so zügig wie es nur möglich war. Als sie das Bad verließ, war Alec nicht mehr im Haus. Das Knurren ihres Magens schreckte sie auf, aber sie traute sich nicht, die verdreckte Küche zu benutzen.

Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend fuhr Luna schließlich mit einem alten Fahrrad, das sie von Zuhause mitgenommen, aber zuvor nie genutzt hatte, zur Schule. Dort erwarteten sie Laurentia und Natalis sehnsüchtig. Sie wollten alle Details der ersten Nacht erfahren und Luna berichtete ihnen alles in Kurzfassung. Die Beiden waren ihre besten Freunde, nein sie waren wie eine zweite Familie für sie. Eine zweite Familie, der es nicht gestattet war, sie aufzunehmen. Luna war seelisch wie körperlich erschöpft, sprach also dementsprechend wenig. Sobald der Unterricht, den Luna noch bis zum Ende dieses Jahres besuchen durfte, beendet war, stieg sie auf ihr Rad und fuhr davon, um nicht weiteren Fragen antworten zu müssen und auch, um endlich für sich allein sein zu können.

Zu dieser Jahreszeit war es einfach nur erholsam, den frischen Wind in den Haaren und auf der Haut spüren zu können. Die Vögel sangen ihre Lieder, flatterten durch die Äste der Bäume, die allmählich wieder grün wurden. Keiner dachte an morgen, oder an gestern. Sie lebten einfach in den Tag hinein, etwas, das die Menschen offensichtlich verlernt hatten.

Auf einem Moosteppich nahe dem kleinen Fluss, der seinen Ursprung in den nördlichen Gebirgen hatte, machte sie Rast und lehnte das quietschende Rad an einen der unzähligen Bäume. Das gleichmäßige Plätschern machte Luna nach diesem Tag ganz schläfrig und bald fielen ihr auch schon die Augen zu.

Ein plötzliches Stöhnen riss sie aus dem Halbschlaf und vom Schwindel erfasst, sank sie zurück in das weiche Moos. Nachdem die Schwärze ihr Sichtfeld wieder frei gab, schaute sie sich bedacht um. Eine zusammengekrümmte Person saß am Flussbett und beugte sich zum Wasser herab. Lautlos kroch das Mädchen näher an ihn heran. Seine silbernen Haare ließen sie zuerst denken, er sei ein alter Mann, doch sein Körperbau widersprach dem. Äußerlich betrachtet, war er vielleicht Anfang zwanzig und sah recht gut aus. Sein Gesicht lag noch im Verborgenen und so sehr sie sich auch reckte, sie konnte es nicht sehen. Als Luna bei diesem lächerlichen Versuch des Starrens ertappte, wollte sie sich unbemerkt auf den Rückweg machen, rutschte allerdings auf dem nassen Laub aus und landete mit einem lauten Knall auf dem Rücken.

Sie wagte es nicht, sich dem Mann zu zuwenden. Er musste spätestens jetzt wissen, dass sie ihn eine ganze Zeit beobachtet hatte. Peinlich berührt versuchte sie dennoch zu ihrem Fahrrad zurückzugehen, doch da packte sie eine eiskalte Hand an der Schulter.


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