„Alec ... Hey, wach endlich auf", maulte Luna.
Die Augenlider des ergrauten Mannes hoben sich quälend langsam. Seit sie von ihrer Jagd zurückgekehrt waren, hatte er kein Wort mit ihr oder irgendjemandem aus dem Dorf gewechselt. Er sah sie nicht einmal wirklich an, als würde er etwas Wichtiges vor ihr verheimlichen, aber diese Ahnung erschlich sich Luna nicht erst seit kurzem. Ihre Instinkte und Gefühle überschlugen sich jedes Mal, wenn sie zurück in die Hütte kamen, oder auch nur das angrenzende Waldstück betraten. Sie war sich nicht im Klaren darüber, warum ihr Körper so reagierte, doch einen Grund musste es geben und sie würde ihn finden, das hatte sie sich vorgenommen.
„Alter Mann, steh auf. Wir müssen unseren Bericht, den ich übrigens dank deiner Faulheit allein verfassen durfte, abgeben."
„Ich hab's nichts so mit der Schreiberei."
„Zumindest kannst du noch sprechen", stellte sie wütend fest und stampfte auf den Boden auf. „Jetzt beweg dich, sonst kannst du Julianus gern persönlich erklären, wieso wir fast fünf Stunden zu spät sind."
Murrend richtete sich Alec auf, rempelte Luna beim Gehen an und hätte sich beinahe ohne das Mädchen auf den Weg gemacht. Und ohne den Bericht, dachte Luna. Seine Verletzung, die sofort von den hiesigen Ärzten behandelt worden war, obgleich man die Abneigung Alec gegenüber überdeutlich spüren konnte, machte ihm offensichtlich keine Schwierigkeiten mehr. Gerade eilte Luna auf die kleine Veranda, da stieß sie mit Alec, der zurückgerannt kam, zusammen.
„Aua ... Was soll das denn jetzt?", empörte sie sich und rieb ihre Stirn.
„Gib mir den Bericht", befahl er und entriss ihr diesen. Seine Augen flogen über das Papier und die mit Tinte verfassten Zeilen. „Mist! Wieso hast du alles so haarklein erläutert?"
Alec zerriss und zerknüllte die Papierseiten, an denen Luna die ganze Nacht gesessen hatte. Verwirrt schüttelte sie den Kopf und fuhr sich mit den Fingern durch die langen, blonden Haare, die wild über ihre Schultern fielen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Alecs wieder im Haus war und sich Stift und Zettel zusammen suchte.
„Warum sollten wir dem Rat etwas von der Jagd und dem Dämon verheimlichen? Es ist doch in unser aller Interesse, dass wir möglichst viel über die Arten dieser Wesen kennen."
„Kleine, die sollen dir nicht ihre dämlichen Fragen zu dem Lichtschwall, der eindeutig von dir ausgegangen war, stellen. Du hast so schon genügend Probleme in Carcerem zu bleiben. Mach es dir und vor allem mir nicht noch schwerer."
Luna blickte dem alten, grimmigen Mann in die Augen und erkannte das erste Mal so etwas wie Empathie in ihnen aufblitzen. Alec verpackte seine Sorgen in einen Umschlag aus ironischen Bemerkungen und Egoismus, aber tief in seinem Herzen gab es Gefühle, die er nicht unterdrücken konnte. Das Gefühl, welches einen jeden Dämonenjäger auszeichnet. Es war wie ein Zwang, die Seinen zu beschützen, egal ob man sie mochte oder nicht. Diesen Schutzdrang vererbten uns unsere Vorfahren und im Blut all jener würde es weiter bestehen.
Nachdem Alec seine Version des Geschehenen vollendet hatte, gingen die Beiden einige Meter voneinander entfernt Richtung Stadt. Es schien sehr still und ruhig im Wald zu sein. Die Vögel zwitscherten nur vereinzelt, ihre Stimmen mussten aus dem Himmel stammen, so fein waren sie. Plötzlich überzog eine Gänsehaut Lunas Arme und Beine. Aufmerksam schaute sie sich um. Irgendjemand beobachtete sie. Die eiskalten Blicke lasteten wie eine Lawine auf ihr, doch sie machte keine Menschenseele aus. Von der Angst erfasst, schloss sie zu Alec auf, der von all dem nichts mitbekommen hatte. Dennoch verblasste ihre Paranoia nicht. Sie schluckte ihre Furcht abermals herunter, anstatt sich ihr entgegenzustellen. Sie wäre zu geschwächt gewesen, um sich mit dieser Präsenz, die scheinbar im Wald versteckt nach ihr Ausschau hielt, auseinander zu setzten. Es fröstelte sie zwar, jedoch würde keine Kreatur sie bis hinter die Stadtgrenze verfolgen. Ob es sich nun um einen Menschen mit bösen Absichten oder einen Dämon handelte, konnte sie lediglich mutmaßen.
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Daemonium
Paranormal„Dunkelheit, Blut an meinen Händen. Das waren die ersten Dinge, die ich wahrnahm. Ein stechender Schmerz breitete sich in meinem Nacken aus. Meine Augen wollten sich nicht an die Finsternis gewöhnen. Blind tastete ich mich voran, nichts ahnend, was...