~Kapitel 19~

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Alec war also ein Jäger und Bändiger, der vor Jahren Noahs Kräfte versiegelt hatte, rief Luna sich das Gespräch noch einmal in Erinnerung. Fenrir, ein Dämon in der Gestalt eines Wolfes, der von jedem lebenden Wesen gefürchtet wurde und nun Rache an den Menschen nehmen wollte. Das klang alles so weit her geholt, als sei es einfach nur eine Sage oder ein Märchen, was den Kindern erzählt wird.

Luna schüttelte den Kopf. Alecs Schmerzen waren real und sie mussten mit der Bändigung zusammenhängen. Da er eine der verbotenen Techniken angewandt hatte, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich der Dämon und Alec irgendwie miteinander in Verbindung standen. Beziehungsweise in diesem Moment versuchte Noah sich von dieser Verbindung zu lösen, um Amok zu laufen. Alec wusste bestimmt, wo sich Noah gerade aufhielt, doch er fand sich bereits mit seinem Tod ab. Dieser verbitterte alte Mann, schimpfte Luna innerlich.

Konnte Noah denn tatsächlich so unbarmherzig sein und alle Menschen umbringen wollen? Immerhin rettete er sie und der Tag, an dem er ihre Wunde versorgte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sollte sie sich überhaupt über solche Dinge ihre Gedanken machen? Sie benötigte all ihre Konzentration, um ihn zu finden. Alec sagte, er würde zuerst hierher kommen, um ihn zu töten. Den Mann, der ihn gefangen nahm.

Auf einmal rutschte sie vom Weg ab und knallte mit dem Hinterteil auf den feuchten Boden. Ihre Hände glitschten zwei Mal ab, bevor sie sich wieder aufrichten konnte. Vielleicht war es nicht die beste Idee gewesen, in ihrer momentanen Verfassung einen überaus gefährlichen, rachsüchtigen Dämon zu jagen. Selbst, wenn dieser ihr eine weiche Seite gezeigt hatte, sollte sie ihm nicht trauen. Nicht einmal den Gedanken an so etwas verschwenden, ermahnte sie sich. An ihrem Kopf spürte sie, wie die warme Flüssigkeit an ihrem Gesicht hinablief. Mist, die Wunde hatte sich wieder geöffnet. Aus ihrem Oberteil riss sie ein Stück Stoff und band es sich um den Kopf, was sogar ausreichte, um die Blutung zu stoppen.

Sie wollte sie nicht allzu weit von der Hütte entfernen, denn wenn Noah dort ankam, wäre es vermutlich schon zu spät. Soweit durfte sie es nicht kommen lassen. Niemand sollte mehr sein Leben lassen, obgleich sie Noahs Beweggründe verstehen konnte. Sein Hass entstand nicht aus dem Nichts. Alec nahm ihm seine Freiheit und nun würde es sich dessen Leben als Gegenleistung nehmen. Und das der Bewohner Carcerems noch dazu.

Die Hütte tauchte von Bäumen umringt am Horizont auf. Luna atmete stoßartig aus. Hinter ihr hörte sie das Knacken eines Astes. Ein Tier? Wohl eher der Feind, erwiderten ihre Instinkte und scheuchten sie in die Deckung einiger Sträucher. Aus der Dunkelheit der Tannen drang ein dunkles Knurren, das die Luft und den Boden zum Beben brachte. Luna schreckte auf und wartete mit angehaltenem Atem ab. Kurz darauf folgte ein heiseres Keuchen und die Silhouette fiel in sich zusammen. Das Mädchen ergriff schlagartig die Flucht, zögerte dann aber auf halben Weg. Sie zitterte. Ihre Beine machten weder einen Schritt nach vorn, noch zurück. Die Kälte kletterte ihren Arm hinauf in ihre Schulter und den Rücken entlang. Das Stöhnen erhärtete sich. Es klang schmerzlich, leidend und dennoch unterdrückt. Ihr Herz zog sich zusammen, während das Stöhnen in ein klagendes Wimmern überschlug, das wiederum von Hustenanfällen unterbrochen wurde.

Luna machte auf dem Absatz kehrt, obwohl all ihre Sinne sie förmlich anschrien, von hier zu verschwinden. Sie glaubte nicht mehr an das, was man sie gelehrt hatte oder an die Dinge, die ihr einst normal erschienen. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Wesen, was Noah sein musste und in völliger Finsternis zu versinken drohte. Nicht einmal der Lichtkegel, der von leichten Wolken bedeckten Sonne, konnte diese durchbrechen. Trotzdem begab sich Luna ins Ungewisse, folgte dem Klagen, doch ein tiefes Knurren ließ sie zurückweichen. Noch immer sah sie nichts, nur die schwarze Leere. Das Knurren veränderte sich, wurde rauer und verstummte zu einem röchelnden Atmen. Es wirkte schwerfällig und angestrengt, als würde er keine Luft mehr bekommen. Dadurch überwand Luna ihre Ängste und verbannte ihre Vernunft für die nächsten Minuten. Ihr Herzschlag übertönte alles um sie herum, selbst in ihren Ohren dröhnte ihr Puls unaufhörlich.

DaemoniumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt